Ende der 2000er-Jahre fiel in der österreichischen Philanthropieszene ein Name auf, der vorher vor allem mit Kunstmäzenatentum in Verbindung gebracht wurde. Martin Essl, Geschäftsführer der Baumax-Kette und Sohn des Unternehmensgründers und Kunstsammlers Karlheinz Essl, trat mit dem Essl-Sozialpreis in Höhe von einer Millionen Euro erstmals auf die Bühne von Österreichs Wohltätern. 2008, auf dem Höhepunkt der Finanzkrise, wurde der Jesuitenpater Georg Sporschill als erster Preisträger für seine Arbeit mit Straßenkindern in Rumänien, Moldau und der Ukraine ausgezeichnet.

Essl war mit steilen Ambitionen in seine philanthropische Karriere eingestiegen. Als Muhammed Yunus, Erfinder der Mikrokredite, wenige Jahre davor den Friedensnobelpreis erhalten hatte, "habe ich angenommen, dass Yunus seinen Preis für soziale Leistungen erhalten hat", sagte Essl damals. "Aber den gibt es nicht", also beschloss Essl, einen Sozialpreis in Höhe eines Nobelpreises für soziale Unternehmer zu stiften.

Die globale Finanzkrise holte die Baumax-Kette und damit auch den Millionenpreis ein. Mit Mühe gelang es Martin Essl, das Unternehmen "abzuwickeln" und einen Konkurs zu vermeiden. Auf der Strecke blieben die vom Vater aufgebaute Kunstsammlung samt Essl-Museum sowie der üppig dotierte Essl-Sozialpreis.

"Die Würde des Menschen ist unantastbar" steht auch in Braille auf dem Kunstwerk – für Martin Essl Inbegriff seines inklusiven Ansatzes.
Foto: Zero Project

Zero Project

Aber trotz der Krise kehrte Martin Essl der philanthropischen Arbeit nicht den Rücken. "Ich bin dann auf dem Jakobsweg gegangen, 40 Tage in die Wüste, um mich als 52-Jähriger neu zu orientieren. Ich bin heute dankbar, ein neues Leben zu führen. Gott habe ich versprochen, dass ich bereit bin, die Hälfte meiner unternehmerischen Zeit guten Dingen zu widmen", beschreibt Essl die Metamorphose. Wir sitzen für unser Gespräch im Shared Space des Hauses der Philanthropie in der früheren Wiener Börse. "Nach dem Unternehmensverkauf stellte sich die Frage, wo will ich meine Zelte aufschlagen. Daraus entstand dann mit anderen gemeinnützigen Stiftungen das Haus der Philanthropie. Es ist eine Bürogemeinschaft mit 500 Quadratmetern für 14 gemeinnützigen Organisationen, die in vielen Bereichen tätig sind."

Nach dem Unternehmensverkauf 2014 habe er die sozialen Aktivitäten der Stiftung auf neue Beine stellen müssen. "Es gab damals einen Parallellauf, den Essl Sozialpreis und den Essl Social Index. Dann fehlte das Geld, und wir haben mit dem Zero Project ein ,Best-of‘ von beiden gefunden. Zero Project steht für das Ziel, allen Barrieren für Menschen mit Behinderungen entgegenzuwirken." Leitbild dafür ist die Umsetzung der UN-Konvention der Rechte von Menschen mit Behinderung, die Österreich 2008 ratifiziert hat. Aber die Umsetzung dieses Anspruchs ist weiterhin mangelhaft, in Österreich ebenso wie in aller Welt.

Suche nach Innovation

Nur einen jährlichen Index sozialer Entwicklung zu veröffentlichen sei zu wenig gewesen, "wir wollten Lösungen für Probleme zeigen, die andere nutzen können". Aus dem Familienunternehmen habe er gelernt, Änderung erfolgt durch Innovation, "die suchen wir jetzt für die Inklusion von Menschen mit Behinderung in aller Welt". Jährlich gebe es "Calls for Innovation", die bis 700 Nominierungen nach sich ziehen. 1.000 Expertinnen aus aller Welt würden diese in einem dreistufigen Verfahren "eindampfen" und 80 Siegerprojekte küren. Kriterien seien Innovationskraft, Impact, und vor allem auch Skalierbarkeit, um Neuerungen von einem Land in ein anderes bringen zu können.

Die großangelegte Suche nach innovativen Projekten mündet schließlich in die Präsentation der 80 Projekte in einer jährlichen Konferenz in der Uno-City in Wien. Hier ist auch die für die Umsetzung der Konvention verantwortliche Agentur der Vereinten Nationen ansässig. Wie in vielen Bereichen hat auch dabei Corona Änderungen erzwungen. Bis 2019 wurde die Konferenz mit fast 1000 Teilnehmern und 200 Vortragenden "analog" abgehalten. 2021 musste die Veranstaltung in den Online-Raum ausweichen – was ihre Reichweite wesentlich erhöhte. "Wir haben das auf drei Kanälen mit 85 Stunden Programm drei Tage lang bespielt. Der Lohn für den riesigen Aufwand war, dass wir 10.000 statt 1000 Leute erreicht haben", sagt Essl. Heuer werde die Konferenz hybrid stattfinden, mit rund 400 Teilnehmern vor Ort und erhofften 10.000 online.

Zu den ausgezeichneten Projekten gehörte zuletzt das dänische "Be My Eyes", eine App, mit der sehbehinderte Menschen in Alltagssituationen wie dem Einkauf Hilfe durch freiwillige Buddies erhalten können. Je nach Situation kann dabei etwa ein Etikett über die Kamera gesprochen erklärt werden. Ein israelisches Projekt, gleichfalls ausgezeichnet, kann mithilfe künstlicher Intelligenz die schwerverständliche Sprache "nonverbaler" Personen, etwa nach einem Schlaganfall, übersetzen.

Ausbaufähig

Die Umsetzung von Innovationen will Essl nicht allein einer Konferenz überlassen. Ein Marktplatz nach Art von Booking.com macht die vielfältigen Erfahrungen dauerhaft zugänglich. Die Zusammenarbeit mit einer chilenischen Familienstiftung wirkt in den spanischen Sprachraum hinein. Accelerator-Programme für besonders vielversprechende Projekte sollen helfen, den Impact in andere Länder zu übertragen. Unternehmensdialoge, die Essl in Österreich hält, werben dafür, mehr Menschen mit Behinderung einzustellen. "Jeder Mensch, egal in welcher Situation, muss dieselben Chancen haben. Die Qualität einer Gesellschaft ist es, wie sie mit Menschen umgeht, die aus dem Gros der Bevölkerung herausfallen. Das sind 15 Prozent, und keine Randgruppen", ergänzt er.

Für gemeinnützige Stifter sieht Essl in Österreich trotz guter Entwicklungen "Luft nach oben". Es habe sich zwar viel getan, mit den "Sinnstiftern" haben sich inzwischen zwölf Stiftungen zusammengeschlossen, die gemeinsam Sozialprojekte und Bildungsinitiativen entwickeln. Das Ziel dabei sei nicht, staatliche Verantwortung zu ersetzen, sondern Neuerungen zu schaffen, die dann von der öffentlichen Hand übernommen werden.
"Aber wer Bildungsinnovationen unterstützt, muss Kapitalertragssteuer zahlen. Das passt nicht. Wenn die Zivilgesellschaft will, dass vermögende Menschen mehr für die Gesellschaft tun, muss man auch entsprechende Rahmenbedingungen schaffen." (Helmut Spudich, 19.4.2022)