In Bildern wie "Arearea no Varua Ino" ("Die Vergnügungen des Bösen Geistes") beschwört Paul Gauguin erotisch-entspannte Südseestimmungen herauf, deren Stereotypisierung man heute auch kritisch sieht.

Ny Carlsberg Glyptotek

Die Realität war nicht seine Sache. Paul Gauguin hat sich in seinen berühmten Bildern von der Südsee weder an der natürlichen Darstellung orientiert noch an der vorgefundenen kolonialen Wirklichkeit auf der Insel Tahiti. Und auch für sich selbst erfand er das Image eines freien Künstlers, der fern von Europa einem ursprünglichen Lebensstil frönte, zu dem auch Geliebte im Teenageralter gehörten. Für die Nachwelt gilt er als Wegbereiter der Moderne, sein fragwürdiges Inselleben war zwar nicht unbekannt, aber in der Kunstrezeption unwesentlich.

Heute kommen an den Debatten um Kolonialismus und Sexismus auch Größen der Kunstgeschichte nicht mehr vorbei. Mit der Ausstellung Paul Gauguin – Why are you angry?, eine Übernahme von der Ny Carlsberg Glyptotek in Kopenhagen, unterzieht die Alte Nationalgalerie in Berlin Gauguins Selbstdarstellung sowie seinem Anteil an der Exotisierung der Südsee einer kritischen Betrachtung.

Siebzig Exponate

In sieben Kapiteln wird Gauguins Schaffen während seiner Aufenthalte auf Tahiti zwischen 1891 und 1893 sowie 1895 und 1901 behandelt und Positionen zeitgenössischer Künstlerinnen aus Japan, Neuseeland und Polynesien gegenübergestellt. Mit knapp 70 Exponaten, darunter auch Holzschnitte und Keramiken, wird eine vielfältige Schau geboten. Besucher dürfen ob vieler Informationstafeln aber nicht lesefaul sein.

Den Mythos Südsee beflügelten schon Europäer wie James Cook mit Fahrten in den Südpazifik im 18. Jahrhundert. In ihren Reiseberichten schafften sie Erzählungen von einem paradiesischen Sehnsuchtsort voll erotischer Freizügigkeit. Diese einfältigen Schilderungen entfachten in späteren Reiseromane ein regelrechtes Südseefieber, das durch die Weltausstellung von 1889 in Paris mit Exponaten aus den Kolonien auch Gauguin ergriff.

Denn der 1848 in Paris geborene, als junger Matrose die Welt umfahrende Gauguin war ein Rastloser. Als erfolgreicher Börsenmakler in Paris fing er an zu malen und widmete sich nach einem Börsencrash komplett der Malerei. In Tahiti hoffte er, dem kapitalistischen Großstadtleben zu entkommen. In einem Brief an einen Freund schwärmte er von einem "Atelier in den Tropen".

Südseetraum der Kunst

Doch längst hatte die französische Kolonialverwaltung die Insel in das europäisch-christliche Korsett gezwängt, wie historische Fotos und eigene Berichte des Künstlers aufzeigen. Von dieser Wirklichkeit enttäuscht, kreierte Gauguin den Südseetraum in seiner Kunst. Besonders eindrücklich vermitteln diese Spannung die Tahitianischen Frauen von 1891 und die daneben hängende Version Parau Api ("Gibt’s was Neues?") von 1892.

In beiden Werken sitzen zwei Frauen am Strand. In der ersten Version trägt eine von ihnen ein hochgeschlossenes Kleid europäischer Art, in der zweiten ein leichtes Tuch um den Körper gewickelt. Als hätte Gauguin ein Korrektiv vorgenommen. Ja, mit ihren strahlenden Farben und der fast spürbaren Trägheit eines heißen Tages am Meer vermitteln sie eine exotische Idylle. Diese wird aber vom melancholischen, nicht verführerischen Blick der Frauen gebrochen. Ob sie selbst von Wehmut gepackt waren oder Gauguin ihnen seine eigene Traurigkeit über das verlorene Paradies ins Gesicht schrieb, bleibt sein Geheimnis.

Ganz offensichtlich wird jedoch, wie er in Briefen und Schriften das selbstgesponnene Narrativ eines "wilden" Künstlers kultivierte – einem, der sich der indigenen Bevölkerung zugehörig fühlte und mit Satirezeitschriften gegen die koloniale Obrigkeit aufbegehrte. Zugleich ließ er sich von Frankreich die Überfahrten auf die Insel finanzieren, nahm minderjährige Mädchen als Haushaltshilfen und Geliebte.

Kein Urteil

Gauguin starb krank und verarmt mit 54 auf der Insel Hiva Ova. Auch nach seinem Tod ist der Traum von der Südsee keineswegs ausgeträumt. Hollywood und die Tourismuswirtschaft fluteten die Welt mit ihren stereotypen und übersexualisierten Bildern, wie Angela Tiatias gelungene Installation aufzeigt. In Vitrinen hat die Neuseeländerin Werbefotos, Filmpostkarten und Touristennippes von halbnackten Körpern, Baströcken und Blumenkränzen vereint. Dazwischen läuft die Videoarbeit Hibiscus Rosa Sinensis, in der die Künstlerin eine Hibiskusblüte verschlingt. Wie schön wäre es, könnte man Klischees einfach auffressen.

Angenehmerweise fällt die Ausstellung kein abschließendes Urteil über Gauguin, sondern legt die Ambivalenz seiner Person und seines Werkes offen. Um die Stellung seiner Werke in der Kunstgeschichte muss man sich keine Sorgen machen, neue Perspektiven können sie Jüngeren wie Älteren näherbringen. Vom Künstlermythos muss man dagegen nichts retten, sondern Gauguin als den Menschen annehmen, der er war. (Ina Hildebrandt aus Berlin, 15.4.2022)