Die Rechtsanwälte Katharina Müller und Martin Melzer erklären im Gastblog, wann ein Anspruch auf ein gesetzliches Pflegevermächtnis besteht.

Oftmals werden Pflegeleistungen im Familienkreis erbracht. In aller Regel werden diese aber nicht entsprechend abgegolten, sondern fallen letztlich unter den Tisch. Man kann hier getrost von einem Missstand sprechen, zumal diese Pflegeleistungen mit erheblichem zeitlichem und emotionalem Aufwand verbunden sind. Mit der Erbrechtsreform 2017 wurde diesem Missstand Rechnung getragen und das sogenannte Pflegevermächtnis eingeführt.

Darunter versteht man einen Anspruch auf erbrechtliche Abgeltung von Pflegeleistungen, die von nahen Angehörigen erbracht wurden. Der Begriff der Pflegeleistung ist hierbei erweitert zu verstehen. Nach dem Gesetzeswortlaut fällt darunter jede Tätigkeit, die dazu dient, einer pflegebedürftigen Person die notwendige Betreuung und Hilfe zu sichern sowie die Möglichkeit zu verbessern, ein selbstbestimmtes, bedürfnisorientiertes Leben zu führen.

Höhe des Pflegevermächtnisses

Die Höhe des Pflegevermächtnisses richtet sich nach Art, Dauer und Umfang der Leistungen. Eine konkrete Bemessungsgrundlage, etwa nach Tagessätzen, lässt die gesetzliche Bestimmung aber vermissen. Vielmehr soll sich die Höhe aus dem konkreten Nutzen ergeben, den der pflegende Angehörige verschafft hat.

Dieser Nutzen bemisst sich in erster Linie daran, dass man sich die Kosten für eine Pflegekraft erspart. Da es sich dabei um eine Abgeltung im Familienverband handelt, gebührt hier in der Regel nicht die marktübliche Entlohnung einer professionellen Pflegefachkraft. Eine Orientierung an den Stundensätzen einer Pflegefachkraft kann aber dann geboten sein, wenn die Intensität und Qualität der geleisteten Tätigkeiten vergleichbar sind.

Der Anspruch des pflegenden Angehörigen richtet sich zunächst gegen die Verlassenschaft des Verstorbenen. Da der Angehörige in der Regel zugleich Erbe ist, und für den Fall, dass es andere Erben gibt, stellt sich die Frage, wer letztlich die finanzielle Last des Vermächtnisses trägt. Da das Pflegevermächtnis prinzipiell zusätzlich zum Erbteil oder anderen Leistungen aus der Verlassenschaft gebührt, wird das Vermächtnis letztlich von den anderen Erben finanziert, die dadurch weniger aus der Verlassenschaft erhalten. Der Verstorbene kann jedoch verfügen, dass die Pflegeleistung des Angehörigen in einen allfälligen Erbteil einzurechnen ist. Anderes gilt, wenn der Angehörige nur den Pflichtteil erhalten soll. In diesem Fall gebührt das Pflegevermächtnis jedenfalls zusätzlich zu diesem.

Wer seine Angehörigen pflegt, bekommt unter bestimmten Voraussetzungen ein Pflegevermächtnis.
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Voraussetzungen

Damit ein Anspruch auf ein gesetzliches Pflegevermächtnis besteht, müssen fünf Voraussetzungen erfüllt sein:

1. Eine dem Verstorbenen nahe stehenden Person

Einen Anspruch auf das Pflegevermächtnis haben nur dem Verstorbenen nahe stehende Personen. Dies sind etwa Ehegatten, eingetragene Partner, Lebensgefährten, Kinder und Kindeskinder, Eltern, Geschwister, Großeltern, Onkel und Tanten, Cousins und Cousinen.

2. Pflegedauer von mindestens sechs Monate innerhalb der letzten drei Jahre

Eine ununterbrochene Pflege über sechs Monate ist nicht erforderlich. Es genügt, wenn die Mindestpflegedauer durch Zusammenrechnung kürzerer Zeiträume innerhalb der Dreijahresfrist erreicht wird. Pflegeleistungen außerhalb der Dreijahresfrist sind unbeachtlich.

3. Pflege in nicht bloß geringfügigem Ausmaß

Das bloß geringfügige Maß ist normalerweise dann überschritten, wenn der Angehörige durchschnittlich mehr als 20 Stunden im Monat für diese Pflege aufgewendet hat. Dieser Tätigkeitsumfang liegt zwar deutlich unter den Anforderungen für Pflegegeld Stufe 1 (derzeit 65 Stunden monatlich), fordert aber dennoch einen beträchtlichen persönlichen Einsatz.

4. Keine Zuwendung oder Entgelt

Hat der Angehörige eine Zuwendung, zum Beispiel ein Geschenk oder ein Entgelt für seine Pflegeleistungen enthalten, entfällt das Pflegevermächtnis. Jüngst hat der OGH entschieden, dass wenn eine Gegenleistung für die erbrachte oder zu erbringende Pflege vereinbart beziehungsweise gewährt wurde, diese aber nicht die zustehende Höhe des Pflegevermächtnisses erreicht, das Pflegevermächtnis in Höhe des Differenzbetrages zusteht.

5. Keine letztwillige Verfügung notwendig

Da es sich um ein gesetzliches Vermächtnis handelt, ist eine letztwillige Verfügung, etwa durch Anordnung in einem Testament, keine Voraussetzung. Der Anspruch entsteht nach dem Gesetz.

Das Pflegevermächtnis kann natürlich auch entzogen werden. Dies ist allerdings nur dann zulässig, wenn ein Enterbungsgrund vorliegt oder der Angehörige erbunwürdig ist.

Pflegeleistungen festhalten

Wie so oft sind recht zu haben und recht zu bekommen zwei unterschiedliche Dinge. Damit Letzteres eintritt, braucht es entsprechende Beweise. Es empfiehlt sich daher, zum Beispiel Aufzeichnungen über erbrachte Pflegeleistungen und deren zeitliches Ausmaß zu führen. (Katharina Müller, Martin Melzer, 19.4.2022)