Im Leben und im Kino gegenüber Veränderungen aufgeschlossen: Schauspielerin Sophie Marceau.

Foto: Bethuel Mandarin Production

François Ozon, der französische Meister des gehobenen Unterhaltungskinos, hatte nach eigener Aussage mit Alles ist gut gegangen (Tous s’est bien passé) einen Gegenentwurf zu Hanekes Amour im Sinn. Einen leichten, unsentimentalen, aber nicht pietätlosen Film über Sterbehilfe. Charakterdarsteller André Dussolier verkörpert einen Industriellen im Ruhestand, der einen Schlaganfall erleidet; danach hat der fidele Bonvivant mit hängender Unterlippe die Lust am Leben eingebüßt.

Sophie Marceau begeistert in der Rolle seiner Tochter Emmanuèle (nach der autobiografischen Vorlage von Emmanuèle Bernheim), die dem begabten Querulanten bei der Organisation seines Abtritts behilflich sein soll.

Filmcoopi Zürich

STANDARD:Euthanasie ist ein ungewöhnliches Thema für eine Komödie. Sind Sie mit dem pragmatischen Zugang Ihrer Filmfigur Emmanuèle d’accord?

Marceau: Ich glaube, man muss zwei Ebenen berücksichtigen, eine individuelle und die kollektive. Auf einer individuellen Ebene würde ich zweifellos genauso handeln. Ich verstehe die Nähe der beiden, und eine Person hat die Freiheit, selbst zu entscheiden, ob sie leben oder sterben möchte. Das respektiere ich, und ich würde ihr wohl helfen. Andererseits bin ich mir nicht so sicher, ob ich dafür wäre, wenn man Euthanasie per Gesetz erleichtern würde. Das würde das Paradigma verändern. Aber Ozons Film nimmt dazu ja auch keine eindeutige Position ein. Es geht um den faktischen Gang der Dinge.

STANDARD: Hat Sie dieser etwas unentschiedene Tonfall gereizt – André Dussolier erinnert ja eher an einen "eingebildeten Kranken"?

Marceau: An Molière habe ich noch gar nicht gedacht. Aber es stimmt, seine Show macht den Film so anschaubar, er hellt das Thema auf und entkommt so dem Melodram und dem Pathos. Die Wirklichkeit ist in Wahrheit stärker als die Fiktion. Wer hätte schon gedacht, dass man über eine solche Figur schreiben kann? Emmanuèle Bernheim hatte dieses große Talent, zum Kern einer Geschichte vorzudringen. Jemand anderer hätte sich in diesem Verhältnis von Vater zu Tochter, Familie, Tod und Leben vollkommen verloren. Ozon ist ja auch nicht zu sehr an der Psychologie interessiert. Wir Franzosen lieben die Intrigen.

STANDARD: Wenn man mit dem Tod konfrontiert wird, rückt auch der eigene Alterungsprozess ins Bewusstsein. Haben Sie den Part als einen über das Altern verstanden – zu Beginn erfasst Ihre Figur ja ein Schwindel?

Marceau: Die Natur ist intelligent und passt sich allem an. Als Schauspielerin befasst man sich mit dem Alter spätestens, wenn man 50 oder älter wird und die ersten Leute um einen herum sterben. Man beginnt alles zu hinterfragen. Aber es bleibt auch interessant – denn das ist der Prozess des Lebens. Es gibt immer etwas, das man bewältigen muss. Es ist nie einfach. Und um ehrlich zu sein, bevorzuge ich meine jetzigen Probleme gegenüber denen, die ich mit zwanzig hatte.

STANDARD: Warum?

Marceau: Ich habe das Gefühl, dass ich mich meinen Problemen besser stellen kann. Ich weiß heute, dass Verzicht auch Verzicht bedeutet. Man ist nicht mehr so ehrgeizig und energisch, und man weiß, dass man ständig mit jedem Blödsinn rechnen muss. Mit all diesen wunderbaren und schrecklichen Gestalten. Das verhält sich kohärent zu dem, was ich als Schauspielerin auswähle: Ich erkunde neue Areale, Leute aus anderen Altersgruppen, eine andere Art zu sein, zu leben. Zumindest entwickeln wir uns auf diese Weise weiter und lernen dazu … Es wäre doch langweilig, wenn alles immer gleich bliebe.

STANDARD: Sie haben in einem Interview einmal gesagt, dass das Kino der Schönheit und dem Jugendkult verfallen sei. Hat sich dahingehend auch etwas geändert?

Marceau: Es hat sich schon etwas getan. In den 40er-Jahren galt man in Hollywood mit zwanzig schon als alte Frau. Älter zu werden, heißt, dass manche Dinge schwieriger werden. Aber das Kino hat sich mitverändert, es sind heute eher soziale Medien und Apps, die der Schönheit huldigen. Beim Film nehmen Frauen zunehmend mehr Anteil. MeToo ist eine historische Bewegung und hat viel geändert, auch wenn sie manchmal zu radikal verfährt. Aber erinnern wir uns an das, was Simone de Beauvoir gesagt hat: Sobald es einen ökonomischen, politischen oder sozialen "backlash" gibt, sind die ersten Opfer immer die Frauen und Kinder.

STANDARD: Als Schauspielerin haben Sie von "La Boum" an eine ganze Generation begleitet. Wie empfinden Sie selbst eigentlich dieses Mysterium, mittels des Kinos schon lange ein doppeltes Leben zu führen?

Marceau: Es ist mindestens doppelt! Ich habe eher das Gefühl, dass ich bereits viele Leben hatte. Die Erinnerung ist bizarr. Ich glaube, das Gehirn macht gar keinen so großen Unterschied daraus, was real und was nicht real war. Ich bin durch so viele Leben, Dramen und Perioden gegangen, habe so viele Ehemänner und Kinder gehabt – manchmal frage ich mich, was mein Körper darüber denkt. Denn alle die Emotionen, durch die man hindurchmuss, sind ja kein Fake. Der Körper erinnert sich. Ich würde nicht sagen, dass ich müde bin. Aber ich war schon mit dem Pferd auf Kreuzzügen dabei.

STANDARD: Was bringt Ihnen dann wieder die nötige Erdung?

Marceau: Das Leben ruft einen schon selbst zurück. Hat man Familie? Was tut sich in der Welt gerade wieder? Covid! Ich werde durch solche Unvorhersehbarkeiten auch inspiriert. Niemand hat damit gerechnet, was in den letzten beiden Jahren passiert ist. Filme und Literatur haben es vielleicht antizipiert. Der einzige Unterschied zu den Filmen ist, dass ich nicht weiß, wie es enden wird. Ich habe keine Garantie.

STANDARD: Sie haben keinen Final Cut.

Marceau: Den will ich auch nicht. Ich bin kein Kontrollfreak. Ich habe einen Hang zum Fatalismus und lasse die Dinge einfach geschehen.

STANDARD: Tatsächlich Fatalismus?

Marceau: Ja, ein wenig. Es ist schon widersprüchlich. Denn auf der anderen Seite will ich auch nicht fremdbestimmt werden wie vielleicht in der griechischen Mythologie oder dass man mir etwas anschafft. Für mich bedeutet es nicht, dass man aufhört zu kämpfen, aber es hilft, den Tod zu begreifen. (Dominik Kamalzadeh, 14.4.2022)