Acht Minuten geht Angelika Brunnauer-Anstos in der Früh zum Bahnhof in Ternitz. "Das mache ich bei Regen, Sturm oder Schneefall – danach bin ich wenigstens wach." Eine Stunde und 16 Minuten später wird sie an ihrem Arbeitsplatz im Donauspital in Wien sein. Mit der guten Verbindung. Da muss sie in Wiener Neustadt umsteigen – zehn Minuten Wartezeit –, am Hauptbahnhof – wieder zehn Minuten Wartezeit – und dann noch einmal in Stadlau, wo sie in die U-Bahn steigt. "Es gibt schon auch eine Verbindung, bei der ich weniger oft umsteigen muss", sagt sie, dann brauche sie aber zwei Stunden und zehn Minuten in eine Richtung. Zumindest wenn der Zug nicht Verspätung hat.

So stellen wir uns Pendeln im Idealfall vor: als Kombination aus Öffi- und Radfahren – die Realität ist aber eine andere.
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"Ausfälle und Verspätungen kommen vor", sagt sie, "das sehe ich aber entspannt. Für das, wie oft ich pendle, passiert das selten. Und ich weiß auch schon, welche Züge ich meiden muss, weil sie öfter ausfallen." Bevor sie ihre Arbeitsstätte verlässt, schaut sie stets im Internet bei der ÖBB nach, ob alle Züge pünktlich fahren. "Unter Umständen bleibe ich halt eine halbe Stunde länger", sagt Angelika Brunnauer-Anstos. "Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass es nicht mühsam ist."

Nie mehr Stau auf der Tangente

Früher sei sie mit dem Auto gependelt. Das hat an guten Tagen etwa eine Stunde gedauert. Aber meistens hat es sich spätestens auf der Tangente gestaut. Dies und die vielen Kilometer, die sie da in kurzer Zeit mit dem Auto zurücklegen muss, haben sie umdenken lassen. Nun kommt sie entspannt in der Arbeit an und erst recht zu Hause. "Wenn ich am Freitag nach der Arbeit im Zug auf dem Weg nach Hause sitze, ist das für mich wie eine Fahrt in den Urlaub." Und inzwischen sei das Pendeln mit dem Zug überhaupt genial, meint sie.

Dank des Klimatickets spart sie sich nun etwa 900 Euro im Jahr. Dabei geht es ihr gar nicht in erster Linie um das Geld. Auch wenn man ihr die Pendlerpauschale streichen würde, würde sie genau so weiterpendeln wie bisher – und wie 4.652 weitere Personen aus Ternitz. Der attraktive Arbeitgeber und die Karrierechancen wiegen mehr als die Pauschale. Dazu kommt, dass ihre Familie in Wien lebt – und sie erst vor 16 Jahren der Liebe wegen nach Ternitz gezogen ist. Aber zurück möchte sie nicht mehr.

Das ist die Alternative zum Sitzen im Zug: Stehen auf der Tangente.
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Das gilt so auch für Gabriele Neuner. Sie würde nicht mehr in der Stadt leben wollen. Auch wenn man ihr die Pauschale streichen würde, würde sie nichts ändern. Sie pendelt, weil sie einen attraktiven Arbeitgeber hat, der eben nicht in ihrer direkten Nähe ist. Gabriele Neuner wohnt in Eisenstadt, Großhöflein, und pendelt wie 955 weitere Personen im Ort zur Arbeit – während 259 Personen einpendeln. Die Daten stammen aus dem Jahr 2019, die Statistik Austria hat sie erhoben. Gabriele Neuner pendelt nach Perchtoldsdorf – einem Ort in Niederösterreich, in den weitere 4.852 Personen ein- und 5.373 Menschen auspendeln. Neuner legt die Strecke mit dem Auto zurück. In 30 bis 35 Minuten, fünfmal pro Woche. Eine öffentliche Verbindung mit dem Bus gäbe es natürlich schon, sagt sie, aber mit dem brauche sie einunddreiviertel oder zwei Stunden je Richtung. "Und wenn mir dann der Anschluss davonfährt, fange ich zu weinen an."

Die hohen Spritpreise sorgen trotzdem noch nicht dafür, dass sie umsteigt. "Ich tanke einmal in der Woche und bin jetzt bei 50 bis 55 Euro für den Sprit." Verschleiß, Versicherung und Wertminderung des Autos rechnet Gabriele Neuner fürs Pendeln nicht ein. Die Kosten fallen ja sowieso an, weil ohne Auto geht auf dem Land bekanntlich gar nichts. Hinzu kommt, dass der Wertverlust ihres Diesel-Dacias sehr gering ist.

Bitte keine Elektronik

Während Dacias in der Anschaffung sehr günstig sind, halten sie ihren Wert als Gebrauchtwagen erstaunlich gut. "Der geringe Verbrauch und die günstige Anschaffung" seien entscheidende Gründe für den Kauf gewesen. "Und dass er nur wenig Elektronik verbaut hat", war Gabriele Neuner, die auch als Stuntfahrerin für diverse Film- und Kinoproduktionen arbeitet, wichtig. Homeoffice ist in dem Fall kein Thema, aber auch in ihrem Hauptberuf geht das nicht, weil sie viel direkten Kundenkontakt hat.

Anders ist das beim STANDARD-User "Seifenspender", obwohl auch er dreimal pro Woche in die Firma pendelt. "Mein Arbeitgeber wünscht, dass wir die Hälfte unseres Dienstes am Firmenstandort sind", sagt "Seifenspender", der sich auf derStandard.at in seinen Postings sehr häufig zu Themen rund ums Pendeln äußert. Ginge es nach ihm, würde er lieber komplett oder zumindest vier Tage in der Woche zu Hause arbeiten. Er lebt in Ampflwang, Oberösterreich, von wo 1.136 Personen aus- und 493 Personen einpendeln, und hat das Haus seiner Eltern übernommen. Er ist hier aufgewachsen und hat eine enge Bindung zur Gemeinde und zum Haus. Als ITler seines Formats findet er im kleinen Ort keinen geeigneten Arbeitgeber und muss deshalb so wie 30.354 andere auch nach Wels pendeln.

"Pi mal Daumen"-Pendler

"Für die 53 Kilometer brauche ich von der Haustür bis zum Firmenparkplatz etwa eine Dreiviertelstunde." Sein Audi A3 Diesel brauche zwischen 4,5 und fünf Liter auf 100 Kilometer, "Pi mal Daumen habe ich 150 Euro Spritkosten pro Monat", rechnet er vor. Die Kosten abseits des Sprits kalkuliert er aus denselben Gründen wie Gabriele Neuner nicht. Die steigenden Spritkosten ärgern ihn. "Klar macht das einen Unterschied, ob ich wie vor kurzem noch 1,20 Euro für den Liter oder wie jetzt zwei Euro zahle." Er gibt aber auch zu, dass ihn die Spritpreise "nicht an den Rande des Abgrunds treiben. Aber witzig ist das nicht."

"Seifenspender" pendelte früher mit dem Zug. Zumindest von Vöcklabruck aus – in Ampflwang gibt es keinen Bahnhof. Ums Auto kommt er also nicht herum. Wegen der Parksituation am Bahnhof Vöcklabruck verweigert er inzwischen den Zug. "Der Parkplatz ist immer voll, aber nicht mit den Fahrzeugen der Pendler, sondern mit jenen der Anwohner."

53,3 Prozent aller Erwerbstätigen in Österreich pendelten 2019 zu ihrer Arbeitsstätte.

Sogar Autos ohne Kennzeichen sollen dort stehen. "Wenn man keinen Parkplatz findet und dann erst mit dem Auto weiterfahren muss", erzählt er, "fährt man den Bahnhof irgendwann gleich gar nicht mehr an." Die Stadt Vöcklabruck und die ÖBB würden sich nicht einig werden, wie man das Problem löse, sagt "Seifenspender". Dabei wäre mit dem Klimaticket das Pendeln mit dem Zug jetzt günstiger. "Lustig ist Zugfahren aber nicht." Und wenn man ihm die Pendlerpauschale streiche?

"Ich bin kein Großverdiener", sagt er, "aber ich könnte das kompensieren." Der Zug ist also auch für ihn abgefahren. Durch die höheren Spritpreise hat sich bei den befragten Pendlerinnen und Pendlern das Verhalten nicht verändert. Auch nicht durch das günstigere Klimaticket. Personen, die unter der neuen Parksituation in Wien leiden, konnten wir keine finden. Dafür erklärte im STANDARD-Forum ein User aus Kärnten, dass seine 25-Minuten-Fahrt mit dem Auto von Klagenfurt nach Völkermarkt-Umgebung mit den Öffis sechs Stunden dauern würde.

Pauschale Kritik

Auch wenn die Pendlerpauschale wegfallen würde, hätte das für die Befragten keine Auswirkung auf ihre Art zu pendeln. Der Verkehrsclub Österreich (VCÖ) moniert ohnedies, dass die Pendlerpauschale vor allem Besserverdienern zugutekomme. "Laut Daten des Finanzministeriums wurden zuletzt fast ein Drittel der Pendlerpauschale von Personen mit einem Jahreseinkommen von über 45.000 Euro beantragt." Komme hinzu, dass der Anteil bei der steuerlich wirksamen Pendlerpauschale bei hohen Einkommen noch einmal größer ist, weil es ein Steuerfreibetrag ist. "Laut Berechnungen des Wifo erhält das niedrigste Einkommensviertel nur drei Prozent des steuerlich wirksamen Pendlerpauschalekuchens", heißt es vom VCÖ, "während das höchste Einkommensviertel ein rund zwölfmal so großes Stück erhält. Zudem haben vier von zehn Personen, die eine Pendlerpauschale beziehen, einen Arbeitsweg von nur zwei bis 19 Kilometern."

Man kann auch mit dem Fahrrad pendeln. In der Stadt geht das einfach. Im Salzkammergut weniger, aber es geht.
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Darunter würde auch Julia Atzmanstorfer fallen. Rund 6,5 Kilometer – und 120 Höhenmeter – sind es zwischen ihrem Haus und dem Arbeitsplatz in Bad Goisern. Sie ist eine von 1.931 Binnenpendlerinnen, wie die Statistik jene nennt, die im selben Ort arbeiten, in dem sie wohnen. Die Pendlerpauschale hat sie nicht beantragt. Sie, die einst als Lektorin bei einem Verlag in Wien arbeitete, zog aufs Land und ist nun bei einem international tätigen Unternehmen im Verkaufsinnendienst tätig. "Ich habe bewusst einen Job gesucht, der nahe an meinem Wohnort ist", sagt sie.

Wenn nicht der Schnee auf der Straße liegt, fährt sie mit dem Rad. "Wir haben ein Auto und nutzen es auch", gibt sie zu, etwa zum Einkaufen. Seit wenigen Tagen besitzt sie ein E-Bike, weil ihr die Steigung zu ihrem Haus rauf immer unangenehmer wird. Und sie macht sich deswegen Gedanken. Wegen der Ressourcen und des Stromverbrauchs. "Aber die Bequemlichkeit hat gesiegt", sagt sie, mit schlechtem Gewissen, nicht mit erhobenem Zeigefinger. (Guido Gluschitsch, 14.4.2022)