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Der sogenannte "Brüssel-Effekt" führt dazu, dass europäische Normen auf der ganzen Welt mitbestimmen, wie gewirtschaftet wird.

Foto: Reuters/Yves Herman

Ein alter Witz besagt, dass Asien die beste Hardware baut, die USA die beste Software erfinden und Europa am besten regulieren kann. Der Witz hat einen wahren Kern. Aber ist das so schlimm?

Ein dichtes Netz an Normen und Gesetzen hat uns in vielen Lebensbereichen Vorteile gebracht. Ihnen verdankt Europa im Vergleich zum Rest der Welt klareres Wasser, sauberere Luft, eine geschütztere Privatsphäre und gesündere Nahrungsmittel. Wegen streng geregelten Waffenbesitzes und Verkehrsregeln können wir uns in Europa sicher bewegen. Staatlich überwachte Bildungssysteme bescheren uns ein hohes Bildungsniveau und eine geringe Analphabetenrate. Diese Art der Regulierung sichert einen hohen Lebensstandard, von dem wir alle profitieren. Nicht nur ökonomisch trägt die Regulierung zu unserem Wohlstand bei.

Höchste gültige Standards

Europa ist eine Wirtschaftsmacht, die für andere Regionen der Welt in vielen Produktkategorien unverzichtbar ist. Der sogenannte "Brüssel-Effekt" führt dazu, dass europäische Normen auf der ganzen Welt mitbestimmen, wie gewirtschaftet wird. Die Datenschutz-Werkseinstellung auf jedem iPhone weltweit und die Regeln, welche Postings auf Twitter gelöscht werden, beruhen auf europäischer Regulierung. Bei Gütermärkten "exportieren" wir Regulierungen direkt durch Handelsverträge; und indirekt, weil es für Unternehmen oft kosteneffizienter ist, weltweit den höchsten gültigen Standard für ihre Produkte anzusetzen statt verschiedene Standards für Europa und die übrige Welt.

Leider neigen wir Europäer aber zur Übertreibung. Wie wollen wir den Ausbau erneuerbarer Energien schnell realisieren, wenn in manchen Mitgliedsstaaten Genehmigungsverfahren für Windräder und Stromleitungen inklusive aller juristischen Einspruchsmöglichkeiten viele Jahre dauern? Wie halten wir den Jobmotor auch für ältere Mitarbeiterinnen am Laufen, wenn ihr "Schutz" bewirkt, dass sie nicht mehr eingestellt werden? Wie gelingt uns ein sozial ausgewogenes und leistbares Miteinander, wenn unsere Sozialsysteme dem pauschalen Gießkannenprinzip den Vorzug vor gezielter Hilfe geben? Wie können junge Unternehmen schnell wachsen, wenn bürokratischen Hürden viel höher sind als anderswo? Eine Firma wie Apple, die in einer Garage gegründet wurde, könnte bei uns allein schon wegen diverser Garagennutzungsverordnungen nicht entstehen.

Leichtfertig eingeschränkte Freiheit

In vielen Bereichen wird Eigentum unnötig reguliert, Freiheit leichtfertig eingeschränkt und Innovation behindert. So machen wir die Errungenschaften der Regulierung durch Überregulierung wieder zunichte, bremsen die Entwicklung unseres materiellen und nichtmateriellen Lebensstandards.

Wir müssen regulieren, vor allem in neuen Bereichen. Wer außer Europa hat den Willen und die Fähigkeit, Regeln für künstliche Intelligenz oder personalisierte Medizin zu schaffen? Aber wir müssen Platz lassen fürs Anderssein und Maß halten.

"Zwänglerei", wie der Schweizer sagt, ist eine Versuchung, der man widerstehen sollte, auch wenn sie der Mehrheitsmeinung entspricht. Und wenn schon, dann bitte in Brüssel. Auf europäischer Ebene ist das einfach professioneller; nur das wirklich Lokale in Wien. (Veit Dengler, 11.4.2022)