Karl Nehammer äußerte sich in einer emotionalen Rede zur Cobra-Affäre. Nun zog Ehefrau Katharina Nehammer nach.

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Die Frage, wie lange man braucht, um 1,2 Promille im Blut zu haben, ist normalerweise keine, die Österreichs Innenpolitik tagelang beschäftigt. Ebenso wenig die Frage, mit wem die Ehefrau des Kanzlers etwas trinkt und wo sie das tut, oder die Frage, was ihre Personenschützer oder ihre Kinder in der Freizeit machen. Privates ist privat, das ist die goldene Regel.

Nur: Wenn der Kanzler eine hochemotionale Rede hält, als die Frage aufkommt, was genau Personenschützer, die immerhin mit öffentlichen Geldern finanziert werden, eigentlich machen, wer sie auswählt und wie persönlich das Verhältnis zu ihnen ist, dann ist die Sache eine von öffentlichem Interesse.

So geschehen bei dem, was seit Tagen als "die Cobra-Affäre" durch die Medien geistert. Sie ist ein Lehrstück darüber, wie eine Information, sobald sie erst einmal in der Öffentlichkeit ist, zum Selbstläufer wird. Und sie zeigt eindrücklich, wie schwer es ist, die Informationshoheit zu behalten.

Eine Unfallmeldung entgleitet

Das, was in den vergangenen Tagen passiert ist, bezeichnet man als Salamitaktik: Scheibchenweise kommen Infos an die Öffentlichkeit, verschiedene Seiten lancieren sie geschickt. Das begann am 1. April mit den ersten Berichten über den Unfall der Personenschützer, und das gipfelte am Donnerstagabend vorerst darin, dass Katharina Nehammer selbst gegenüber mehreren Medien, darunter der STANDARD, fast gleichzeitig zugab, doch mit den Personenschützern angestoßen zu haben.

Die Aufklärung des Vorfalls hat bis zu dem Zeitpunkt aber eine merkwürdige Note – zumindest auf politischer Ebene. Denn: Die Geschichte sollte sich innerhalb weniger Tage mehrfach ändern.

Schon vor einigen Wochen ruft das Innenressort von sich aus Medien durch, um das Gerücht von den beiden betrunkenen Personenschützern des Kanzlers im Vorfeld aufzulösen. Doch so recht sollte das nicht funktionieren. Zum vergangenen Wochenende berichteten erstmals Zeitungen darüber. Da aber noch verstärkt mit der Verteidigungslinie des Ministeriums. Nach jener Darstellung sollen sich die Cobra-Beamten nach ihrem Dienst in kürzester Zeit schwer betrunken und einen Unfall gebaut haben. Peinlich also, aber nichts von politischer Brisanz.

Am Montagnachmittag bekommt die Geschichte aber mehr Aufmerksamkeit, als dem Kanzler lieb ist. Die SPÖ veröffentlicht in einer parlamentarischen Anfrage Teile eines anonymen Briefs, geschrieben von einem angeblichen Cobra-Beamten. Der Mann erhebt darin schwere Vorwürfe gegen die Familie, die ihr Sicherheitspersonal missbräuchlich für Botengänge und Kinderaufsicht benutzt habe. Aber nicht nur das, auch der Unfall soll ganz anders abgelaufen sein. Der anonyme Hinweisgeber – nicht einmal die SPÖ selbst weiß, wer er ist – stellt in den Raum, dass sich die Personenschützer mit Katharina Nehammer in der Wohnung der Familie betrunken haben sollen. Und dem Kanzler lastet er an, dass dieser bei der Cobra interveniert haben soll, damit das Dienstende der Sicherheitsleute nach vorne verlegt wird und es so aussieht, als wäre der Unfall in ihrer Freizeit passiert.

Der Kanzler hat endgültig genug. Er greift zum Telefon und beschwert sich sowohl bei SPÖ-Sicherheitssprecher Reinhold Einwallner, der die besagte Anfrage verfasst hat, als auch bei der roten Parteichefin Pamela Rendi-Wagner. Und macht dann den Vorfall erst richtig groß: Am Montagabend um 18.30 Uhr schreitet Nehammer vor die Presse. Schon da erscheint die Defensivstrategie löchrig.

Wortklauberei um Dienstende

Nehammer behauptet zwar, dass in dem anonymen Schreiben nichts als die "Unwahrheit" behauptet werde, sieht aber durch die Informationen darin gleichzeitig die Sicherheit seiner Familie "massiv gefährdet". Die vorgehaltenen Interventionsvorwürfe bezeichnet Nehammer als "glatte Lüge". Darauf, dass der "Umtrunk" in der Kanzlerwohnung stattgefunden haben könnte, geht der türkise Politiker Montagabend nicht weiter ein.

Rückblickend betrachtet wird klar: Der Kanzler ergriff damit die Flucht nach vorne. Im Hause Nehammer war man sich dessen bewusst, dass die Geschichte über die Anfrage am Folgetag Titelseiten schmücken würde – die Überschrift sollte dann zumindest ein Zitat des Kanzlers sein.

In der Presse erscheint tags darauf ein Bericht, in dem die Argumentationslinie des Kanzlers mit Details garniert wird. Ja, die Personenschützer hätten sich in der Wohnung mit Katharina Nehammer aufgehalten, dort sei aber noch niemand betrunken gewesen, hieß es da. Sie sei am besagten Sonntag um 16.30 Uhr zu einem nahe gelegenen Heurigen begleitet worden, wo sie ihre Familie zum Essen traf. Anschließend seien die Cobra-Beamten von Frau Nehammer aus dem Dienst entlassen worden. Der Unfall sei rund zwei Stunden später passiert.

Am Dienstag dann will sich das Innenministerium plötzlich nicht mehr festlegen, wo getrunken wurde. Man prüfe das. Wer von offizieller Seite an mehr Informationen gelangen will, stößt auf Mauern. Sowohl im Ministerium als auch bei hochrangigen Cobra-Beamten, die der STANDARD kontaktierte, ist nichts mehr in Erfahrung zu bringen.

Im Laufe der nächsten beiden Tage sollte sich die Geschichte nochmals wandeln. Plötzlich ist es Katharina Nehammer selbst, die Auskunft über die Vorgänge gibt. DER STANDARD, Presse und Kurier bekommen eine weitere Scheibe Salami: Ja, es wurde in der Wohnung getrunken, heißt es jetzt. Mit vielen Abers. Am frühen Nachmittag, so erzählt Katharina Nehammer von diesem Sonntag, seien die zwei Personenschützer gekommen, um eine Dienstreise zu besprechen. Einer von ihnen habe rund um diesen Tag Geburtstag gehabt, und, ja, man habe angestoßen. Aber alles sei im Rahmen geblieben, von 1,2 Promille sei man da weit weg gewesen.

Katharina Nehammer sagt, sie habe die Personenschützer jedenfalls schon am Nachmittag aus dem Dienst entlassen. "Ich hab den zwei Herren gesagt, ich brauch euch nicht mehr, ich hab sie von der Schutzpflicht enthoben." Dass das nicht automatisch deren Dienstende sei, habe sie nicht gewusst. Anschließend sei sie ohne Personenschützer zu Fuß ins Restaurant gegangen. Vom Unfall habe sie erst gehört, als sie schon beim Essen gesessen sei.

Am Freitag werden dann Informationen an den STANDARD herangetragen, die aus dem Akt zur Sache stammen sollen: Demnach sollen die beiden Cobra-Beamten ihre Aussage über die Geschehnisse zwei Tage zuvor noch einmal abgeändert haben: Um 16 Uhr seien sie außer Dienst gegangen, dann habe man angestoßen, anderswo weitergetrunken und um 17.30 Uhr den Unfall verursacht. Wo wie viele Promille gesammelt wurden, ist unklar.

Personenschützer als Freund

Zuvor hatten Journalistinnen und Journalisten zunehmend ihr Augenmerk auf einen Personenschützer gelegt, der auch private Beziehungen zur Familie Nehammer hat. Er ist mit einer Freundin liiert, der Tochter eines österreichisch-russischen Geschäftsmanns. "Natürlich nehme ich dann eine Person, der ich zu 100 Prozent vertraue", sagt Katharina Nehammer zur Frage, ob sie ihr bekannte Cobra-Beamten ausgesucht hat. Auch im Urlaub sei der Cobrist, der mit ihrer Freundin zusammen sei, dabei: "Selbstverständlich sind wir auch im Urlaub unter Personenschutz. Das ist nicht angenehm." Aber man nehme ja nicht irgendwelche Leute, man schöpfe aus dem Cobra-Pool. Bei einem Regierungsmitglied, das zu Terminen begleitet werde, seien die Voraussetzungen einfach anders. "Aber bei uns geht’s um die Familie", klar seien da Menschen im Team, "denen man vertraut, die loyal sind und die mit Kindern können". Nehammer betont, wenn es nach ihr ginge, hätte sie keinen Personenschutz.

Was sie abstreitet: dass es Interventionen gegeben habe. Im Schreiben wird behauptet, Katharina Nehammer habe am Tag nach dem Unfall persönlich in der Direktion für Spezialeinheiten vorbeigeschaut. "Ich war nicht am nächsten Tag im Headquarter", sagt sie, das könne jederzeit überprüft werden.

Könnte es, gäbe es offizielle Informationen von dieser Seite. Die letzte Scheibe Salami wurde wohl noch nicht aufgetischt. (Jan Michael Marchart, Gabriele Scherndl, Fabian Schmid, 8.4.2022)