Vor allem Frauen und Kinder mussten bisher die Ukraine verlassen, weil ihr Heimatland von Russland angegriffen wird. Sie sind nun besonders gefährdet, Opfer von Menschenhandel und Ausbeutung zu werden.

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Mit dem Beginn des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine stieg in Österreich das Interesse an ukrainischen Frauen. Mit Ende Februar, so zeigen Analysetools, mehrten sich entsprechende Suchanfragen, vor allem im Osten des Landes. Und: Seit Beginn des Angriffs warnen Organisationen und Behörden diverser Länder davor, dass Menschenhändler Geflüchtete aus der Ukraine verschleppen, sexuell ausbeuten oder in illegale Arbeit drängen.

Bisher bleibt es – zumindest soweit offiziell bekannt – bei Warnungen. Vereinzelt machen auch Gerüchte, etwa über zwielichtige Unterkunftsgeber, die unbedingt junge Frauen beherbergen wollen, die Runde. Dass es zu konkreten Fällen von sexueller Ausbeutung oder Arbeitsausbeutung kam, ist nicht belegt.

Schwierige Kontrolle

Es kann aber auch nicht ausgeschlossen werden. Denn die Betreuung von Geflüchteten in Österreich ist auf viele Stellen verteilt und teilweise undurchsichtig, die Kontrolle von einzelnen Privatpersonen, die sich engagieren, ist schwierig bis unmöglich. Doch egal, wo man nachfragt, man stößt zumindest auf Bemühungen, die Situation zu beherrschen.

So berichten etwa die Freiwilligen der Organisation Train of Hope von Situationen, in denen man lieber vorsichtig blieb. Menschen, bei denen unklar war, ob sie seriöse Unterkunftsangebote anbieten oder vielleicht doch eine andere Absicht verfolgen, seien vereinzelt vor dem Wiener Ankunftszentrum aufgetaucht, erzählt man. Man habe sie weggeschickt und an Organisationen mit jahrelanger Erfahrung in der Vermittlung von Wohnraum verwiesen, heißt es von Nina Andresen von Train of Hope. "Wir sehen aber auch, dass gerade junge Frauen oft vorsichtig und skeptisch sind, wenn ihnen ein Job angeboten wird", sagt sie.

Schon vor Wochen habe die Polizei Informationsplakate vorbeigebracht und darum gebeten, die Geflüchteten auch auf die Gefahr der Ausbeutung hin zu sensibilisieren. "Man hat uns auch signalisiert, dass wir lieber einmal zu oft bei der Polizei anrufen sollen, falls verdächtige Autos oder Personen kommen sollten."

Die Polizei ist derzeit hellhörig, sagt Gerald Tatzgern, Leiter der Zentralstelle zur Bekämpfung von Schlepperkriminalität und Menschenhandel im Innenministerium. In Bordellen werden die Nationalitäten der Beschäftigten geprüft, wenn Ukrainerinnen auftauchen, werden "sensibel" Gespräche geführt, um sicherzugehen, dass sie freiwillig hier sind. Tatzgern sieht derzeit auch Arbeitsausbeutung als Gefahr, "wenn sich Frauen nicht trauen, Nein zu sagen, wenn ihnen gesagt wird, sie müssten putzen oder in der Pflege arbeiten."

Verletzlichkeit wird ausgenutzt

Doch ab wann spricht man von Menschenhandel? Wenn jemand auf Kosten anderer Menschen einen kriminellen Profit erwirtschaftet. Tatzgern: "Menschenhändler arbeiten mit den Gefühlen der Menschen und versuchen so, den höchsten Profit herauszuholen." Zentral sei, dass den ausgebeuteten Menschen der Eindruck vermittelt werde, dass sie auch etwas davon hätten, etwa einen Teil des Profits. "Menschenhändler gehen mit den Leuten gerade mal so gut um, dass sie nicht gegen sie aussagen würden", sagt Tatzgern. Bei sexueller Ausbeutung kommt noch die Scham hinzu, in diese Situation geraten zu sein.

Evelyn Probst von LEFÖ, der Interventionsstelle für Betroffene des Frauenhandels, nennt als wichtige Merkmale von Menschenhandel ein Abhängigkeitsverhältnis, aus dem schwer herauszukommen ist, und das Ausnutzen von Verletzlichkeit. Sichere Unterkünfte mindern diese Verletzlichkeit.

Für die Kontrolle von Unterkünften für Geflüchtete sind grundsätzlich die Länder zuständig, die vergeben das in vielen Fällen an NGOs. Wien etwa hat damit die Diakonie beauftragt, dort heißt es auf Anfrage: Laufende Überprüfungen seien nicht möglich. Was man aber "gewissenhaft" mache, seien Telefonate mit Unterkunftsgebenden und Unterkunftssuchenden. Werde man stutzig, teile man gar nicht erst zu. So geschehen etwa bei Anfragen von Männern, die sagen, sie würden gerne eine Frau unterbringen. Es gelte das Grundprinzip: Hat ein alleinstehender Mann einen Schlafplatz direkt in seiner Wohnung, werde ihm keine Frau, auch keine Frau mit Kindern zugeteilt.

In Niederösterreich vermittelt die Caritas neben der Diakonie Quartiere. Bisher wurden 8000 bis 10.000 Quartiere angemeldet, vermittelt wurden 125 Unterkünfte, erklärt Christoph Riedl, Generalsekretär der Caritas St. Pölten. Er verweist darauf, dass sorgfältig ausgelotet werde, ob ein Quartier infrage komme. Ein klares Ausschlusskriterium sei es etwa, wenn es keine Möglichkeit zum Rückzug gebe. "Eine Couch im Wohnzimmer wird von uns nicht vermittelt", sagt Riedl.

Unsichere Privatvermittlung

Anders als 2015 gibt es derzeit viele Privatinitiativen. Wohin und wie bei diesen Quartieren vermittelt wird, das entzieht sich dem Einflussbereich der NGOs. Geflüchtete, die gänzlich privat an Unterkünfte kommen, könnten somit besonders gefährdet sein.

Laut Zahlen der Caritas haben derzeit 258.700 Menschen aus der Ukraine die Grenze zu Österreich passiert, rund 80 Prozent davon geben an, weiterreisen zu wollen, 45.800 wurden bis jetzt in Österreich registriert. Laut Innenministerium wurden auf dem Stand von Dienstag 30.000 "blaue Karten" produziert und verschickt.

Evelyn Probst warnt davor, dass sich die Verletzlichkeit der Frauen erhöht, je länger sich die Verteilung der EU-weit geltenden Aufenthaltskarten hinzieht. Auch Gerald Tatzgern spricht über diesen Zeitfaktor. Bisher seien viele Frauen nach Österreich gekommen, die mobil, gut ausgebildet und teilweise in Österreich vernetzt sind. In Zukunft könnte die größere Gefahr für Frauen aus einfachen Verhältnissen bestehen, für die es bisher nicht möglich war, die Ukraine zu verlassen. (Beate Hausbichler, Gabriele Scherndl, 13.4.2022)