Rechtsanwältin Julia Andras analysiert im Gastblog ein Scheidungsurteil um zwei grobe Eheverfehlungen.

Bereits im Blogbeitrag zum gleichteiligen Scheidungsverschulden trotz Ehebruchs wurde hervorgehoben, dass das Verschuldensprinzip im österreichischen Scheidungsrecht maßgebliche Bedeutung hat, zumal es ausschlaggebend für allfällige nacheheliche Unterhaltspflichten ist. In einer weiteren bemerkenswerten Entscheidung hat der Oberste Gerichtshof eine Ehe aus gleichteiligem Verschulden geschieden und zugleich ausgesprochen, dass der Ehebruch niemals eine zulässige Reaktionshandlung darstellen kann (OGH vom 16. 9. 2020, 6 Ob 98/20k).

Psychische Probleme des Mannes

Die Streitteile waren seit Mitte 1989 verheiratet, ihrer Ehe entstammten zwei volljährige und selbsterhaltungsfähige Kinder. Bis zum Jahr 2013 verlief die Ehe weitgehend harmonisch. Während der Ehemann beruflich stark gefordert war und den Lebensunterhalt für die Familie verdiente, kümmerte sich die Ehefrau um die Erziehung der Kinder und die Führung des Haushaltes.

Bereits im Jahr 2000 hatte der Mann einen Psychiater aufgesucht und erklärte gegenüber seiner Frau, es würde sich hierbei um "Psychohygiene" handeln. Die Frau hatte diese Besuche zunächst befürwortet. Etwa zehn Jahre später fand die Frau im Schrank des Mannes Psychopharmaka und konfrontierte den Mann mit diesem Fund, der sie einigermaßen schockiert hatte. Der Mann blockte schroff ab und erklärte der Frau sinngemäß, das würde sie nichts angehen. Der Mann litt unter Schlafstörungen, Niedergeschlagenheit und Stimmungsschwankungen und war sehr schnell genervt. Er verhielt sich gegenüber seiner Frau auch oftmals abweisend. So distanzierten sich die Eheleute zunehmend voneinander und unternahmen im Frühsommer 2012 auch ihre letzte gemeinsame Reise.

Kurze Zeit danach verübte der Mann seinen ersten Suizidversuch, indem er eine Überdosis Medikamente nahm. Er hatte mit starken Depressionen zu kämpfen und begab sich in psychiatrische Behandlung und absolvierte auch eine Psychotherapie. Obwohl die Frau versuchte, ihren Mann bei der Bekämpfung seiner Erkrankung zu unterstützen, hatte sie doch Schwierigkeiten damit, die Krankheit als solche aufzufassen und ein tieferes Verständnis für diese aufzubringen. Sie warf dem Mann auch vor, dass er simulieren würde und äußerte sich ihm gegenüber immer häufiger unpassend, nämlich dahingehend, dass in seiner Familie ohnehin alle depressiv seien und der Mann sie nur sekkieren wolle. Der Mann hingegen wünschte sich Unterstützung von seiner Frau und brauchte jemanden zum Reden. Er fühlte sich von seiner Frau immer mehr unverstanden. Den Eheleuten fiel es sehr schwer, mit der Erkrankung des Mannes umzugehen oder darüber zu sprechen. So wich der Mann den Bemühungen seiner Frau immer mehr aus und ließ sie zurück, die Frau wiederum litt darunter, dass der Mann nicht mit ihr reden wollte und sie von seinen Problemen ausschloss.

Auszug aus der Ehewohnung

Anfang 2013 erlitt der Mann einen weiteren Zusammenbruch und nahm erneut eine Überdosis Medikamente. Er wurde dann ins Krankenhaus eingeliefert und absolvierte eine Behandlung auf der Psychiatrie. Die Frau besuchte ihn während dieser Aufenthalte nicht, wobei dies dem Mann auch recht war beziehungsweise er sie auch gar nicht darum bat, ihn zu besuchen. Die Eheleute hielten aber telefonischen Kontakt. In weiterer Folge versuchte der Mann, beruflich wieder Fuß zu fassen, was ihm jedoch nicht glückte und sein Dienstverhältnis einvernehmlich aufgelöst wurde. Er erhielt in weiterer Folge Invaliditätspension und sah seine beruflichen Bemühungen als gescheitert an.

Da der Mann auch eine Verschlechterung seines gesundheitlichen Zustandes, insbesondere einen weiteren Zusammenbruch, fürchtete, teilte er der Frau mit, dass er sich eine eigene Wohnung gesucht hätte und aus der gemeinsamen Ehewohnung ausziehen wolle. Er erhoffte sich davon eine Verbesserung seines gesundheitlichen Zustandes. Für die Frau kam der Auszug des Mannes zwar sehr überraschend, sie stellte sich seinem Wunsch aber nicht entgegen und erhoffte sich davon auch eine deutliche Verbesserung seines gesundheitlichen Zustandes. Der Mann zog Ende des Jahres 2013 aus der Ehewohnung aus und so war die häusliche Gemeinschaft der Streitteile aufgehoben.

Die Eheleute blieben aber weiterhin in einem freundschaftlichen Kontakt, der Mann behielt auch die Schlüssel zur gemeinsamen Ehewohnung und verrichtete – teilweise auch über entsprechende Bitten seiner Frau – zahlreiche Arbeiten im Garten beziehungsweise am PKW der Frau. Bis Ende des Jahres 2017 bezahlte der Mann auch die Betriebskosten der ehelichen Liegenschaft. Die Frau hatte zwar gegen die Verrichtung der Arbeiten nichts einzuwenden, teilweise bat sie den Mann auch um diese, sie wollte aber nicht, dass der Mann sich immer unangekündigt bei ihr einfindet. Der Mann lehnte es aber ab, sich vor Eintreffen in der gemeinsamen Ehewohnung anzukündigen. Die Frau forderte vom Mann die Rückgabe der Schlüssel, was dieser wiederum ablehnte.

Ehebruch ist keine legitime Reaktion, das entschied er OGH.
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Ehemann erlaubt der Frau keine neue Beziehung

Die Frau hatte zunächst nach dem Auszug des Mannes noch die Hoffnung auf die Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft und besuchte diesen auch häufig. Sie schickte ihm auch eine SMS, in welcher sie ihm mitteilte, dass sie ihn immer noch lieben und vermissen würde. Der Mann zeigte keinerlei Ambitionen, wieder eine Liebesbeziehung mit seiner Frau aufzunehmen. Er war mit der Situation zufrieden und lehnte ihre Vorschläge ab.

Die Frau fragte dann ihren Mann auch, ob sie sich einen Freund nehmen könne, was dieser allerdings ablehnte. Der Mann erklärte ihr auch, dass es ihr überlassen sei, ob sie sich scheiden lassen wollte.

Ab Mitte des Jahres 2016 war die Ehe für die Frau unheilbar zerrüttet. Ab dem Jahr 2017 begann sich die Frau mit einem ehemaligen Schulkollegen ihres Mannes zu treffen und intensivierte sich diese Beziehung, wobei spätestens ab dem Jahr 2018 auch geschlechtliche Kontakte stattfanden. Während die gemeinsamen Kinder der Eheleute und auch die Freunde über diese Beziehung Bescheid wussten, hatte der Mann keine Ahnung davon. Währenddessen besserte sich die gesundheitliche Situation des Mannes und es endeten auch seine Depressionen. Etwa im Herbst 2017 beschloss er, nicht länger allein sein zu wollen. Er versuchte, sich seiner Frau anzunähern, was diese jedoch abblockte. Kurz danach erfuhr der Mann auch davon, dass seine Frau einen neuen Freund habe. Er ärgerte sich darüber sehr, insbesondere weil sie ihm diese außereheliche Beziehung verschwiegen hatte. Nun war er auch nicht mehr bereit, Arbeiten auf der ehelichen Liegenschaft zu verrichten oder die Betriebskosten zu zahlen.

Scheidungsklage eingebracht

Der Mann kontaktierte einen Rechtsanwalt, um sich beraten zu lassen, und schlug seiner Frau eine Mediation beziehungsweise Paartherapie vor, wobei für ihn die Wiederaufnahme der ehelichen Beziehung durchaus vorstellbar war. Natürlich forderte er im Gegenzug, dass die Frau sich von ihrem Freund trennen müsse. Zu diesem Zeitpunkt hatte aber die Frau kein Interesse mehr daran, die Ehe fortzusetzen und vor allem wollte sie sich nicht von ihrem neuen Freund trennen. Damit konfrontiert war nun auch für den Mann die Ehe endgültig und unheilbar zerrüttet.

Der Mann brachte die Scheidungsklage gegen die Frau ein und begehrte die Scheidung aus ihrem überwiegenden Verschulden. Die Frau beantragte die Abweisung der Scheidungsklage und als Eventualantrag begehrte sie die Feststellung des Mitverschuldens ihres Mannes. Die Vorinstanzen schieden die Ehe zunächst aus dem überwiegenden Verschulden des Mannes. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass die Verletzung der Pflicht zum gemeinsamen Wohnen schwerer wiege als das von der Frau gesetzte Fehlverhalten, welches jeweils als Reaktion auf das Verhalten des Mannes anzusehen sei. Der Mann wandte sich an den Obersten Gerichtshof und strebte die Scheidung der Ehe aus gleichteiligem Verschulden an.

Der Oberste Gerichtshof kam zu dem Ergebnis, dass beide Eheleute relevante Eheverfehlungen begangen hatten: die Frau, indem sie Ehe gebrochen hatte, der Mann durch seine Weigerung, in die Ehewohnung zurückzukehren, nachdem seine Frau ihn mehrfach dazu aufgefordert hatte. Damit habe er gegen die Pflicht zum gemeinsamen Wohnen verstoßen. Weiters hätten die Eheleute ihre Pflichten zur anständigen Begegnung verletzt. Der Mann habe die Frau seinen Launen ausgesetzt, die Frau wiederum hätte Schwierigkeiten damit gehabt, ihren Mann bei seiner Erkrankung zu unterstützen und ihm beizustehen.

Eheverfehlungen auf beiden Seiten

Im Hinblick auf den von der Frau zu verantwortenden Ehebruch, welchen sie erst nach Eintritt der für sie eingetretenen unheilbaren Zerrüttung begangen hat, führt der Oberste Gerichtshof aus, dass Ehebruch niemals eine zulässige Reaktionshandlung sein könne. So könne nämlich auch eine schon bestehende Zerrüttung noch weiter vertieft werden. Insbesondere bestehe in einer Ehe die Pflicht zur ehelichen Treue auch nach vom anderen Ehegatten gesetzten Eheverfehlungen, auch wenn diese zu einer Zerrüttung, aber eben noch nicht zu einer unheilbaren Zerrüttung der Ehe, führten. Anzulasten sei der Frau insbesondere, dass sie, obwohl die Ehe für sie zerrüttet war, keine Scheidungsklage eingebracht hatte, gleichzeitig aber eine außereheliche Beziehung unterhielt, welche sie noch dazu vor ihrem Mann verheimlicht hatte. So wäre es für die Frau besser gewesen, sie hätte nach Erkennen der Zerrüttung der Ehe die Scheidungsklage erhoben und nicht ein treuwidriges Verhalten gesetzt. Um es mit den Worten des Berufungsgerichtes auszudrücken, hätte die Frau nämlich "simultan ihre außereheliche Beziehung geführt und mit ihrem Mann verheiratet bleiben wollen".

Im Ergebnis hatte jeder der beiden Streitteile eine Eheverfehlung von erheblicher Bedeutung zu verantworten, wobei der Oberste Gerichtshof erneut festhielt, dass Ehebruch niemals eine zulässige Reaktionshandlung sein könne.

Die Entscheidung zeigt, dass die Verschuldensabwägung im Scheidungsverfahren sehr relevant ist und insbesondere bei von beiden Teilen gesetzten Eheverfehlungen die entsprechende Beratung unerlässlich ist, da der Frau die unterlassene Erhebung einer Scheidungsklage und stattdessen das Eingehen einer außerordentlichen Beziehung hier gehörig auf den Kopf gefallen sind. (Julia Andras, 15.4.2022)