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Schwarze Löcher verschlingen unaufhörlich Masse und selbst Licht. Kommen sich zwei zu nahe, verschmelzen sie miteinander.
Illustration: Picturedesk / Science Photo Library

Es wäre ein filmreifes Ende unserer Welt: Eine Gruppe von Physikerinnen und Physikern lässt in einer Forschungsanlage Teilchen mit hoher Energie aufeinanderprallen. Plötzlich entsteht ein kleines Schwarzes Loch. Es bleibt nicht lange unbemerkt, denn das Schwarze Loch tut, was von ihm erwartet wird: Es frisst und frisst Materie in sich hinein. Zunächst das Forschungslabor, dann die umstehenden Physikerinnen und Physiker, schließlich die nächste Stadt – bis bald die gesamte Welt verschlungen ist.

2008 versuchten zwei Kläger in Hawaii mit dieser Befürchtung die Inbetriebnahme des Large Hadron Collider (LHC) am Europäischen Kernforschungszentrum Cern zu verhindern. Die Klage wurde abgewiesen, und der LHC nahm seine Arbeit auf. Seither wurden dort bemerkenswerte physikalische Erkenntnisse hervorgebracht, etwa die Entdeckung des Higgs-Teilchens 2012. Der Weltuntergang blieb aber aus.

So tun, als ob

Nach derzeitigem Verständnis entstehen Schwarze Löcher, wenn sehr massereiche Sterne kollabieren. Dazu zählen Sterne, die mindestens die dreifache Masse unserer Sonne besitzen. Insofern darf es wenig überraschen, dass die Herstellung von Schwarzen Löchern im Labor ein aussichtsloses Unterfangen ist. Physik lebt aber vom produktiven Zusammenspiel von Theorie und Experiment. Wenn es nicht möglich ist, den Forschungsgegenstand in ein Labor zu verfrachten, gibt es neben Beobachtungen immerhin noch eine andere Möglichkeit, an Daten zu gelangen: die Simulation.

Die Physikerin Silke Weinfurtner bewegt sich in beiden Welten – in jener der theoretischen und jener der Experimentalphysik. An der Universität in Nottingham in Großbritannien leitet sie ein Simulationsexperiment für Schwarze Löcher. Wie das aussieht, lässt sich etwa in der Netflix-Dokumentation "Black Holes: The Edge of All We Know" erkunden. Kürzlich hielt sie dazu die Hedy Lamarr Lecture an der Akademie der Wissenschaften in Wien.

Silke Weinfurtner war kürzlich auf Einladung der Akademie der Wissenschaften zu Gast in Wien.
Foto: ÖAW/Schedl

Quantenfeldtheorie in gekrümmten Räumen

Dafür, dass es sich hierbei um ein Experiment handelt, um Quantenfeldtheorie in gekrümmten Räumen zu testen, sieht die experimentelle Anordnung eigentlich ganz einfach aus: ein mit Wasser gefülltes Becken mit einem Abfluss, der einen trichterförmigen Wasserstrudel absaugt. "Ein Wasserfluss hat natürlich aufs Erste nichts mit einem Schwarzen Loch zu tun", sagt Weinfurtner. Es zeigt sich aber, dass sich Schwarze Löcher und ein Wasserstrudel mathematisch in vielerlei Hinsicht ähnlich verhalten.

Dass die Simulation funktioniert, kommt für Weinfurtner einem "Geschenk der Natur" gleich und hat mit der Universalität der Mathematik zur Beschreibung von physikalischen Prozessen zu tun. Natürlich bedarf es etlicher Vereinfachungen, damit die Analogie aufgeht. In den vergangenen Jahren konnten aber einige Forschungsgruppen demonstrieren, dass sich mit solchen Simulatoren tatsächlich einiges herausfinden lässt.

Mitschnitt von der Hedy Lamarr-Lecture von Silke Weinfurtner an der Akademie der Wissenschaften in Wien. Video: ÖAW
Österreichische Akademie der Wissenschaften

Entscheidend dabei ist, das System so zu wählen, damit genau jene Eigenschaften zum Vorschein kommen, um einen bestimmten Effekt nachzustellen. Mit einem solchen Ansatz hat Weinfurtner vor ein paar Jahren auch als Erste erfolgreiche Experimente bezüglich eines Phänomens liefern können, das sich bis dahin jeglicher Messung erfolgreich entzogen hat: die Hawking-Strahlung.

Nach herkömmlicher Vorstellung fressen Schwarze Löcher stetig Materie in sich hinein und lassen nichts entweichen, was ihnen zu nahe kommt – nicht einmal Licht. Indem er aber die Quantenfelder um Schwarze Löcher studierte, gelangte Stephen Hawking 1975 allerdings zu der überraschenden Vorhersage, dass Schwarze Löcher Strahlung abgeben.

Das Vakuum ist nicht leer

Anschaulich gesprochen, kann man sich das Zustandekommen der Hawking-Strahlung folgendermaßen vorstellen: Gemäß der Quantenelektrodynamik ist das Vakuum nicht gänzlich leer. Stattdessen entstehen im Vakuum sogenannte virtuelle Teilchen – Paare von Teilchen und Antiteilchen. Normalerweise löschen sich Teilchen und Antiteilchen gegenseitig wieder aus. In der Nähe eines Schwarzen Loches kann es passieren, dass das Antiteilchen vom Schwarzen Loch verschlungen wird und das Teilchen in die Freiheit entkommen kann (oder umgekehrt).

Die davongekommenen Teilchen bilden die Hawking-Strahlung, und sie besitzen eine gewisse Energie. Da diese Energie nicht einfach aus dem Nichts entstanden sein kann, fließt im Gegenzug negative Energie in das Schwarze Loch, wodurch dieses an Masse verliert – so Hawkings Gedankengang.

Je schwerer, desto kälter

Die Hawking-Strahlung ist mit einer bestimmten Temperatur verbunden. Dabei gilt: je größer die Masse des Schwarzen Lochs, umso kälter die Temperatur. Selbst für ein sehr kleines Schwarzes Loch, das in der Gewichtsklasse unserer Sonne liegt, würde die Temperatur nur 60 Nanokelvin betragen. Üblicherweise sind Schwarze Löcher aber viel schwerer, ihre Temperatur ist daher noch viel niedriger. "Vielleicht gibt es einmal andere Messmethoden, aber momentan scheint die Chance, die Hawking-Strahlung experimentell nachweisen zu können, sehr, sehr gering", sagt Weinfurtner.

Die Hawking-Strahlung ist ein vergleichsweise kleiner Effekt, sie ist "eine abstrakte Idee und schöne Mathematik", sagt Weinfurtner, "aber Physik muss im Experiment oder in der Beobachtung entschieden werden". Simulationen bieten eine elegante Möglichkeit, "Mathematik in Physik zu übertragen".

Simulation zu Hawking-Strahlung

Umso beachtlicher ist, dass es Weinfurtner und ihren Kollegen gelang, die Hawking-Strahlung in einem Simulator nachzustellen. "Man kann natürlich so nicht allgemein beweisen, dass Schwarze Löcher strahlen", sagt die Physikerin, "aber man kann langsam einen Atlas an Experimenten entwickeln, die man testen kann, und so die Konfidenz aufbauen, wie dieser Effekt wirklich vor sich geht".

Simulationen können einerseits dazu dienen, bereits aus der Theorie bekannte Effekte genauer zu untersuchen. In einem weiteren Schritt könnten sie aber auch dazu dienen, gänzlich neue Effekte im Simulator zu entdecken. "Das ist natürlich noch spekulativ", sagt Weinfurtner, "aber jetzt, wo die Simulatoren funktionieren, wird es erst so richtig spannend." (Tanja Traxler, 17.4.2022)