Scholz ist über Nehammers Reise nicht erbost, will sie aber nicht nachmachen.

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Die deutsche Bundesregierung und auch die Brüsseler Politik waren im Vorfeld des Treffens zwischen Kanzler Karl Nehammer und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin über das Vorhaben informiert. Das hat die stellvertretende deutsche Regierungssprecherin Christiane Hoffmann am Montag in Berlin bestätigt. Sie machte auch deutlich, dass die Regierung die Mission Nehammers wohlwollend verfolge: "Wir begrüßen diese Initiative des österreichischen Bundeskanzlers, dass er heute direkt das Gespräch mit Putin in Moskau sucht."

Man sei "der Auffassung, dass jegliche diplomatischen Bemühungen, die darauf abzielen, ein Ende der Kampfhandlungen in der Ukraine zu erreichen und Grundvoraussetzungen für Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland zu schaffen", zu befürworten seien. Da Nehammer zuvor schon mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in Kiew gesprochen habe, stehe "dieser Besuch auch im Rahmen aller diplomatischen Bemühungen, ein möglichst rasches Ende der Kampfhandlungen, einen Waffenstillstand zu erreichen". Hoffmann: "Natürlich ist das Ziel all dieser Bemühungen, Putin dazu zu bewegen, sofort die Kampfhandlungen einzustellen."

"Erwarte mir Solidarität"

Scholz selbst plant derzeit allerdings keine eigene Reise nach Moskau. "Wenn es eine Reise anzukündigen gibt, würden wir diese ankündigen. In dieser Richtung sehe ich keinerlei Pläne", so Hoffmann. Auch ein Treffen mit Selenskyj sei nicht geplant. Anders als Nehammer war Scholz seit Kriegsausbruch nicht nach Kiew gereist.

Der Sozialdemokrat kommt deshalb auch in der eigenen Ampelkoalition unter Druck. So erklärt FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai im "Spiegel": "Ich erwarte von unserem Bundeskanzler, dass er nach Kiew reist. Dieses Zeichen der Solidarität ist in dieser Situation außerordentlich wichtig." Auch Rasmus Andresen, Chef der deutschen Grünen-Gruppe im EU-Parlament, meint: "Die Ukraine braucht unsere volle Solidarität. Dazu gehört auch, sich vor Ort in Kiew über die aktuelle Lage zu informieren. Es ist mir schleierhaft, warum sich Kanzler Scholz dazu nicht durchringen kann. Die Bundesrepublik hat eine besondere Verantwortung. Scholz wird seiner europäischen Führungsrolle nicht gerecht. Er zaudert zu sehr."

Beim Treffen der EU-Außenministerinnen und Außenministern war die Einschätzung gemischt: Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell wollte nur "abwarten", Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock sagte, man müsse Russland "klar und deutlich machen", dass die Bombardierungen enden müssten – sagte sonst aber nichts.

In Brüsseler Kreisen hieß es Montag zu Nehammers Treffen mit Putin etwas knapper: "Wir wurden darüber informiert". Das wurde dem STANDARD auf Nachfrage aus Kreisen der Kommission nach der offiziellen Bestätigung der Reise durch das Kanzleramt in Wien mitgeteilt. Nehammer hatte via Twitter selbst bekanntgegeben, dass er sowohl Kommissionschefin Ursula von der Leyen wie auch den Ständigen Ratspräsidenten Charles Michel über seine Pläne in Kenntnis gesetzt habe.

Erwartungen niedrig

Über die genaueren Hintergründe, ob es inhaltliche Absprachen mit dem Kanzler gebe, herrscht offiziell Stillschweigen. Die Aussichten, dass Nehammer konkrete Ergebnisse – etwa funktionierende humanitäre Korridore für Flüchtlinge – erreichen könnte, werden als niedrig eingeschätzt.

Sicher ist, dass das Treffen mit Präsident Wladimir Putin in Moskau bereits vor der Reise des Kanzler nach Kiew zum ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj eingefädelt wurde, also nicht etwa eine Reaktion auf die bedrückenden Bilder von Kriegsverbrechen in Butscha war. Der Kanzler hatte Selenskyj bei einem Gespräch am Samstag darüber informiert. Das erklärt auch, warum die Moskau-Aktion via "Bild"-Zeitung öffentlich wurde, die sich auf Quellen in Kiew berief und nicht auf solche in Wien. (Birgit Baumann aus Berlin, Thomas Mayer aus Brüssel, 11.4.2022)