Einblick in die Ausstellung "Reiternomaden in Europa".

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Klaus Pichler
Klaus Pichler

Viele Spuren haben sie nicht hinterlassen – zumindest in materieller Hinsicht. Gürtelschnallen, Amulette, Schmuckgegenstände, die in eine Hand passen, Reste von Reflexbögen und Schwertern, mysteriöse Eisenkessel, deren Verwendung ungeklärt ist, und natürlich Pferdezubehör.

Die niederösterreichische Schallaburg widmet ihre große kulturhistorische Jahresausstellung den Reiternomaden in Europa und beackert damit ein Feld, das die archäologische Forschung zwar brennend interessiert, aber auch vor Probleme stellt: Es geht um Völker, deren Kultur sich nur sehr bruchstückhaft rekonstruieren lässt.

Die Kuratoren Falko Daim und Dominik Heher konzentrieren sich bei ihrer Darstellung auf die Präsenz der Hunnen, Awaren, Bulgaren und Ungarn im Donauraum des Frühmittelalters. Ab dem vierten Jahrhundert stießen diese sehr heterogenen Mischgesellschaften aus den eurasischen Steppengebieten nach Westen vor. Die These, dass ihre Ankunft die Völkerwanderung und damit das Ende des weströmischen Reichs besiegelte, ist heute so nicht mehr haltbar – vielmehr geht man von einem langsamen Prozess aus, der nicht nur Krieg und Vertreibung, sondern auch Handel, Besiedelung und Diplomatie miteinschloss.

Reste eines Prunkschwerts.
Foto: Klaus Göken

Das tradierte Bild von den wilden Kriegerhorden ohne Schrift und festen gesellschaftlichen Strukturen stellt sich heute komplexer dar: Es gab vielfältige Handelsbeziehungen, Sinn für Kunst und Mythologie, im Falle der Bulgaren auch sehr früh Sesshaftigkeit, die sich am nahen Byzanz orientierte. So integrierten diese die griechische Schrift, bauten Städte, Tempelanlagen und übernahmen wie auch die Ungarn ab 900 das Christentum.

Äußerst beliebt: Gürtelschnallen als Statussymbol.
Foto: Ferenc Múzeum / Izabella Linczer-Katkó

Mit Ungarn und Bulgarien berufen sich heute zwei EU-Staaten deutlich auf diese Vorfahren. Die Awaren hingegen verschwanden im Melting Pot der Geschichte ebenso wie die Hunnen, deren König Attila sich immerhin prominent in die Nibelungen-Saga einschrieb.

Leicht hatten es die Ausstellungsmacher mit den kleinteiligen Exponaten nicht, der Illustrator Martin Stark sorgte mit großflächigen Rekonstruktionen der Nomadenvölker im Graphic-Novel-Stil für zusätzlichen Schauwert. Als wichtigste Statussymbole dürften Gürtel gegolten haben und freilich das Pferd als Mercedes des Mittelalters, wenngleich es sich dabei um Ponys von recht kleiner Statur handelte.

Die Ankunft Attilas als Illustration von Martin Stark.
Foto: Martin Stark

Mit dem Steigbügel, eine Erfindung der Nomadenvölker, und kleinen, effektiven Reflexbögen, die auch während des Reitens abgefeuert wurden, waren sie gefürchtet. Viele Kenntnisse gewinnt man heute aus Gräbern: So wurden Verstorbene häufig mit ihren Pferden begraben, die Hunnen bestatteten Frauen von hohem Stand mit prächtigeren Beigaben als ihre Männer.

Die nomadische Lebensweise, das Weiterziehen mit Vieh und Volk, war aus heutiger Sicht ökologischer als die Sesshaftigkeit, der Eingriff in Natur und Boden minimalinvasiv. Funde beschränken sich daher auf die wenigen Objekte, die die Menschen tragen konnten und die der Verwitterung standhielten.

Dass die durch wenige Quellen gespeiste Geschichte dieser Völker heute politisch instrumentalisiert wird, deutet die Ausstellung immerhin an: So trat Orbáns Ungarn 2018 der "Organisation der Turkstaaten" bei. In ihr werden gemeinsame Wurzeln bei den Steppenvölkern (über)betont, um geopolitische Allianzen zu schmieden. (Stefan Weiss, 14.4.2022)