Seit Dienstagnachmittag können sich Wladimir Metjolkin, Alla Gutnikowa und Armen Aramjan wieder frei außerhalb ihrer Wohnungen bewegen. Allein die auf dem Foto links sitzende Natalija Tischkewitsch ist noch einige Tage lang in Haft.
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Nach fast genau einem Jahr De-facto-Hausarrest und dutzenden Verhandlungstagen ist Dienstagnachmittag an einem Moskauer Gericht das Urteil gefallen: Die vier Redakteurinnen und Redakteure des Studierendenmagazins "Doxa" wurden zu zwei Jahren gemeinnütziger Arbeit verurteilt, außerdem wird ihnen für eine Dauer von drei Jahren verboten, Websites zu betreiben.

Armen Aramjan, Natalija Tischkewitsch, Alla Gutnikowa und Wladimir Metjolkin hatten im Jänner 2021 ein Video veröffentlicht, in dem sie Jugendliche und Studierende darin bestärkten, ihre Meinung weiterhin frei zu äußern und sich nicht einschüchtern zu lassen. Anlass waren die Repressionen gegen junge Menschen, die nach der Verhaftung des Oppositionsführers Alexej Nawalny ihren Protest auf die Straße getragen hatten. Am 14. April 2021 fanden bei den vier jungen Journalistinnen wegen des Videos Hausdurchsuchungen statt. Die vier wurden schlussendlich angeklagt, mit dem Video Minderjährige gefährdet zu haben – DER STANDARD berichtete.

Sechs Monate oder zwei Jahre

Seitdem standen sie unter De-facto-Hausarrest und durften weder Telefon noch Internet verwenden. Nun, fast auf den Tag genau ein Jahr nach den Hausdurchsuchungen, verkündete Richterin Anastasia Taratulija am Bezirksgericht des Moskauer Bezirks Dorogomilowo das Urteil. Aramjan, Tischkewitsch, Gutnikowa und Metjolkin wurden schuldig gesprochen und müssen zwei Jahre gemeinnützige Arbeit leisten. Das in Riga ansässige Medium "Medusa" berichtete kurz nach dem Urteil, dass jeder Tag des Hausarrests mit eineinhalb Tagen gemeinnütziger Arbeit gleichgesetzt werde und sich somit die zwei Jahre gemeinnützige Arbeit auf sechs Monate verkürzten. Später berichtete "Doxa" selbst jedoch, der Anwalt von Aramjan wüsste noch nicht, ob der Hausarrest tatsächlich in die Strafe einbezogen werde oder nicht, am Freitag werde man sich die schriftliche Ausfertigung des Urteils näher ansehen. Wie die gemeinnützige Arbeit genau aussehen werde, auch das wisse man noch nicht. Jedenfalls aber will die Verteidigung ein Rechtsmittel gegen das Urteil einbringen, schreibt "Doxa".

Rund 100 Menschen haben sich am Dienstag in Solidarität mit den angeklagten Journalisten vor dem Moskauer Gericht versammelt. In der Mitte des Fotos sind die drei Protagonisten Gutnikowa, Aramjan und Metjolkin zu sehen.
Foto: DOXA

Kriegserklärung an die Jugend

So oder so konnten Aramjan, Gutnikowa und Metjolkin nach der Urteilsverkündung ihre elektronische Fußfessel ablegen und sich erstmal seit einem Jahr wieder frei durch die russische Hauptstadt bewegen. Anders Natascha Tischkewitsch: Sie muss noch einige Tage ihrer 15-tägigen Haftstraße absitzen. Sie wurde unabhängig von dem Strafverfahren über das Video Anfang April wegen der Verwendung verbotener Symbole verurteilt, weil sie 2017 auf Instagram den ukrainischen Dreizack, ein Nationalsymbol des Landes mit dem Russland nun Krieg führt, gepostet hatte.

Während der Gerichtsverhandlung wurden mehrere Unterstützer von "Doxa", die sich vor dem Gericht versammelt hatten, verhaftet, darunter eine Frau mit einem blauen und einem gelben Luftballon – den Farben der ukrainischen Flagge. Die "Doxa"-Redaktion ließ sich jedenfalls nicht einschüchtern: Wladimir Metjolkin wiederholte in seinem Abschlussplädoyer einen Satz, der schon in dem Video von Jänner 2021 fiel und einmal mehr auf den russischen Krieg anspielte: "Die Staatsmacht hat der Jugend den Krieg erklärt, doch die Jugend sind wir – und wir werden garantiert gewinnen."

Ob die Redakteurinnen jetzt aber ihr bisheriges Leben wieder aufnehmen können, bleibt ungewiss. Am Mittwoch stand jedenfalls die Polizei in der Wohnung von Waldimir Metjolkin, wie "Doxa" auf Telegram schrieb. (Levin Wotke, 13.4.2022)