Der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) gilt vielen rechtsextremen Corona-Maßnahmengegnern als Feindbild.

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Mainz – Deutschlands Innenministerin Nancy Faeser hat nach Ermittlungen zu möglichen Sprengstoffanschlägen und Entführungen von einer "schwerwiegenden terroristischen Bedrohung" gesprochen. Die SPD-Politikerin erklärte am Donnerstag in Berlin: "Die Ermittlungen offenbaren einen Abgrund." Bewaffnete Reichsbürger und radikalisierte Corona-Leugner verbinde ein grenzenloser Hass auf die Demokratie, auf den Staat und auf Menschen, die für das Gemeinwesen einstehen.

Die Entführungspläne gegen Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und die gewaltsamen "Umsturzfantasien" zeigten eine neue Qualität der Bedrohung. "Dieser Bedrohung stellen wir uns mit aller rechtsstaatlichen Konsequenz entgegen", so die Ministerin.

Faeser: "Wir schützen unsere Demokratie"

Mitglieder einer Chatgruppe im Kurznachrichtendienst Telegram sollen in Deutschland Sprengstoffanschläge und Entführungen geplant haben – etwa von Lauterbach. Ermittler unter der Federführung der Generalstaatsanwaltschaft Koblenz und des Landeskriminalamtes (LKA) Rheinland-Pfalz gingen in einer ganzen Reihe von Bundesländern gegen sie vor.

Faeser sagte, die Ermittlungen zeigten eine schwerwiegende terroristische Bedrohung. "Karl Lauterbach und wir alle als Demokratinnen und Demokraten lassen uns nicht einschüchtern", so Faeser. "Wir schützen unsere Demokratie." Erneut hätten sich gewaltbereite Extremisten und Corona-Leugner auf Telegram vernetzt und radikalisiert. "Das zeigt, wie wichtig es ist, mit aller Konsequenz gegen extremistische und terroristische Bedrohungen auf dieser Plattform vorzugehen."

Justizminister Marco Buschmann (FDP) sagte der "Rheinischen Post": "Wer Anschlags- und Entführungspläne verfolgt, legt Axt an unsere freiheitliche Demokratie. Umso mehr bin ich froh, dass unsere Sicherheitsbehörden offenbar sehr gute Ermittlungsarbeit geleistet haben."

Vier Festnahmen

Mitglieder einer deutschlandweiten Chatgruppe aus sogenannten Reichsbürgern und Gegnern der Corona-Politik sollen in Deutschland Sprengstoffanschläge und die Entführung von Gesundheitsminister Lauterbach geplant haben. Damit hätten sie die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzen und das angestrebte Chaos nutzen wollen, um die Macht in Deutschland zu übernehmen, teilten die Ermittler am Donnerstag in Mainz mit.

"Wir haben es mit einer Melange zu tun bestehend aus Verschwörungstheoretikern, Impfgegnern, aber auch Reichsbürgern, die wir eigentlich in dieser Form bisher nicht festgestellt hatten", sagte der Präsident des Landeskriminalamtes (LKA) Rheinland-Pfalz, Johannes Kunz. Es habe in einzelnen Fällen auch Kontakte in die rechte Szene gegeben. "Sie wollten die Regierungsgewalt in Deutschland übernehmen", ergänzte der federführende Koblenzer Generalstaatsanwalt Jürgen Brauer.

Bei bundesweiten Durchsuchungen wurden am Mittwoch vier Beschuldigte festgenommen. Die beiden Hauptbeschuldigten sind ein 55-Jähriger aus dem rheinland-pfälzischen Neustadt an der Weinstraße sowie ein 54 Jahre alter Mann aus dem brandenburgischen Falkensee. Ihnen und den anderen Festgenommenen werden die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat und Verstöße gegen das Waffen- und Kriegswaffenkontrollgesetz vorgeworfen. Sie sollten noch am Donnerstag dem Haftrichter vorgeführt werden.

Bei den Durchsuchungen wurden den Angaben zufolge 22 Schusswaffen, darunter ein Kalaschnikow-Sturmgewehr, sowie Munition, Bargeld, Goldbarren, Silbermünzen und Devisen sichergestellt. Dazu kommen noch Handys, Datenträger, gefälschte Impfausweise und gefälschte Testzertifikate.

Schwerpunkt mit fünf Durchsuchungen war Rheinland-Pfalz. Drei weitere Objekte wurden jeweils in Bayern und Niedersachsen durchsucht, je zwei in Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Thüringen. Durchsuchungen gab es zudem in Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein und Brandenburg. Insgesamt waren 270 Polizeibeamte im Einsatz, darunter auch Spezialeinheiten, sowie drei Staatsanwältinnen und Staatsanwälte. Die Festnahme des 55-jährigen Hauptbeschuldigten aus der Pfalz erfolgte den Angaben zufolge bei einer fingierten Waffenübergabe.

Stromausfall geplant

Die Chatgruppe im Kurznachrichtendienst Telegram nannte sich nach Angaben der Ermittler "Vereinte Patrioten", zuweilen aber auch "Deutschland Tag X" oder gab sich weitere Namen. Die Gruppierung, zu der etwa 70 Mitglieder zählen sollen, habe zunächst mit einer "Aktion Blackout" Anschläge auf Stromleitungen und Umspannwerke ausführen und damit die Stromversorgung zusammenbrechen lassen wollen. Danach sollte bei der "Aktion Klabautermann" Gesundheitsminister Lauterbach entführt werden.

"Diese Seite sieht das nicht als eine Geiselnahme, sondern als eine Festnahme, bei der ein Haftbefehl verkündet wird", sagte LKA-Präsident Kunz über den Entführungsplan. Lauterbach sei vermutlich als Ziel ausgesucht worden, weil sich in der Gruppierung auch zahlreiche Corona-Leugner und Gegner der staatlichen Corona-Maßnahmen getummelt hätten, sagte Generalstaatsanwalt Brauer. Es habe "ganz konkrete Pläne" gegeben. Den Angaben zufolge war die "Entführung bekannter Personen des öffentlichen Lebens" geplant, namentlich genannt wurde lediglich Lauterbach. In einem dritten Schritt sei dann die Übernahme der Regierung angestrebt worden.

Das Problem bei solchen Ermittlungsverfahren sei immer die Frage, ob man es lediglich mit "Spinnern" zu tun habe, die die sich im Internet profilieren und vor ihren Mitstreitern "großmäulig" angeben wollten, erklärte Brauer. "In diesem Fall war es aber anders, nämlich in dem Moment, als es darum ging, die Waffen zu beschaffen." Die Gruppierung habe sich Geld und Waffen besorgt. "Da war für uns eben klar: Wir haben es nicht nur mit Spinnern zu tun, sondern mit gefährlichen Straftätern, die ihre Pläne auch umsetzen wollen und wahrscheinlich auch können."

Laut LKA-Präsident Kunz drückte die Gruppierung immer wieder ihre Verachtung für die Bundesrepublik aus. Unter anderem sei der Wunsch geäußert worden, dass der russische Präsident Wladimir Putin nicht nur die Ukraine angreife, sondern auch in Deutschland einmarschieren solle, um hier die Verhältnisse zu verbessern. (APA, 14.4.2022)