Das E-Cross Pro in Kernesche-Optik ist auf den ersten Blick nicht als E-Bike zu erkennen.

Foto: Andreas Maxones

Not macht bekanntlich erfinderisch. Im Falle von Christoph Fraundorfer bestand das Ungemach darin, dass der 1,95 Meter große Lackel partout kein für seine Körpergröße passendes Fahrrad finden konnte. Und die am Markt erhältlichen Maßanfertigungen aus Stahl, Aluminium oder Carbon waren ihm schlichtweg zu teuer.

Als gelernter Architekt mit Erfahrung im Modellflugzeug- sowie Möbelbau beschloss er 2014, das Problem selbst in Angriff zu nehmen. Dazu musste er das Rad nicht neu erfinden, lediglich beim Basiswerkstoff für die Rahmenkonstruktion setzte Fraundorfer auf eine im Fahrradbau bislang kaum beachtete Alternative: Holz.

Acht Jahre und eine Unternehmungsgründung später hat "MyEsel" bereits mehrere Tausend Holzfahrräder "made in Austria" verkauft. Fraundorfer hat mit Heinz Mayrhofer, dem ehemaligen Chefentwickler beim Skiherstellers Fischer, den idealen Kompagnon gefunden. Die MyEsel-Fahrräder werden heute von einem Dutzend Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Traun in Oberösterreich gebaut. Dabei kooperiert das junge Unternehmen mit fünf regionalen Partnerfirmen, wodurch die Holzfahrräder ihren Beitrag zur regionalen Wertschöpfung leisten.

Leichtholzverbund

Ähnlich wie bei der Skiherstellung werden die Fahrradrahmen im Leichtholzverbund um einen Holzkern, meist aus Birke, aufgebaut. Dabei kommt ein in der Skiherstellung seit Jahrzehnten bewährtes Harzklebesystem zum Einsatz.

Für die äußeren Holzschichten werden langlebige Kernesche oder Walnuss verwendet. Die Holzkonstruktion wird statisch optimiert und innen hohlgefräst. Das spart Gewicht und ermöglicht die Verlegung der Kabelzüge für Bremse und Schaltung im Rahmen selbst.

Mittlerweile sind die Holzrahmen in diversen Ausführungen vom Mountain- über das Trekkingbike bis hin zum Rennrad erhältlich. Zielgruppe sind in erster Linie "Allround-Biker", die mit ihrem Rad Alltagswege zurücklegen oder gerne ausgedehnte Touren im Flachland oder in den Bergen unternehmen.

Das Testfahrrad

Das aktuelle Top-Modell der Holzflotte ist das E-Cross Pro, das dem RONDO für einen zweiwöchigen Praxistest zur Verfügung gestellt wurde. Wie der Name verrät, handelt es sich um ein E-Bike für Trekkingtouren auf Asphalt und abseits befestigter Straßen. Allerdings ist es nicht auf den ersten Blick als E-Bike zu erkennen. Denn anders als herkömmliche E-Bikes mit Mittelmotor wird das MyEsel-Rad von einem Hinterrad-Nabenmotor angetrieben, dessen Akku komplett in den Rahmen integriert ist.

Von außen ist praktisch nichts vom E-Bike zu erkennen. Und auch fast nichts zu hören. Denn der von MyEsel eigens "für Österreichs Hügel" weiterentwickelte UPEA-Motor, die Abkürzung steht für "Uphill Engine Austria", schiebt zwar mit 60 Newtonmetern direkt am Hinterrad ordentlich spürbar an, ist dabei aber flüsterleise. Als technische Ausgangsbasis des UPEA-Motors dient ein E-Antrieb des chinesischen Herstellers Aikema.

Für ausgedehnte Touren

"Diesen Motor gibt es so kein zweites Mal", erklärt dazu MyEsel-Gründer Fraundorfer. Er wurde eigens für ausgedehnte Touren, bei denen es den einen oder anderen Anstieg zu meistern gilt, entwickelt. Für Höhenmetersammler im Gebirge verweist Fraundorfer auf das MyEsel-Mountainbike, das mit klassischem Mittelmotor angeboten wird.

Dafür spielt der 540-Wh-Akku des Cross-Bikes mit einer Reichweite zwischen 70 und 130 Kilometern seine Vorzüge im gemütlichen Tourenbereich aus. Wer zwischendurch auf die Unterstützung verzichten will, kann den Motor einfach ausschalten. Dank Freilauffunktion lässt sich das Rad auch mit reiner Muskelkraft fahren, ohne dass der E-Antrieb dabei merklichen Widerstand verursachen würde.

Ausdauerkünstler

Insgesamt bietet der UPEA-Antrieb fünf verschiedene Unterstützungsstufen, die einfach per Knopfdruck an der dezenten Steuerung, die am Lenker angebracht ist, ausgewählt werden können. Wobei jede Stufe nur bis zu einer bestimmten Geschwindigkeit unterstützt. Abgeriegelt wird auf Stufe fünf, wie bei allen E-Bikes, bei 25 km/h Höchstgeschwindigkeit. Und MyEsel verspricht, dass Abschalten durch Überhitzen bei ihrem Hinternaben-Antrieb kein Thema mehr ist.

Im Praxistest auf Strecken mit bis zu 300 Höhenmetern am Stück hat sich das bestätigt. Und wie vom Hersteller angegeben übertrifft die Reichweite des E-Cross jene klassischer Pedelecs. Nach einer gut 40 Kilometer langen Testfahrt inklusive 300 Höhenmetern auf höchster Unterstützungsstufe war gerade einmal die halbe Akkuladung verbraucht. Sollte der Saft dennoch einmal ausgehen, genügt eine Stunde Ladezeit, um wieder 60 Prozent Leistung zur Verfügung zu haben – nach vier Stunden ist der leere Akku wieder voll geladen.

Natürlicher Dämpfungseffekt

Der Werkstoff Holz – das E-Cross Pro besteht im Kern aus Birke und einer Ummantelung aus Kernesche – birgt mehrere Vorteile, so der Hersteller. Das beginnt bei der Möglichkeit der Maßanfertigung, die MyEsel bei allen Modellen anbietet. Mittels eigener Software wird jeder Kundin und jedem Kunden das Rad quasi auf den Leib geschneidert. Wer weniger spezifische Wünsche hat, kann auch aus den Standardgrößen S, M und L wählen.

In Sachen Fahrgefühl weist Holz eine Art natürlichen Dämpfungseffekt auf. Der Rahmen schluckt kleinere Vibrationen spürbar, was etwa empfindliche Gelenke schont. In Sachen Steifigkeiten ist Holz, in der Form, wie es bei den MyEsel-Rahmen zum Einsatz kommt, wiederum mit Carbon vergleichbar, aber eben mit besserer Laufruhe und Dämpfungseigenschaften. Und anders als Carbonrahmen, die nicht recycelbar sind, haben die Holzrahmen auch nach ihrer Pensionierung noch mehrere Verwendungsmöglichkeiten im Sinne der Nachhaltigkeit.

Robustheit

Was die Robustheit angeht, muss Holz den Vergleich mit anderen Werkstoffen nicht scheuen. Daher gibt es vom Hersteller auch eine fünfjährige Garantie auf den Rahmen. Und wer Sorge hat, Nässe oder andere Umwelteinflüsse würden das Fahrrad über die Maßen in Mitleidenschaft ziehen, den verwiest MyEsel darauf, dass auch Skier oder Boote traditionell aus Holz gebaut werden.

Verwitterungsschutz sei in erster Linie eine Frage der Holzbehandlung. Im Fall von MyEsel wurde in Kooperation mit dem Lackhersteller Adler ein Schutzanstrich entwickelt. Und die regelmäßige Pflege des Holzrahmens mit geeigneten Produkten wird empfohlen, um lange Freude daran zu haben. Wobei die Rahmen durch Sonnenlicht mit der Zeit etwas verfärben.

Neben den praktischen Argumenten ist ein Fahrrad aus Holz in erster Linie auffallend. Wer damit unterwegs ist, sollte sich nicht daran stören, auf seinen fahrbaren Untersatz angesprochen zu werden. "Ist das echt aus Holz?" ist eine Frage, die man durchaus mehrmals am Tag gestellt bekommt.

Einzigartigkeit als Diebstahlschutz

Und das auffallende Äußere sorgt überraschenderweise für eine Art natürlichen Diebstahlschutz, sagt Firmengründer Fraundorfer: "Wir hatten schon Fälle, in denen Räder aus Kellern gestohlen wurden, nur das MyEsel blieb unangetastet." Offenbar schrecken Langfinger eher davor zurück, ein so spezielles Rad zu stehlen, weil es beim Wiederverkauf wohl zu auffällig wäre.

Insgesamt sind dem Hersteller erst drei Fälle bekannt, bei denen ein MyEsel entwendet wurde. Eines konnte dank integrierten GPS-Sensors wiedergefunden werden. Auf Kundenwunsch und gegen Aufpreis verbauen die Oberösterreicher den digitalen Diebstahlschutz des Tiroler Anbieters Pow Unity ab Werk im Holzrahmen.

Bleibt die Frage nach dem Preis. Das E-Cross Pro, wie es für den RONDO-Test zur Verfügung stand, ist ab 3950 Euro erhältlich. Wer sich den Rahmen maßanfertigen lässt, was bis zu einer Körpergröße von 2,10 Metern möglich ist, muss dementsprechend tiefer in die Tasche greifen und kommt auf bis zu 5500 Euro. Modelle ohne E-Antrieb sind ab 2050 Euro erhältlich. Auf Kundenwunsch sind sogar individuelle Lackierungen möglich. "Wir hatten zum Beispiel schon Fußballfans, die sich Räder in den Vereinsfarben bestellt haben", erzählt Fraundorfer.

Produktion in Österreich

Dank Produktion in Österreich mit dem hier nachwachsenden Rohstoff Holz sind die Verfügbarkeiten bei MyEsel auch in Pandemiezeiten gegeben. Die Lieferzeiten liegen aktuell bei "drei bis vier Wochen". Seit 2018 bieten die Oberösterreicher neben Maßanfertigungen auch die erwähnten Standardgrößen an, wodurch es nun auch immer mehr Händler gibt, die die Räder anbieten. Bewegten sich die Verkaufzahlen bis dahin im unteren dreistelligen Bereich, so konnten 2021 bereits 1150 Holzfahrräder an die Frau und an den Mann gebracht werden.

Nach zwei Wochen im Sattel des Esels fällt das Testfazit überwiegend positiv aus. Der Hinterrad-Nabenantrieb hat spürbar Kraft und ist auf moderaten Steigungen gängigen Mittelmotoren überlegen. Wer allerdings sportlich mountainbiken will, wird mit dem 22 Kilogramm schweren E-Cross Pro weniger Freude haben.

Dieses Modell ist eher im Hügelland als in den hohen Bergen zu Hause. Dort stößt der Antrieb an seine Grenzen. Vom Handling her unterscheidet sich das Holzrad jedoch kaum von herkömmlichen Rahmen aus Aluminium oder Carbon. Und wer sich ein Fahrrad maßanfertigen lassen will, wird wenig preiswertere Variante als die Holzrahmen aus Traun finden. (Steffen Arora, RONDO, 18.4.2022)