Kopf aus, Sinne an – das empfiehlt Sexualberaterin Nicole Siller im Gastblog.

Einerseits verhindert Erwartbarkeit den Körpergenuss. Oft höre ich von meinen Klientinnen und Klienten: "Es ist immer dasselbe, ich weiß jeden Handgriff, jeden Kuss, kann jede Berührung vorhersagen. Da bin ich schon 'fertig', bevor wir überhaupt anfangen. Das macht mir keine Lust!"

Wenn wir beim Sex im Kopf bleiben, glauben, schon alles zu wissen – also wie genau wir selbst und der andere tickt und das ganze Sex-Erleben zu einem fixen Ritual geworden ist, das wir abspulen –: Wie kann entspannter, persönlicher Genuss gelingen? Andererseits, wenn, wie aktuell, uns Herausforderungen des Alltags, ob weltpolitisch oder im persönlichen Umfeld, besonders intensiv beschäftigen, wie kann man da abschalten? Es funktioniert einfach nicht, gleichzeitig intensive Gedanken zu wälzen und sich erlebter Lust hinzugeben. Warum ist das jetzt überhaupt wichtig?

Abschalten zu können ist ein wesentlicher Punkt, um Lust intensiv empfinden zu können.
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Kopf aus, Sinne an

Natürlich gibt es viele, teilweise auch anerkannte Mittel, die wohldosiert eingesetzt entspannen können und uns helfen, den Kopf abzuschalten. Kopf abschalten heißt übrigens so gut wie immer mehr im Körper anzukommen. Das ist schön, denn der Körper ist ja unser "Instrument der Sinnlichkeit, der Lust, der Erregung". Ganz simple und wohltuende Möglichkeiten sind oft auch effektiv.

Statt sich darauf zu konzentrieren, bestimmte Gedanken abzustellen, macht es deutlich mehr Sinn – und Lust –, sich bewusst und freudig darauf zu konzentrieren, was es im Moment zu spüren und zu tasten gibt. Ist es noch Stoff oder schon nackte Haut? Was gibt es im Moment Sinnliches zu sehen, was gefällt an der Partnerin oder dem Partner besonders? Was gibt es zu riechen, was zu schmecken oder zu hören? Bewusste Berührungen, die wir mit allen Sinnen lustvoll genießen, können uns einfach und zuverlässig in den Körper bringen. Das will aber manchmal ein bisschen geübt werden.

Sex und Essen

Wer schon mal üben will: Das Ganze gelingt ganz gut beim Essen. Einfach immer wieder den ersten Bissen einer Mahlzeit ganz bewusst ansehen, daran riechen, bewusst im Mund ankommen lassen und beobachten, welche Geschmacksrichtungen und Konsistenzen es zu entdecken gibt. Ist das Essen cremig oder knusprig, gibt es etwas zu hören?

Warum jetzt und immer wieder

Sex steht oft für ganz viel mehr als "nur" für körperliche Erregung. Wohltuende Sexualität kann Nähe, Wärme, Vertrautheit und Sicherheit vermitteln, mit Umarmungen, Intimität, innigen Küssen auch Verbundenheit, Liebe und vieles mehr ausdrücken. Auch Solo-Sex bringt uns im Moment in den Körpergenuss hinein und raus aus dem Kopf.

Beim Sex werden nicht nur Glückshormone wie Serotonin, Oxytocin, Dopamin und so weiter ausgeschüttet, auch das Herz-Kreislauf- und das Immunsystem werden angekurbelt. Durch Berührungen werden Impulse der Sinne und der Sinnlichkeit in Körper und Gehirn aktiviert, der Tastsinn bleibt uns ein Leben lang erhalten. Genießen wir Berührungen bewusster und mit allen Sinnen. (Nicole Siller, 15.4.2022)