Sollte etwas dran sein an dem Narrativ, dass Wladimir Putin nicht immer wahrheitsgemäß über den Ukraine-Feldzug informiert worden sei, dann hat er jetzt reagiert – und zwar mit Nachdruck: Der russische Präsident ernannte Alexander Dwornikow zum Oberbefehlshaber. Nicht mehr eine schlanke, schnelle Taktik soll zum Erfolg führen, sondern ein zermürbender, zerstörerischer Belagerungskrieg.

Alexander Dwornikow übernimmt für Russland in der Ukraine das Kommando.
Foto: Imago/Tass/Romanenko

Dwornikow erhält das bisher nicht vorgesehene Zentralkommando für den in Russland euphemistisch "Sonderoperation" genannten Angriff; er soll das Kriegsglück wieder auf die russische Seite holen und dafür sorgen, dass die Armee-Einheiten neu ausgerichtet werden, besser kommunizieren.

Der 60-jährige Karrieresoldat gilt als sehr kriegserfahren. Er trat mit 18 Jahren in den Militärdienst ein, diente sich im sowjetischen, dann russischen Militär vom Zugskommandanten nach oben, kämpfte in Tschetschenien und hatte bereits mehrere Kommandoposten absolviert, als er 2015 zum Befehlshaber der russischen Truppen in Syrien bestellt wurde.

"Held der Russischen Föderation"

Diese Aufgabe – für deren Ausübung er 2016 von Putin zum "Helden der Russischen Föderation" ernannt wurde – änderte viel am Kriegsgeschehen in dem Land, in dem der "Arabische Frühling" ab 2011 mit besonderer Brutalität bekämpft wurde: Die Truppen von Machthaber Bashar al-Assad befanden sich in einer schwierigen Lage, das Ende seines Regimes war mehr als nur eine vage Hypothese.

Dwornikow verhalf dem mit Moskau verbündeten Assad zum Erfolg; mit Belagerung, systematischer Zerstörung lebenswichtiger Infrastruktur durch Beschuss aus der Luft und mit Artillerie, dann mit Straßen- und Häuserkampf. In Mariupol soll er offenbar das vollenden, was General Michail Misinzew begonnen hat – ganz nach dem Muster von Grosny und Aleppo.

Der britische Militärhistoriker Mark Galeotti nennt Dwornikow in der Washington Post eine "erwartbare Wahl". Die Personalie könne aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Russland bereits eine "strategische Niederlage erlitten" habe. Und US-Sicherheitsberater Jake Sullivan befürchtet, dass der General wie schon in Syrien viele Verbrechen gegen die Menschlichkeit begehen werde.

Sollte Dwornikow im Sinne Moskaus reüssieren, könnte das die Krönung seiner Karriere sein: Seit Mitte März ist der russische Generalstabschef Waleri Gerassimow nicht mehr in Erscheinung getreten – möglicherweise ist dessen Posten schon vakant. (Gianluca Wallisch, 12.4.2022)