Gerd Holoubek, heute 53, war ein Scheidungskind. Als solches hörte er "Pumuckl”-Kassetten, bis die Bänder heraushingen, denn er liebte den kleinen Kobold, und er las Superhelden-Hefterln, bis sie zerfleddert waren, denn er liebte die Superhelden. Das Leben war also schon ganz okay, als ihn sein Vater eines Samstagnachmittags 1977 für einen Kinobesuch abholte: Dort sah er "Krieg der Sterne", und ab da sollte ihn seine Begeisterung für Fantasy und Comics nie wieder loslassen.

"Disney-Schas"

Vor der Matura und danach pendelten er und seine "Partie" dann regelmäßig nach London, wo sich der Comicmarkt längst vom "dummen Zeug, das es bei uns gab", in Richtung ernster, anspruchsvoller und gut erzählter Geschichten entwickelt hatte: "Der stets angepisste Alan Moore oder Frank Miller, Garth Ennis mit dem Preacher oder Neil Gaiman mit seinem Sandman", die zu Gerds All-time-Favourites gehören. Mit Disneys "LTB-Schas" konnte er hingegen nie etwas anfangen. Nur Carl Barks, von dem er eine drei Meter breite ledergebundene Komplettsammlung besitzt, und die uralten 30er-Jahre-Mickey-Mouse-Comics interessierten ihn.

Ramsch im "Runch!"? Mitnichten! Gerd Holoubeks Kundschaft kommt aus der ganzen Welt. Hier finden Comic-Fans die Items, die es nicht mal im Internet gibt.
Foto: Christian Fischer

Bald wollte er einen etablierten Comic-Shop überzeugen, auf "coolen englischen Schas" umzusteigen: "Das war der Hutterer auf der Landstraße, aber mit dem war nichts zu machen." Was also tun? Er hatte schon seit langem alle Hefterln und Bücher doppelt gekauft, in Japan zum Beispiel, von wo man damals noch mit zweimal 30 Kilo Freigepäck einreisen durfte. Mit einer Freundin zusammen schleppte er also 120 Kilo Comics und Artbooks nach Wien, immer wieder. "Der Figurenhype kam erst später, in den 90er-Jahren waren die noch unansehnlich!"

Underground-Wahnsinn

Schließlich verkaufte er einen Teil seiner Sammlung und schnorrte sich ein bisserl was vom Vater, und fertig war der Entwurf für ein gelungenes Leben. Nur der Gewerbeschein fehlte, den aber eine Freundin beisteuerte. Mit der zusammen konnte er endlich seinen ersten Laden aufsperren, im alten Why Not in der Esterházygasse. Bald aber entdeckten sie als Alternative den langgezogenen Keller unterm "coolen Turek mit Stern auf der Mariahü". Ein Geschäft, dessen guter Ruf damals gerade ein wenig litt, weil es seine coolen TWA-Pullis und Buffalo-Schuhe so inflationär verkauft hatte, dass es schon wieder uncool war. "Um wieder cool zu werden, hat er uns Underground-Wahnsinnige in seinen Keller gestellt. Leider ging er trotzdem in Konkurs."

Niemand hat so einen Überblick über die Figuren wie Nina.
Foto: Christian Fischer

Zu der Zeit kam auch Gerds langjährige Mitarbeiterin Nina (ihren Nachnamen mag sie nicht nennen) zum Studieren nach Wien, sie war zuvor für ein paar Monate in Amerika gewesen und hatte sich dort mit dem Hello-Kitty-Virus infiziert, trug winzige pastellfarbene Shirts und Spangerln im Haar. Als Kundin entdeckte sie Gerds Shop, der "so zauberhaft war, urfinster, von der Decke hat Putz geregnet". Sie kaufte ein Hello-Kitty-Täschchen bei ihm und schwebte hinaus, traurig erst mal, "weil ich nie hier arbeiten können würde", aber bald noch höher schwebend, als ein Anruf kam: "Wir suchen wen!"

Sie musste einen Assessment-Test machen ("Wer ist Boba Fett? Wer ist Mrs. Krabappel?") und bestand ihn bravourös: "Ich hab mich so gefreut! War so stolz! Und bin es nach 22 Jahren noch immer!" Man glaubt ihr jedes Wort, wenn man sie so reden hört.

Ein Hort für Yoda

Gerd übersiedelte den Laden in die Kaiserstraße, wo sie nun seit … "Oida! Seit 30 Jahren schon?" … residieren. Dort entwickelte er, während er parallel im Flex Partys hostete, seine Spezialvorlieben in Richtung amerikanischer Markt, stopfte jeden Quadrat- und Kubikzentimer voll, und den Rest, den er hier nicht unterbrachte, räumte er in seine 120-Quadratmeter-Wohnung, in der ebenfalls nichts mehr Platz hat. Anfangs kamen – "Wie im klassischen Plattenladen!" – nur Männer ins Geschäft, die Frauen kamen nur als Begleitung oder um ein Geschenk für den Freund zu kaufen.

Durch die Mangas kommen mehr Frauen, von denen er immer dachte, "die wären viel zu vernünftig", um ihr ganzes Geld "für so einen Sammelschas rauszuhauen". Aber falsch gedacht! Mittlerweile zieht der Laden Kunden und Fans aus aller Welt an, "die sich niederknien, wenn sie das hier sehen".

Jeden Tag eine Kiste mit neuen Sachen.
Foto: Christian Fischer

Er hortet nämlich alles, macht nie einen Abverkauf, "sodass du 50 Prozent der Sachen, die wir hier haben, niemals im Internet findest". Er zeigt mir sieben verschiedene Luke Skywalkers – "Das tut sich kein Laden an!" –, einen Salacious Crumb um 650, einen Yoda um 999 Euro. Er zeigt 70er-Jahre-Hefterl zum Preis von 30 bis 40 Euro, die im Einkauf 25 Cent kosteten. Manche Comics freilich sind noch viel teurer, aber die hängt er nicht hier aus. Wie von Wirtschaftsagenturen werden diese geratet bis zum Bestzustand 10 ("Quasi druckfrisch, nie angefasst und luftdicht im Plastikblock!"), vom Zustand 9 auf den Zustand 9,8 würde sich der Preis verdoppeln.

Der ewige Fan wurde also zum Kaufmann, als er zu Beginn der 2000er-Jahre ein 70er-Hefterl las, in dem hinausposaunt wurde: "Erstes Superman-Hefterl aus den 40er-Jahren um 30.000 Dollar verkauft!" Zum Zeitpunkt des Lesens war es dann aber schon eine Million wert! Also dachte Gerd: Wenn ich jetzt in den 60er-Jahre-Marvel-"Schas" investiere mit den ganzen Stan-Lee-Sachen (ein legendärer Marvel-Zeichner, Anm.), dann erspare ich mir die Gebühren für den Investmentbanker und baue mir selbst eine Zusatzpension auf.

Captain Kirk am Bett

Obwohl Schüler und Schülerinnen für ein Praktikum bei ihm Schlange stehen, muss er alle wegschicken, weil er nie ein digitales Warenwirtschaftssystem installiert hat. Vielleicht auch, weil Nina sowieso alles immer im Griff hat und im riesigen Lager zielsicher nach jenen Items sucht, die nachgeräumt werden müssen.

"Wir kriegen jeden Tag eine Kiste mit neuen Sachen", schwärmt sie. Mit Kennerblick sucht sie dann nach einem Plätzchen, an dem sie fragile Türmchen bauen kann, "ein winziges Item unten, ein riesiges drauf, ganz oben noch mal was Kleines." Zu Hause ist es nicht ganz unähnlich. Da steht Michelle Pfeiffer als Catwoman über ihrem Bett, "die ist immer umgefallen, bis mir der Gerd eine Riesenbase mit einer Schatztruhe, aus der Diamanten hängen, gebaut hat." Daneben steht ein Rocky Balboa, "aber nicht im Boxeroutfit, sondern im Straßenoutfit, und ein toller Captain Kirk".

Von denen trennt sie sich nur ungern, wenn sie morgens in die Arbeit geht, auf die sie sich andererseits so sehr freut wie am ersten Tag. Warum es also trotzdem immer noch Erwachsene gibt, die sagen, man solle doch bitte schön "etwas Gscheites" lernen? "Ich weiß es nicht!", lacht Nina und baut weiter an einem Turm, den irgendwann ein neuer Gremlin zum Umfallen bringen wird. (Manfred Rebhandl, 14.4.2022)