Vor allem die CDU kritisiert das Verhalten der heutigen Familienministerin Anne Spiegel im vergangenen Sommer.

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Die Uhrzeit war ungewöhnlich, der Auftritt auch. Zu ihrer Pressekonferenz lud die deutsche Familienministerin Anne Spiegel (Grüne) am Sonntag um 21 Uhr. Sichtlich angeschlagen und stockend erklärte die 41-Jährige: "Ich mache jetzt einen ungewöhnlichen Schritt, ich werde Ihnen jetzt einige private Details nennen." Dann erzählt sie, dass ihr Mann 2019 einen Schlaganfall gehabt habe und ihre Familie (vier Kinder) die Pandemie als "wahnsinnige Herausforderung" empfunden habe. Deshalb habe man im Sommer 2021 vier Wochen Urlaub in Frankreich gemacht – "weil mein Mann nicht mehr konnte".

Doch diese Ferien, so nachvollziehbar sie auch menschlich sind, sorgen in Deutschland derzeit für große Aufregung. Am Montagnachmittag führte die Kritik dazu, dass Spiegel ihr Amt als Ministerin zurücklegte. "Ich tue dies, um Schaden vom Amt abzuwenden, das vor großen politischen Herausforderungen steht", sagte sie. Sie danke allen, die sie solidarisch unterstützt hätten.

Im Sommer 2021 war Spiegel noch Umweltministerin von Rheinland-Pfalz. Und der Urlaub erfolgte kurz nach der Flutkatastrophe, bei der im Ahrtal, das zum Teil in Rheinland-Pfalz liegt, 134 Menschen starben. "Es war ein Fehler, dass wir so lange in Urlaub gefahren sind", sagte Spiegel in der kurzfristig anberaumten Pressekonferenz. Und: "Ich bitte für diesen Fehler um Entschuldigung."

Doch keine Videokonferenz

Sie räumte auch ein, anders als zuerst angegeben, von Frankreich aus nicht per Video an den Kabinettssitzungen der rheinland-pfälzischen Ampelregierung teilgenommen zu haben. Aber sie sei erreichbar gewesen und habe mit Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) und ihrer Staatssekretärin telefoniert.

CDU-Partei- und -Fraktionschef Friedrich Merz forderte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf, Spiegel zu feuern: "Es beweist sich erneut: Für Frau Spiegel waren Urlaub und das eigene Image wichtiger als das Schicksal der Menschen an der Ahr. Der Bundeskanzler muss sie entlassen."

Scholz zeigt "großen Respekt"

Spiegel gab an, von der Grünen-Führung keine Rückendeckung mehr erhalten zu haben. Scholz hingegen äußerte seinen "großen Respekt". Der Kanzler habe mit Spiegel im Kabinett eng und vertrauensvoll zusammengearbeitet, erklärte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann am Montag. "Er wünscht ihr nach dieser schweren Zeit für die Zukunft alles Gute."

Spiegel war nach der Jahrhundertflut schon wegen einer "SMS-Affäre" in die Kritik geraten. Mehrere Medien hatten aus Kurznachrichten zwischen der Ministerin und ihren Mitarbeitern zitiert. Die Nachrichten erweckten den Eindruck, Spiegel sei es weniger um Hilfe für die Opfer gegangen als darum, Schaden von sich abzuwenden.

"Bitte noch gendern"

Am 14. Juli um 16.43 Uhr hatte Spiegel eine Pressemitteilung freigegeben, in der es hieß, dass "kein Extremhochwasser" zu erwarten sei. Campingplatzbetreiber bekamen Hinweise, wie sie sich verhalten sollten. Spiegel segnete die Pressemitteilung ab und fügte den Hinweis an: "Bitte noch gendern: CampingplatzbetreiberInnen. Ansonsten Freigabe." Zu diesem Zeitpunkt hatte die Leitstelle der zuständigen Feuerwehr Koblenz schon 50 unwetterbedingte Einsätze im System.

Wenige Stunden später brachen die Wassermassen über das Ahrtal herein. Nach der Katastrophe beriet Spiegel mit ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen. Ihr Pressesprecher Dietmar Brück machte Vorschläge, wie man kommunizieren solle. Spiegels Antwort: "Lieber Dietmar, das deckt sich mit meinen Überlegungen, plus: das Blame-Game (Schuldzuweisung) könnte sofort losgehen, wir brauchen ein Wording, dass wir rechtzeitig gewarnt haben, ich im Kabinett." Zudem habe die Ministerin herausstreichen wollen, dass "ohne unsere Präventions- und Vorsorgemaßnahmen alles noch viel schlimmer geworden wäre etc.".

Kritikhagel

Als die SMS bekannt wurden, forderte der rheinland-pfälzische CDU-Fraktionschef Christian Baldauf bereits den Rücktritt Spiegels und kritisierte: "Kein Wort über die schreckliche Situation, keine Worte der Empathie, keine Überlegungen, wie schnelle Hilfe geleistet werden kann."

Die CDU hatte nun erneut Druck gemacht, weil ein Urlaub nach der Flut eine Politikerin aus ihren Reihen den Job gekostet hat. Die Umweltministerin von Nordrhein-Westfalen, Ursula Heinen-Esser (CDU), war nach der Katastrophe nach Mallorca geflogen, um den Geburtstag ihres Mannes zu feiern. Am 7. April trat sie nach massiver Kritik zurück. Sie kandidiert allerdings weiterhin für den Landtag. In Nordrhein-Westfalen, dem bevölkerungsreichsten Bundesland Deutschlands, wird am 14. Mai gewählt.

Der ehemalige Kölner Oberbürgermeister Fritz Schramma (CDU) forderte Heinen-Essers kompletten Rückzug. Er sagte zur Deutschen Presse Agentur (DPA) über sie: "Sie ist eine Belastung. Meines Erachtens sollte man jetzt Klartext machen. Dieser Wahlkreis wird dann zwar ohne eine direkte Betreuung sein, das ist nicht schön. Aber erstens zieht sie den Wahlkreis niemals selbst, wenn überhaupt, nur über die Liste. Und ich kann mir schlecht vorstellen, wie sie unter diesen Voraussetzungen einen vernünftigen Wahlkampf machen und in den paar Wochen das Vertrauen der Wähler wiedergewinnen will." (Birgit Baumann aus Berlin, 11.4.2022)