Jeder noch so aussichtslose Versuch, das Massaker in der Ukraine zu stoppen, ist besser, als gar nichts zu tun: Dieser Position widersprechen Kritiker des Besuchs von Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer in Moskau vehement, die meinen, es sei nicht der richtige Zeitpunkt, den Auftraggeber dieses Massakers – der dieses ja noch dazu leugnet – aufzusuchen. Dass beide Meinungen, so konträr sie sind, objektiv nachvollziehbar sind, zeigt nur die Ratlosigkeit und Verzweiflung, in der wir uns angesichts der Lage in der Ukraine befinden.

Neben der allgemeinen gibt es jedoch auch noch die spezifisch österreichische Ebene. Hier wird nicht ein außenpolitisch erfahrener Staatsmann aus einem Land, das einen soliden Ruf hat, was sein Verhältnis zu Moskau betrifft, initiativ. Es ist der Kanzler Österreichs, das sich Russland in den vergangenen Jahren sozusagen mit Haut und Haaren verschrieben hatte. Das als "Brückenbauer"-Funktion zu verkaufen, ist kühn. Auch aus diesem Grund wird vor allem in den östlichen EU-Staaten Nehammers Moskau-Besuch sehr kritisch gesehen.

Bundeskanzler Karl Nehammer nach dem Treffen mit Putin in Moskau.
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Im westlichen Teil der EU hat Österreich in den vergangenen Jahren generell an Ansehen verloren, als sich Nehammers Vorvorgänger Sebastian Kurz immer enger an Positionen der östlichen – jetzt selbst gespaltenen – Visegrád-Staaten anschmiegte. Allgemeines Augenrollen löste auch die Tatsache aus, dass neben Ungarn nur Österreich die Einladung von Donald Trumps Berufsschwiegersohn Jared Kushner als Gesprächspartner der EU-Außenminister unterstützte. Aber da wollten wir eben typischerweise freundlich zum US-Präsidenten sein.

Professionelle Vorbereitung?

Vergossene Milch, könnte man sagen, jetzt machen wir es anders. Ist das so? Auch wenn die Reise nach Moskau keine spontane Reaktion auf das ist, was Nehammer und seine Delegation in der Ukraine sahen, sondern ein paar Tage Vorlaufzeit hatte, stellt sich die Frage nach der professionellen Einbettung: Es ist eine diplomatische Binsenweisheit, dass die Vorbereitung hochrangiger Treffen mindestens so wichtig ist wie das Treffen selbst. Dynamische Entwicklungen solcher Treffen sind nie ausgeschlossen – die jedoch in beide Richtungen, in die positive oder negative, gehen können. Über die Ziele sollte vor dem Termin Klarheit herrschen.

Und jede Zusage, etwa auf humanitärem Gebiet, die Putin Nehammer am Montag gemacht hätte, wäre erst in der realen Welt des Ukraine-Kriegs zu überprüfen gewesen. Aber so etwas hat offenbar ohnehin nicht stattgefunden. Als subtile Demütigung kann gelten, dass aus dem Kreml später die Bemerkung kam, das Gespräch mit dem österreichischen Kanzler sei kürzer als andere mit ausländischen Spitzenpolitikern gewesen.

Wozu dann das alles? Betroffenheit und der gute Wille Nehammers seien unbestritten. Das ändert nichts daran, dass Österreichs internationales Auftreten oft PR-orientiert ist. Es gibt tatsächlich Staaten, die viel Energie und Ressourcen ihrer professionellen Diplomatie – die bei uns fast zu Tode gespart wird – aufwenden, um im Hintergrund laufende diplomatische Prozesse zu unterstützen. Zu deren Wesen gehört Geheimhaltung, und Geheimhaltung bedeutet: null PR-Wert. So etwas ist in Österreich schwer vorstellbar, wo die Politik der Bilder und einfachen Überschriften so oft über der Politik der Substanz steht.

Trotz aller Blauäugigkeit, die er zu diplomatischen Abläufen zeigt, überschätzte sich Nehammer bestimmt nicht so sehr, dass er ernsthaft meinte, eine Wende herbeiführen zu können. Naheliegend ist, dass nicht nur er selbst als Staatsmann, sondern auch Wien als Ort für russisch-ukrainische Verhandlungen platziert werden sollte. Die Betonung der Istanbuler Schiene, von der der Bundeskanzler nach dem Treffen mit Putin berichtete, deutet aber nicht darauf hin, dass Wien zur Debatte stünde.

Die Rolle des Gastgebers und des "Erleichterers" spielt Wien gerne, auch bei den Iran-Atomgesprächen. Aber gerade sie zeigen ein ernüchterndes Bild des realen Gewichts – des mangelnden Einflusses – Österreichs in dieser Funktion. Trotz Bittens und Bettelns und zahlreicher österreichischer Gesten gegenüber Teheran, die man beinahe als Anbiederung verstehen könnte, sitzen zwei österreichische Staatsbürger weiter unrechtmäßig im Iran in Haft. (Gudrun Harrer, 11.4.2022)