Die kleine Lotta und ihre Mama am Forschungszentrum für Kinderkognition an der Central European University in Wien. Die Forschenden spielen mit den Kleinen, beobachten ihren Blick oder messen ihre Gehirnaktivität.
Foto: heribert corn

Er sieht ein wenig aus wie eine Mischung aus Indoor-Spielplatz und Wohnzimmer: der Eingangsbereich des Forschungszentrums für Kinderkognition (KiKo) an der Central European University in Wien. Der Raum ist mit flauschigen Teppichen ausgelegt, auf grünen Sofas liegen runde Polster mit Bananenmuster. Es gibt eine Spielzeugküche, eine Ringpyramide und einen kleinen Kran. Dass sich die kleinen Probandinnen und Probanden hier wohlfühlen, ist wichtig – schließlich sollen sie bereitwillig an den Studien teilnehmen.

Am KiKo widmen sich die Forschenden der spannenden Frage, wie Babys und Kleinkinder lernen, die Welt um sich herum zu verstehen. Sie wollen wissen, wie die Kleinen das Verhalten ihrer Mitmenschen begreifen, wie sie Sprache lernen oder wie sich ihr Langzeitgedächtnis entwickelt.

Die kleinen Probandinnen und Probanden sollen sich hier wohlfühlen und bereitwillig an den Studien teilnehmen.
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Gegründet wurde das Forschungszentrum 2008 in Budapest, von den Psychologen György Gergely und Gergely Csibra. Der Standort in Wien wurde kürzlich eröffnet, aktuell finden hier die ersten Testungen statt.

Anderen helfen

An einem Freitagvormittag im April ist die 13 Monate alte Lotta mit ihrer Mama gekommen. Sie lutscht an einem Baustein und sieht sich neugierig um. Eine Mitarbeiterin erklärt der Mutter, wie die Tests ablaufen werden. In der Studie geht es darum, ob Einjährige schon in der Lage sind, zu verstehen, was Helfen bedeutet.

Gleich wird das Mädchen mehrere animierte Videos zu sehen bekommen. Dafür nimmt es in einem Nebenraum auf Mamas Schoß Platz. Auf einem Bildschirm werden die Videos abgespielt. Der Inhalt interessiert das Mädchen, sie verfolgt gebannt das Geschehen.

Zu sehen ist ein grünes Smiley, das in einem Labyrinth auf der Suche nach einer Erdbeere ist. In einer ersten Sequenz findet es die Erdbeere sofort und schnappt sie sich. In einer weiteren ist die Erdbeere hinter einer Türe eingesperrt. Ein Rechteck taucht auf und hilft dem Smiley, an die Erdbeere zu gelangen, indem es die Türe zur Seite schiebt.

Laura Schlingloff und ihre Kolleginnen und Kollegen erforschen, wie Babys lernen, die Welt zu verstehen.
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Ein Eyetracker zeichnet auf, wo das Mädchen hinsieht. Auch die Blickdauer ist für die Forscherinnen und Forscher von Interesse. Ihre These: Hat Lotta verstanden, was passiert, ist sie schneller gelangweilt, wenn das Rechteck wieder auftaucht und ein weiteres Mal für das Smiley die Türe zur Seite schiebt. Die Studie ist zwar noch nicht abgeschlossen, aber etwas zeichnet sich ab: "Babys denken, dass der Helfer einfach Türen zur Seite bewegt. Aber sie erkennen anscheinend nicht, dass er damit der anderen Figur hilft", sagt Laura Schlingloff, die das Projekt leitet.

Sehr wohl verstehen können Einjährige aber offenbar, ob jemand effizient handelt. Hinweise darauf gibt eine zweite Testrunde, die Schlingloff und ihre Kolleginnen und Kollegen mit den Babys durchführen.

Wieder bekommt Lotta animierte Videos zu sehen. Diesmal möchte ein Männchen zu einer Banane gelangen. Irgendwann steht es vor einer Entscheidung: Geht es den einfachen Weg und schnappt sich die Banane, die hinter der niedrigen Mauer liegt? Oder springt es über die hohe Mauer? Wenn sich die Figur für die kompliziertere Option entscheidet, sehen Babys offenbar länger hin. Sie dürften überrascht sein.

Warum können Babys in diesem Experiment individuelle Handlungen begreifen, aber soziale Handlungen wie das Helfen nicht? "Es kann sein, dass es komplizierter ist, wenn jemand etwas für andere macht – als wenn er etwas für sich selbst macht", sagt Schlingloff. Aber das sei nur eine mögliche Erklärung.

Neue Methoden

Nach ein paar Minuten wird Lotta unruhig, fängt auf dem Schoß ihrer Mama zu zappeln an. Das sei eine der Herausforderungen bei der Arbeit mit Babys, sagt die Forscherin: Sie sind unberechenbarer als erwachsene Probanden. Das mache die Erhebungen oft langwierig. "Manchmal dauert es Wochen und Monate, bis wir Erkenntnisse haben." Babys können zudem nicht einfach befragt werden – weshalb methodische Kreativität gefragt ist. "Wir müssen immer überlegen: Wie können wir unsere Fragen erforschen?" Manches Mal sollen einfache Spiele zeigen, wie Kinder denken. Andere Male kommt das Eyetracking oder ein EEG-Gerät zum Einsatz.

Ein Eye-Tracker zeichnet auf, wo das Baby hinsieht. Auch die Blickdauer ist für die Forschenden von Interesse.
Foto: heribert corn

Bei der Elektroenzephalografie wird den Babys eine weiche Netzmütze auf den Kopf gesetzt. Das Netz misst die schwachen elektrischen Signale der Neuronen. So kann zum Beispiel aufgezeichnet werden, ob Babys überrascht sind, wenn jemand ein Objekt falsch benennt – etwa einen Ball als "Katze". Das würde darauf schließen lassen, dass sie die Begriffe schon kennen.

Überraschend ist laut Schlingloff, wie viel Babys schon von der Welt verstehen. "Sie haben offenbar ein Basiswissen, das nicht nur von ihren Erfahrungen abhängt." Woher dieses Wissen kommt, ob es angeboren ist, das gelte es noch zu erforschen.

Bei Kindern zwischen drei und fünf Jahren nutzt Schlingloff übrigens Videoanrufe, bei denen sie den Kindern animierte Videos zeigt und sie dazu befragt. Bei Fünf- bis Zehnjährigen sind eigens programmierte Computerspiele im Einsatz. So können sie und ihre Kolleginnen und Kollegen auch herausfinden, wann Kinder nun verstehen, dass das Rechteck aus dem Video dem grünen Smiley hilft. Erste Erhebungen deuten darauf hin, dass das ab einem Alter von drei Jahren ist. (Lisa Breit, 20.4.2022)