Nehammer und Selenskyj bei der Pressekonferenz in Kiew.

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Die Sicherheitsvorkehrungen sind, wie man sie sich in einem Kriegsgebiet vorstellt. Barrikaden an zahlreichen Straßen, Soldaten blicken grimmig hinter Sandsäcken hervor. Die Männer in Olivgrün und Tarnfarben tragen schusssichere Westen und sind ordentlich aufmagaziniert – die österreichische und vor allem auch die ukrainische Seite. Verschiebungen folgen beim Besuch des österreichischen Kanzlers Karl Nehammer in der ukrainischen Hauptstadt Kiew am Samstag auf Verspätungen – und dann liegt man plötzlich doch vor Plan.

Es soll verständlicherweise nicht alles immer von außen planbar sein, und nicht jede Planung leicht zu durchschauen. Schon vor der Ankunft nach stundenlanger Zugfahrt aus dem nahen Ausland durch die Ukraine machte der Kanzler klar: Wenn die Visite der russischen Seite missfalle, dann sei das die Sache Russlands und nicht sein Problem. Sein Besuch und der anderer Regierungschefs seien ein klares Symbol für die "Anerkennung der Staatlichkeit, der Unabhängigkeit und der politischen Führung der Ukraine."

Dankbarkeit für die Hilfen

Die auf das Gespräch zwischen Nehammer und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj folgende Pressekonferenz verlief dann, anders als der sonstige Besuchsablauf, für beide Seiten doch ziemlich nach vorhersehbarem Plan. Ihre Unterhaltung bezeichnen die beiden Politiker als "ehrlich" und "gut". Große Dankbarkeit gibt es für die symbolische Geste des Besuchs, aber auch für die versprochenen technischen Hilfslieferungen.

Und der Besuch wird auch als eine Geste wahrgenommen, die Kiew schätzt. Selenskyj betonte bei der Pressekonferenz mehrmals, wie wichtig man die Besuche europäischer Staatsoberhäupter in der aktuellen Situation finde. Es sei ein "schönes Signal". So viele Chefs europäischer Staaten und Regierungen hätten sich in den vergangenen Wochen ja auch wieder nicht in seinem Land blicken lassen. Ein Besuch sei mehr als "Unterstützung nur mit Worten".

Kanzler Nehammer hatte außerdem 20 Rettungsfahrzeuge und zehn Tanklöschfahrzeuge als Gastgeschenk mit in die Ukrainer Hauptstadt genommen, und die Lieferung weiteren Dieselkraftstoffes versprochen. Auch dafür bedankte sich Selenskyj: Man verstehe in der Ukraine, dass Österreich neutral sei und nicht mit Waffenlieferungen helfen könne – daher helfe man eben anders. Er wisse auch, dass Staaten in der EU mit den Sanktionen gegen Russland Geld verlieren würden, auch das sei ein Opfer, das wichtig sei. Denn jeder Dollar und Euro, den Russland verdiene, werde für Waffen gegen die Ukrainer ausgegeben. Dazu betonte Nehammer: Die Sanktionen würden auch auf EU-Ebene weiter angezogen werden, "bis der Krieg vorbei ist".

Kritische Fragen zu Gas und Raiffeisen

Die wenigen Fragen, die ukrainische Medienvertreter dann bei der Pressekonferenz stellen dürfen, sind allerdings etwas kritischer. Zu wenig Hilfe in Sachen Gasembargo, so der Vorwurf. Zu lasch, wenn etwa die Raiffeisenbank dabei helfe Sanktionen zu umgehen, so ein anderer Vorwurf. Wie viele "Butschas" denn passieren müssten, bis Wien sich den Forderungen nach einem Lieferstopp für russisches Gas anschließen werde, fragt einer der Pressevertreter, und nimmt damit Bezug auf den Ort des russischen Kriegsverbrechens vor den Toren von Kiew.

Selenskyj beantwortet zuerst eine andere Frage zum Kriegsverlauf und gibt seinem österreichischen Gast damit lange Zeit, sich eine Antwort zu überlegen. "Solange ukrainische Menschen sterben ist keine Sanktion genug", sagt dann Nehammer, als er wieder am Wort ist. Es seien schon derzeit immerhin die härtesten Sanktionen der EU-Geschichte, es würden auch nicht die letzten sein. Und niemand in Österreich werde es tolerieren, wenn hier tatsächlich mittels Raiffeisenbank Sanktionen umgangen werden, so Nehammer, der auch betont, dass die Raiffeisen in der Ukraine ein wichtiger Arbeitgeber sei. Zum Schluss sagt der Kanzler: "Die finanziellen Schmerzen, die Österreich wegen der Sanktionen erleidet, sind nichts im Vergleich zu den Schmerzen der Ukraine".

Nehammer in Butscha

Beim Besuch in Butscha konnte Kanzler Nehammer die brutale Zerstörung in der Kiewer Vorstadt mit eigenen Augen sehen. Ausgebrannte russische Panzer säumen nach wie vor den Weg. Die Leichen sind mittlerweile weggeräumt, und auch nahe der St. Andreas-Kathedrale werden die ersten paar Dutzend Leichen aus Massengräbern exhumiert.

Häuser, oder das was von ihnen übrig ist, liegen in Schutt und Asche. "Das ist auch geschehen, weil wir zu wenig Defensivwaffen haben" sagten ukrainische Offizielle. Und wenn sie hier nicht kämpften, würde die Zerstörung eben ins Kiewer Stadtzentrum getragen werden, hieß es.

Kanzler Nehammer – sichtlich mitgenommen von den brutalen Bildern – versprach, dass man die Ukraine gemeinsam mit der EU wieder aufbauen werde und dass man alles unternehme, dass die Kriegsverbrechen aufgeklärt werden. Ein Versprechen für mehr Waffen und schweres Gerät konnte die ukrainische Seite dem Kanzler freilich nicht abringen. (Fabian Sommavilla aus Kiew, 9.4.2022)