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Bei der Präsidentschaftswahl in Frankreich hat Amtsinhaber Emmanuel Macron die erste Runde klar für sich entschieden.

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Sie fordert Macron in zwei Wochen heraus: Die Rechtspopulistin Marine Le Pen schaffte es in die Stichwahl.

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Zwei Minuten vor der Verkündung der ersten Hochrechnung für die französische Präsidentschaftswahl um 20.00 Uhr wird die wirre Geräuschkulisse im Pavillon Chesnaie du Roy plötzlich zu einem einheitlichen Chor: Die Unterstützer der Rechts-außen-Kandidatin Marine Le Pen strömen in Richtung Leinwand und stimmen lauthals an: "Marine présidente!" Dann wird heruntergezählt: "Fünf, vier, drei, zwei, eins", was folgt, ist ein Bild auf der Leinwand von der Frontfrau des Rassemblement National, Le Pen, neben dem von Präsident Emmanuel Macron.

Jubel folgt. Allen in der Wahlzentrale Le Pens wird schlagartig klar, dass das, was die Umfragen hervorgesagt haben, stimmt: Le Pen hat sich zum zweiten Mal für die Stichwahl gegen Macron qualifiziert. Nur diesmal mit einem besseren vorläufigen Ergebnis: rund 24 Prozentpunkte für sie, 28 für ihn, so die erste Hochrechnung. 2017 waren es noch rund 21 Prozent für sie gewesen, und rund 24 für ihn.

Macron und Le Pen werben um Stimmen

"Wenn ihr mich in der Stichwahl wählt, dann werde ich die Präsidentin aller Franzosen sein", kündigt sie siegessicher in der im französischen Fernsehen übertragenen Rede an und ruft alle jene, die es diesmal nicht getan haben, dazu auf, für sie im zweiten Wahlgang am 24.April zu stimmen.

Aber auch am anderen Ende der Stadt wird siegessicher gejubelt: In einem Konferenzzentrum im Südwesten von Paris hat der Amtsinhaber und Sieger des Abends, Macron, seine Unterstützer und Medienvertreter versammelt: "Fünf Jahre mehr!", skandieren sie frenetisch. Der amtierende Staatspräsident ist laut ersten Prognosen wie vor fünf Jahren der Favorit für den zweiten Wahlgang – wenn auch mit viel geringerem Abstand: Derzeit liegt Macron bei 54 Prozent, Le Pen kommt demnach auf 46 Prozent.

Auch Macron warb nach der Wahl am Sonntag sogleich darum, ihn bei der Stichwahl zu unterstützen. Er rufe alle Bürger dazu auf, die extreme Rechte zu stoppen. Von Grünen, Linken, Sozialisten und Konservativen kamen Signale, Macron zu unterstützen. Die Konservative Valerie Pécresse sagte vor ihren Anhängern, Le Pen disqualifiziere sich – vor dem Hintergrund des russischen Angriffs auf die Ukraine – wegen ihrer Nähe zum russischen Präsidenten Wladimir Putin. "Ihre Wahl würde bedeuten, dass Frankreich auf der europäischen und internationalen Bühne irrelevant wird." Die extreme Rechte sei noch nie so nahe an der Macht gewesen.

Mehrheit für Populisten

In der Tat legte Le Pen gegenüber früheren Wahlen zu: 2012 hatte sie im ersten Wahlgang 17,9 Prozent Stimmen erhalten, 2017 dann 21,3.

Und: Arithmetisch haben die Populisten in Frankreich eine Mehrheit, wenn man Le Pens Stimmen mit denen des drittplatzierten Linkenchefs Jean-Luc Mélenchon (rund 20 Prozent) und des Rechts-außen-Kandidaten Eric Zemmour (rund sieben Prozent) sowie kleinerer Kandidaten addiert. Davon haben aber lediglich Zemmour und Nicolas Dupont-Aignan dazu aufgerufen, für Le Pen zu stimmen.

Sollte sie in zwei Wochen gegen Macron verlieren, hat sie ihren Rückzug angekündigt. Der Lebenstraum scheint nur schwer realisierbar zu sein – weil sie eben nicht gegen Patzer gefeit ist: Schon 2017 machte sie ihre Wahlchancen mit einem selbstverschuldeten desaströsen TV-Duell gegen Macron zunichte.

Emmanuel Macron muss am 24. April in einer Stichwahl gegen Rechtspopulistin Marine Le Pen antreten. Der amtierende Präsident Frankreichs plädiert für etablierte europäische Allianzen
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Verunsicherung

Die Wählerinnen und Wähler sind zudem auch verunsichert durch die Covid-Krise, die Inflation und den Krieg in der Ukraine – was Macrons eigentlich doch hohen Wert erklärt: Der Amtsinhaber steigerte seine Stimmenzahl gegenüber 2017 von 24 auf 28 Prozent.

Eine schlimme Abfuhr erlitten dagegen die Sozialisten: Ihre Kandidatin, die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo, verschwand mit kläglichen knapp zwei Prozent fast von der Bildfläche. Der Grüne Yannik Jadot blieb wohl auch unter der Fünf-Prozent-Schwelle, die für die Rückerstattung der Wahlkampfausgaben erreicht werden muss. Die Niederlage der etablierten Parteien zeigt, dass die Wählerinnen und Wähler am Sonntag von Beginn weg "nützlich" wählten – nämlich für Macron, Le Pen und Mélenchon.

Szenario unter Le Pen

Der zweite Durchgang der Präsidentschaftswahlen verlangt den Wählerinnen und Wählern eine radikale Entscheidung zwischen dem liberalen Programm von Präsident Macron und dem populistischen Ansatz seiner Gegnerin ab. Zöge Le Pen in den Élysée-Palast ein, würde in Europa vieles anders. Die zweitplatzierte Kandidatin will aus dem militärischen Kommando der Nato austreten; und ihre antideutsche Schlagseite geht einher mit einem scharfen Anti-EU-Diskurs.

Die Chefin des Rassemblement National (RN) ist eine langjährige "Putin-Versteherin". Sie steht bei dem russischen Präsidenten sogar in der Schuld: Von einer ihm nahestehenden Bank erhielt sie einen Kredit über neun Millionen Euro, der noch immer seiner Rückzahlung harrt.

Russland gehört für sie zum "Europa der Nationen", das ihr als gaullistisch inspiriertes Gegenstück zur EU vorschwebt. In Brüssel würde sie im Namen Frankreichs wichtige Verträge – etwa über die europäische Gerichtshoheit – aufkündigen. Verteidigungs- und rüstungspolitisch will sich die RN-Chefin stärker mit Großbritannien, nicht mehr mit Deutschland absprechen.

Diese Umstände kamen in dem kurzen, reichlich inhaltsleeren Wahlkampf bisher kaum zur Sprache. In Frankreich muss daher nun ein richtiger Wahlkampf beginnen, in dem es zur Sache geht: Wird sich Frankreich in Richtung Deutschland oder Großbritannien orientieren? Oder gar Richtung Russland? (Stefan Brändle und Flora Mory aus Paris, 10.4.2022)