Das Tor des ehemaligen Konzentrationslagers Mauthausen am 27. Jänner 2022. Im Haupt- sowie den Nebenlagern des KZs wurden mehr als 100.000 Menschen von den Nazis ermordet.

Foto: APA/Roland Schlager

Am 5. Mai jährt sich die Befreiung der Gefangenen des Konzentrationslagers Mauthausen durch die US-Armee zum 77. Mal. Die federführend vom Mauthausen-Komitee Österreich (MKÖ) gestaltete internationale Befreiungsfeier dazu in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen findet am 15. Mai statt.

In der Vorbereitung der Veranstaltung steht das MKÖ vor einem schwierigen Balanceakt: Soll man angesichts des Krieges in der Ukraine eine russische Delegation einladen, oder schließt man sich den symbolischen Sanktionen gegen Russland an und lädt Russen und Russinnen aus?

Russische Flaggen

Für beide Optionen gibt es Argumente: Die Befreiungsfeier wird international beachtet und auch vom ORF übertragen. Hier wären Flaggen, Kranzschleifen und andere offizielle Symbole Russlands angesichts des Krieges in der Ukraine nicht erwünscht.

Andererseits ist Russland der wichtigste Nachfolgestaat der Sowjetunion, die mit 27 oder mehr Millionen Toten die Hauptlast bei der Befreiung vom Nationalsozialismus zu tragen hatte. Im Konzentrationslager Mauthausen und den vielen Nebenlagern wurden mehrere Tausend sowjetische Kriegsgefangene und Zivilisten ermordet. Durch den Ausbruch von 500 Sowjetoffizieren aus dem Lager im Februar 1945 und die darauffolgende Menschenjagd – euphemistisch "Mühlviertler Hasenjagd" genannt – erlangte das Schicksal der Sowjetsoldaten in Mauthausen internationale Bekanntheit.

Laut Willi Mernyi, Vorsitzender des MKÖ, soll über Ostern eine Entscheidung fallen, wie man mit dem heiklen Thema umgehen wird. Vorher bedürfe es noch "einer Abstimmung mit den unterschiedlichen Opfer- und Häftlingsorganisationen", sagt Mernyi auf Anfrage des STANDARD.

Keine offiziellen Vertreter

Klar scheint vorerst nur, dass an der Befreiungsfeier in Mauthausen wie auch am 8. Mai beim "Fest der Freude" auf dem Wiener Heldenplatz keine offiziellen Vertreter Russlands teilnehmen werden. Die Bundesregierung hat ja bereits vier russischen Diplomaten ihren Diplomatenstatus entzogen und sie des Landes verwiesen. Dass man aber auch KZ-Überlebende beziehungsweise deren Angehörige von den Befreiungsfeiern ausschließt, wird wohl schwer zu argumentieren sein.

Opferverbände

In diesem Sinn äußern sich auch die österreichischen Opferverbände. Bei der Feier am 15. Mai stünden die Ereignisse bis 1945 und nicht das Jahr 2022 im Mittelpunkt, betont Gerald Netzl vom Bund Sozialdemokratischer Freiheitskämpfer auf Anfrage des STANDARD. Er spricht sich klar für die Teilnahme von Russen und Russinnen aus.

Ähnlich äußert sich auch die Bundesvorsitzende des KZ-Verbands / Verband österreichischer AntifaschistInnen, Dagmar Schindler, in einer schriftlichen Stellungnahme: "Wir sprechen uns gegen die Vermischung des Gedenkens an die Opfer der Nationalsozialisten mit dem Angriffskrieg der russischen Armee in der Ukraine aus." Die russische Armee des Jahres 2022 sei nicht die Nachfolgeorganisation der Roten Armee, die 1945 die Hauptlast der Befreiung Österreichs vom Nazifaschismus getragen habe. (Thomas Neuhold, 12.4.2022)