Auf dem Salzburger Hauptbahnhof soll ein 15-Jähriger aus Wien einen Passanten geschlagen haben, ehe er ein paar Stunden später einen Bekannten attackierte.

Foto: Karl Schöndorfer TOPPRESS

Wien – Richterin Alexandra Skrdla wirkt ein klein wenig resigniert. "Herr A., wos tamma scho wieda do?", fragt sie den 15-jährigen Schüler, der mit einer Anklage von zwei Fällen von Körperverletzung vor ihr sitzt. Skrdla kennt den Teenager bereits: Erst im September hat sie ihn wegen eines Faustschlags gegen einen Polizisten zu vier Monaten bedingter Haft verurteilt. Ein Monat später fasste A. bei einer anderen Richterin wegen Raubüberfällen und Gewaltdelikten zwölf Monate teilbedingt aus.

Die Frage, wie viele Monate bedingter Strafe noch offen sind, vergrößert Skrdlas Ernüchterung. A. glaubt, es seien zwölf aus der zweiten Verurteilung. "Die zwölf waren von der Kollegin, und von denen sind noch elf offen. Ich habe offenbar zu wenig Eindruck gemacht", stellt die Richterin bezüglich des Umstandes fest, dass der Angeklagte ihre vier Monate bedingt vergessen hat.

Ausflug nach Salzburg

Diesmal bekennt A. sich schuldig, wiewohl er sich ein wenig als Opfer sieht. Es geht um zwei Vorfälle Ende Februar in Salzburg. Was der eigentlich in einer Wohngemeinschaft lebende Bursch dort überhaupt gemacht habe, interessiert Skrdla als Erstes. "Ich habe Freunde und eine Freundin dort", erklärt der Minderjährige, dessen gesetzlicher Vertreter das Jugendamt ist. Mit dieser Gruppe sei er auf dem Bahnhof gewesen, offenbar rauchte unter ihnen jemand verbotenerweise. Ein psychisch beeinträchtigter Passant beschwerte sich lautstark darüber, der Angeklagte mischte sich ein.

"Ich bin hingegangen und habe gefragt, was los ist. Da ist er hergekommen, und ich hatte das Gefühl, das ist ein Angriff", lässt A. übersetzen. Warum, kann er nicht genau erklären, die Sorge stellte sich nach seiner Darstellung aber als berechtigt heraus. Der Passant habe ihn mit dem Ellenbogen attackiert und dann seinen Kopf hinuntergedrückt, sodass er durch seine verrutschte Haube nichts mehr sehen konnte.

Angebot von 100 Euro Schmerzensgeld in zehn Raten

"Dann habe ich ihn einfach umgeworfen und ihm zwei Faustschläge verpasst. Dann ist ein Freund hergekommen, und wir sind weggelaufen", erinnert er sich. "Warum hat es nicht gereicht, ihn einfach umzuwerfen? Warum mussten Sie noch zuschlagen?", fragt die Richterin nach. "Er hat mich festgehalten, ich konnte nicht davonrennen", antwortet der Angeklagte. Da A. damals auch einen recht massiven Ring trug, sah sein Kontrahent, der 1.760 Euro Schmerzensgeld will, ziemlich übel aus. A., der 280 Euro Taschengeld im Monat erhält, ist bereit, 100 Euro in zehn Raten als Wiedergutmachung zu zahlen.

Einige Stunden später kam es nahe einer Tankstelle zum zweiten Delikt. "Was war da?", erkundigt sich die Richterin. "Der Thomas hat mich die ganze Zeit provoziert. Egal, mit wem ich gesprochen habe, er hat sich immer eingemischt und dazwischengeredet", sagt A. über ein Mitglied der Gruppe. Warum ihm der Staatsanwalt eine versuchte schwere Körperverletzung vorwirft, kann er sich nicht recht erklären. "Es war viel mehr wie eine Rauferei", behauptet er.

Wegen Kriegsverletzung umgefallen

Erst hätten die beiden Jugendlichen sich gegenseitig geschubst, dann habe der Gegner versucht, ihm ins Gesicht zu schlagen, schildert der Angeklagte. "Danach ging es schon intensiv los." – "Wie intensiv?", interessiert Skrdla. "Ich habe ihm einen Schlag in den Bauch gegeben. Dann hat er mich gegen das Schienbein gekickt und ich bin umgefallen, da ich im Krieg eine Beinverletzung erlitten habe", sagt der Iraker.

Dann hapert es mit der Erinnerung. "Wieso er ohnmächtig geworden ist, kann ich mir nicht erklären", ist A. ratlos. Die Richterin hat eine durchaus plausibel klingende Theorie: "Na ja, vielleicht, weil er mit dem Hinterkopf auf den Asphalt gefallen ist und sich eine Platzwunde geholt hat, die auch dokumentiert ist?", stellt sie in den Raum. Damit nicht genug: A. stieg seinem bewusstlosen Kontrahenten Thomas auf den Hals, sodass dieser, als die Polizei eintraf, die ersten Minuten vor Schmerzen gar nicht sprechen konnte.

Termin für Anti-Gewalt-Training vergessen

Da der Angeklagte geständig ist, verzichten alle Seiten auf die Einvernahme der Zeugen. Dafür hat Skrdla an den Angeklagten noch eine Frage: "Sie haben im Oktober vom Gericht die Weisung erhalten, ein Anti-Gewalt-Training zu absolvieren. Im Akt finde ich aber keinen Nachweis, dass Sie das je einen Termin wahrgenommen haben", hält die Richterin A. vor. "Ich habe mir einen Termin ausgemacht, aber dann hab ich es vergessen, wann genau an welchem Tag", lautet die mutige Entschuldigung.

Sein Bewährungshelfer legt dann einen recht positiven Bericht vor. Er habe den Klienten seit November betreut, zunächst seien Themen wie regelmäßiger Schulbesuch und eine mögliche Psychotherapie im Vordergrund gestanden. Negativ seien die traumatischen Erlebnisse im Vorleben und ein delinquentes Umfeld. A. habe dennoch für den Bewährungshelfer glaubwürdig versichert, ein straffreies Leben führen zu wollen.

Hoffnung auf Lehrstelle

Auch der Verteidiger zeichnet ein positives Bild. Sein Mandant, der seit 27. Februar in Untersuchungshaft sitze, denke "langsam an die eigene Zukunft. Er möchte die Schule abschließen und dann eine Lehre machen", berichtet der Rechtsvertreter. "Es tut mir sehr, sehr, leid. Ich bereue es von ganzem Herzen. Meine Zukunft kann wirklich nicht im Gefängnis sein. Meine Mutter hat mir immer das Richtige gesagt, ich habe es nicht geglaubt", erklärt A. in seinem Schlusswort.

Bei einem möglichen Strafrahmen von bis zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt Skrdla ihn zu fünf Monaten unbedingt. "Wenn Sie heute anders reagiert und sich nicht schuldig bekannt hätten, wäre es erheblich mehr geworden", begründet die Richterin ihre Entscheidung. Eine weitere teilbedingte Strafe sei für sie aber nicht mehr infrage gekommen, dafür sei in zu kurzer Zeit zu viel passiert. A. nimmt nach kurzer Beratung mit seinem Verteidiger an, der Staatsanwalt gibt keine Erklärung ab, die Entscheidung ist daher nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 14.4.2022)