Auch wenn man sich in Teilen des Spiels helfen lässt, "Elden Ring" bleibt immer fordernd und das nächste Ableben ist meist nicht weit entfernt.

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In den ersten zwei Wochen verkaufte sich Elden Ring fast zwölf Millionen Mal. In Großbritannien hatte es damit, abseits von Fifa und Call of Duty, den erfolgreichsten Start seit Red Dead Redemption 2 im Jahr 2019 und ließ damit Größen wie Assassin’s Creed: Valhalla oder auch Cyberpunk 2077 hinter sich. Auch in den USA sicherte man sich hinter Call of Duty: Vanguard Platz zwei der bestverkauften Spiele innerhalb der letzten zwölf Monate.

Das bedeutet, Elden Ring spielt nicht mehr in einer Liga mit anderen Spielen von From Software, etwa Dark Souls oder Sekiro – die in ihrer gesamten Lebenszeit diese Zahlen nicht erreichen konnten –, sondern misst sich mit einem der erfolgreichsten Platzhirsche der Branche: Grand Theft Auto, das seit seinem Erscheinungsjahr 2013 rund 160 Millionen Stück verkaufen konnte.

Achtungserfolg

Das ist in vielerlei Hinsicht beachtlich, steht doch nicht nur die Zugänglichkeit des Spiels weiterhin in der Kritik vieler Beobachter. Egal ob Arbeitskollegen, Social Media oder auch in Gaming-Podcasts: Immer wieder wird nach der Zauberformel von Elden Ring gefragt. Viele verstehen weiterhin nicht die bedingungslose Liebe der Fans einer Welt gegenüber, die offenbar gekommen ist, um Spieler zu quälen. Warum man den Schwierigkeitsgrad nicht auf "einfach" stellen kann, wird oft gefragt – vielleicht gibt es deshalb mittlerweile einen populären Mod für das Spiel, das einen solchen Modus erlaubt.

Es wird aber auch oftmals gefragt, warum man Runen, die für das Spiel so wichtige Währung, einfach verlieren und damit vielleicht sogar Stunden des Spielens zunichtemachen kann? Ein Spiel, für das man offenbar öfter Youtube oder Google anwerfen muss, um das Ende einer Quest oder die gewünschte Waffe zu finden, kann doch unmöglich ein Gradmesser für eine Branche sein, die auch ohne Elden Ring bisher sehr erfolgreich war.

Schuld an so mancher Enttäuschung ist sicher die falsche Erwartungshaltung gewesen. Viele wollten einen US-Marvel-Blockbuster sehen und fanden sich auf einmal in einem asiatischen Horrordrama. Das wurde offenbar bei vielen Empfehlungen, sei es von der Presse oder von Freunden, oft nicht klar genug kommuniziert. Es wurden stattdessen Vergleiche mit Meilensteinen wie Zelda: Breath of the Wild oder Skyrim angestellt, die von der typischen Games-Community offenbar besser zu konsumieren waren. Beide Spiele sind allerdings schon fünf beziehungsweise elf Jahre alt – in der Zwischenzeit ist viel passiert.

Games sind zum Second Screen verkommen

Blockbuster-Games haben längst vergessen, innovativ zu sein. Stattdessen erscheinen sie gerne mal halbfertig (z. B. Cyberpunk 2077, Outriders), mit unlösbaren Problemen auf dem Rücken (z.B. Battlefield 2042), in einer Dauerschleife des Nachpatchens (z. B. Halo Multiplayer, Gran Turismo 7) oder einfach am Markt vorbei (z. B. Back 4 Blood). Viele Spieler sind müde geworden, die ewig gleichen Rituale abzuarbeiten, Türme zu erobern oder vorgefertigte Pfade abzulaufen. Games sind zum Teil zum Second Screen verkommen, fordern uns nicht mehr oder wollen uns mehr ein Erlebnis bieten, als uns die volle Konzentration abfordern zu wollen.

Viele Spieler gieren natürlich nach dieser leichten Ablenkung – speziell nach einem langen Arbeitstag oder weil sie nur wenig Zeit haben, die man lieber mit Erfolgen als mit Misserfolgen füllen will. Aber viele wollen weg vom vorhersehbaren Einheitsmatsch, hin zu Spielen, die den Entdeckerdrang wecken und die Konzentration in jeder Konfrontation einfordern. Es ist nämlich genau diese geforderte Konzentration, welche für die permanente Spannung des Spiels sorgt. Würde man Gegner einfach zerlegen oder Runen eben nicht permanent verlieren können, dann hätte man nicht diese Anspannung, die man bei Elden Ring eben verspürt. Belohnt wird das dann durch regelmäßige Endorphin- und Dopaminschübe, die den Spieler bis zum nächsten Speicherpunkt tragen.

Das Netz ist nicht nur voll mit Tipps zum Spiel, sondern auch mit witzigen Momenten.
Everything Elden Ring | Best Moments & Fails

Neues Mindset

Ich selbst hatte nie Lust auf From-Software-Spiele – genau aus den Gründen, wegen derer viele jetzt über Elden Ring schimpfen. Aber ich habe mich trotzdem in das Abenteuer geworfen, weil ich eben einer von denen bin, die von den meisten Games heute gelangweilt sind. Bei Elden Ring war es anders. Ich hatte die ersten Stunden Freunde im Chat, die mir mental beistanden, somit die ersten 253 Tode von mir live miterlebten durften und mit Tipps meinem Ehrgeiz als Stütze dienten. Ich wurde besser, erkannte Mechaniken bei Gegnern, und wenn mir eine Stelle zu schwer war, dann suchte ich in einem anderen Teil der riesigen Welt nach Erfolgserlebnissen.

Klar, oftmals besuchte ich in einer freien Minute Youtube und holte mir ein paar Tipps und sinnvolle Laufwege, um "richtig" zu leveln. Immer wieder war ich gemeinsam mit Freunden im Chat und immer öfter auch mal alleine im Spiel. Bei Bossen holte ich mir regelmäßig Hilfe von anderen Spielern, nachdem ich die Mechanik des "Multiplayers" einmal verstanden – beziehungsweise nachgelesen hatte. Manche nennen das vielleicht Cheaten, aber das ist mir egal. Einigen Berichten zufolge, machen es Kollegen und andere Spieler ähnlich und haben trotzdem ihren Spaß.

So stehe ich als Vollzeitangestellter und Vater eines kleinen Kindes nach mittlerweile knapp 70 Stunden Spielzeit – quasi jeder freien Minute der letzten sechs Wochen – in einem der letzten Gebiete des Spiels. Ich habe viel geflucht, wollte mindestens vier Mal das Spiel aufgeben, aber stattdessen bin ich drangeblieben. Wenn ich mal nicht spielen konnte, habe ich über das Spiel gelesen oder mit Gleichgesinnten darüber gesprochen. Eine ähnliche Begeisterung hatte ich wohl zuletzt bei World of Warcraft 2004. Dieses kompromisslose Zugeständnis, welches man dem Spiel geben muss, um weiterzukommen, ist reizvoll. Man hat das Gefühl, man muss Elden Ring ernst nehmen – dafür wird man auch vom Spiel ernstgenommen.

Sterben gehört dazu

Ich habe die Souls-Formel akzeptiert. Sterben gehört zum Spielerlebnis, zumindest wenn man keinen neuen Speedrun-Rekord aufstellen will. Man stirbt meistens, weil man einen Fehler gemacht hat, nicht weil das Spiel betrügt – obwohl man es ihm oft vorwerfen will. Das Spiel belohnt Abstecher beziehungsweise ausführliche Erkundungstouren, und es überrascht mit einer Gegnervielfalt und Welten, die man so noch nicht gesehen hat. Das Beste aber gegenüber allen anderen Soulslike-Games ist es, dass man wie bereits erwähnt an zu schwierigen Stellen nicht zerschellen muss, sondern sich anderswo umsehen kann. Damit ist Elden Ring kein zugängliches Spiel, aber mit Sicherheit das zugänglichste von From Software.

Somit hat es nicht nur mich, sondern Millionen anderer Spieler erstmals vergleichsweise sanft in diese Welt des Schmerzes eingeführt. Man darf davon ausgehen, dass nicht alle davon diesen Weg auch in weiteren Games mitgehen werden, aber ein paar Millionen Spieler sind jetzt heiß auf solche Spielerfahrungen. Mehr als auf nachgereichte Mikrotransaktionen, unausgegorene NFT-Ankündigungen oder die x-te Fortsetzung eines bereits zu Grabe getragenen Franchise.

Die optische Abwechslung des Spiels und die Vielfalt an Gegnern, sucht nicht nur in diesem Genre seinesgleichen.
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Abkupfern erwünscht

Auch wenn manche nicht sehen, was Elden Ring anders macht als alle anderen Open-World-Spiele: Von dem Erfolg wird man die kommenden Jahre sprechen. An das Kampfsystem von Dark Souls und Co haben sich bereits über die Jahre viele kleinere und größere Games angelehnt, und auch bei Elden Ring werden sich Hersteller ihre Anleihen nehmen. Vielleicht wird so mancher Hersteller, der seine letzten Open-World-Spiele allesamt gegen die Wand gefahren hat, seinen Mut zusammennehmen und sich auch an ein gewagtes Projekt wagen, das vor Elden Ring kein grünes Licht bekommen hätte.

Zu wünschen wäre es, denn viele Spieler von From-Software-Games klagen, dass ihnen das immer größer werdende Games-Angebot keinen Spaß mehr machen würde. Da es bis zum nächsten Game des japanischen Herstellers wohl noch fünf bis sieben Jahre dauern könnte, sollte jemand versuchen, diese Lücke zu füllen. Spielern darf man mittlerweile ruhig etwas zutrauen. Manchmal zahlen sie es mit Dankbarkeit zurück. (Alexander Amon, 16.4.2022)