Gerhard Polt studierte im Lockdown das Leben der Päpste.

Foto: Servus TV / Florian Wiesner

Hör mal, wer da spricht? In "Die Vroni aus Kawasaki" sind es Michael Ostrowski und Gisela Schneeberger.

Foto: NHK Entrprises

Gerhard Polt ist der Opa.

Foto: NHK Entrprises

Wie es halt so ist, wurde die Idee zu "Die Vroni aus Kawaski" in einem Hotelzimmer geboren. Gerhard Polts Sohn Martin sah in Japan eine Serie, von der er kein Wort verstand und die er synchronisieren wollte. Ein Projekt, das er mit "Hanbun, Aoi" wieder aufnahm. "Hanbun, Aoi" ist eine äußerst beliebte Soap über eine neunjährige Wirtstochter in einer japanischen Stadt der 1980er-Jahre. In dem lebendigen Mikrokosmos um Eltern und Großeltern und Dorfbewohnern sah, oder vielmehr hörte der Sohn sofort den Vater. Das wiederum hatte zur Folge, dass Martin seinen Vater mit der Idee konfrontierte, die Serie ins Bayrische zu übersetzen. Selbiger, nämlich Gerhard Polt, war sofort begeistert, Gisela Schneeberger und Michael Ostrowski auch, und deshalb gibt es ab 19. April zunächst auf der Streamingplattform Servus TV On zehn Folgen von "Die Vroni aus Kawasaki". Am 14. Mai auf Servus TV.

STANDARD: Wo sehen Sie Ähnlichkeiten zwischen bayerischer und japanischer Lebenskultur?

Polt: Ich muss gestehen, diese Ähnlichkeiten waren mir bis dato ziemlich fremd. Die Idee geht ja auf meinen Buben zurück, der eine ähnliche Serie vor mehr als 10 Jahren in Japan in einem Hotelzimmer gesehen und sich gefragt hat, wie es wäre, wenn man sie auf Deutsch überträgt und den Menschen einen Dialekt gibt. Diese Idee hat er mir vorgetragen, und ich bin gleich aufgesprungen. Synchronisation ist etwas aus meiner Sicht Spannendes, weil ich einmal einen Mordsartikel gelesen habe über die Folgen der Synchronisation. Lippensynchron zu synchronisieren heißt, du musst die Mundbewegungen mit den Sinnfälligkeiten koordinieren. Dann hast du so einen Fall, dass ein Kind im Film einen Grießbrei isst und sagt: "I hate it." Und das deutschsprachige Kind sagt: "Ich hasse es." Das Kind hasst auf einmal den Grießbrei, obwohl er es eigentlich nur nicht mag. Aber das Kind im Film kann das in der Synchronisation nicht sagen, weil der Satz mit den Lippenbewegungen nicht zusammenpasst. Also hast du heute immer mehr Kinder, die Dinge sprechen, die im Deutschen völlig verfremdet werden. Der Sinn und die Emotion, die Intention werden verbogen. Synchronisation erzeugt eine Kunstsprache, die in Alltagssprache einmündet und so Denken und Sprechen verändert.

STANDARD: Alltagssprache verändert sich schon durch deutschsprachige Filme und Serien selbst, wenn zum Beispiel in Soko Kitz die Polizisten in Tirol Wiener Dialekt sprechen.

Polt: Die Sprache ist miserabel. Da bin ich d’accord, das hat aber nichts mit Synchronisation zu tun. Ich wollte etwas zu dieser Übermacht des Englischen bei der Synchronisation ins Deutsche sagen. Bei uns war es anders: Wir haben uns das im Original angeschaut und uns überlegt: Was sagen die jetzt? Mit der deutschen Übersetzung wollten wir daraus eine dialektale Form erschaffen, und es ist wirklich komisch, mit der Sprache werden diese Menschen auf einmal ganz andere, sie schauen anders aus, Gestik, Mimik, das Ambiente sind ganz anders. Wir drücken denen unseren privaten Stempel auf.

STANDARD: Folgt der Text der Erzählung – die Geschichte ist dieselbe?

Polt: Es sind Familiengeschichten, eine Art Soap und nicht so schlecht gemacht, kein Ramsch. Ernst gedacht und ernst gemeint.

STANDARD: Die Rollenverteilung stand von Anfang an fest?

Polt: Wir haben zuerst einen Trailer gemacht und gemerkt, dass uns das sehr viel Freude bereitet hat. Natürlich ist das eine Form von Verfremdung, das wird schräg. Das wird einfach schräg.

STANDARD: Wie kam es zur Entscheidung Gisela Schneeberger die Rolle der jungen Mutter von Vroni zu geben?

Polt: Das war die Idee vom Martin.

Martin Polt: Sie passt einfach perfekt.

Die Gisela ist ja jetzt auch nicht mehr die Jüngste, sie hat das aber sehr gern gemacht. Es hat ihr gefallen. Für uns alle war das Neuland, aber wir haben gemerkt, dass wir uns immer mehr mit diesen Figuren identifizieren.

STANDARD: Wie haben Sie den Akt des Synchronisierens erlebt? Die Situation der Synchronisation war anders – Synchronsprecher erzählen von dunklen Studios, in denen Sie alleine stehen. Bei Ihnen wirkte es wie auf einer Bühne.

Polt: Wir waren im Team und hatten eine Mordsgaudi, wir haben uns gegenseitig angefeuert im Formulieren, im Wort schöpfen, im Betrachten der Figuren. So haben wir dieser Geschichte eine andere Seele gegeben, nicht wissend in der Umdrehung, was Japaner damit anfangen könnten, wenn sie unsere Synchronisation sehen.

STANDARD: Japanisch klingt für uns in seiner Tonalität höflich und respektvoll. Haben Sie Rückmeldungen, wie das Bayrische auf Japaner wirkt?

Polt: Keine Ahnung. Mein Japanisch ist auf drei Wörter beschränkt, Sushi, Harakiri, Tsunami. Ich kann nur sagen, was uns ein Professor der Münchner Kunstakademie erzählt hat, der auf Besuch in Japan war. Er hat erzählt, dass es dort Hirschen gibt, die machen "Iiiiii-iiiiiii!". Wie macht der Hirsch? "Iiiiii-iiiii." Sage ich, du entschuldige, aber der Hirsch macht doch "Öööööööööööö". Nein, hat er gesagt: "Iiiii-iiii." Und durch Zufall sehe ich irgendwann eine Dokumentation über Hokaido. Da waren Affen im warmem Wasser und Hirsche – und tatsächlich haben die Hirsche "Iiiiii-iiiii" gemacht. Der Mann hat Recht.

STANDARD: Was schließen wir daraus?

Polt: Dass die Hirsche in Japan akustisch doch ganz andere Wege eingeschlagen haben.

STANDARD: Beobachten Sie eine Veränderung des Humorverständnisses im Publikum durch die Corona-Pandemie? Lachen die Leute heute leichter?

Polt: Ich habe die letzten zwei Jahre fast nirgendwo gespielt, und jetzt vor kurzem in Zürich und in Hamburg. Ich kann nur so sagen: Die Leute waren sehr lachwillig, sie wollten sich unterhalten. Sie waren froh, dass es etwas anderes gibt, dass sie wieder ins Theater gehen können. Aber mir haben wiederum andere erzählt, dass die Leute im Theater auch ängstlich sind. Die Münchner Kammerspiele beklagen, dass der Zulauf zögerlich ist, nicht nur bei humoristischen Sachen, sondern auch bei anderen.

STANDARD: Wie ist es Ihnen in den zwei Jahren gegangen?

Polt: Ich habe im Lockdown ein kleines Buch geschrieben und sehr viel gelesen. Irgendetwas muss man ja machen. Jetzt durch den Krieg frische ich mein Russisch auf, damit ich mit den Ukrainern, die bei uns stationiert sind, sprechen kann. Und ich habe das Leben aller Päpste studiert.

STANDARD: Aller?

Polt: Vom Papst Linus I. bis zum heutigen, und ich muss sagen, das habe ich nicht bereut. Es gibt Bücher, die du immer in Kapiteln lesen kannst. Don Quichote, zum Beispiel – ideale Nachtlektüre, drei, vier Seiten, ein Kapitel und man legt es wieder weg. Und so war das auch bei den Päpsten. Man muss dazu sagen, es sind geschätzte 334 Päpste – geschätzt deshalb, weil es zeitweise drei oder vier Päpste gleichzeitig gab, und deren Papsttum strittig ist.

STANDARD: Wieso interessieren Sie sich für Päpste?

Polt: Ich habe in grauen Vorzeiten politische Wissenschaften studiert, und da hat mich Geschichte besonders interessiert. Auf die Päpste kam ich über den Papst Formosius, dessen Geschichte fast ein Filmstoff ist. Der Papst Formosius ist von seinem Nachfolger als Häretiker bezeichnet worden, weshalb sie seinen Leichnam wieder ausgegraben, das Skelett angezogen, ihm die Bischofsmütze aufgesetzt und an die Seite einen Advocatus diaboli gestellt haben. Das hat dem Formosius aber nichts genützt, er wurde trotzdem verurteilt und noch dazu hat man ihm die Finger abgetrennt, weil er mit denen gesegnet hat. Es hat nicht lange gedauert, und sie haben den Leichnam gepackt und wieder vergraben. Kurz darauf ist der Papst, der den Formosius als Ketzer verurteilt hat, stranguliert worden. Dann haben sie den Formosius wieder ausgegraben. Unglaublich! Wenn man einen historischen Film machen wollte, da gäbe es unglaubliche Sachen zu erzählen.

STANDARD: Die Bandbreite des Erlaubten ist enger geworden, wie es scheint. Dürfte man heute einen Sketch wie Mai Ling noch machen – oder könnte das womöglich schon als beleidigend für asiatische Menschen ausgelegt werden?

Polt: Die Frage nach dem Dürfen würde ich mir gar nicht stellen, ich mach‘s einfach. Die Frage, was du für sogenannte Shitstorms riskierst, ist ja Privatsache. Du kannst einen Shitstorm riskieren, wenn du Fakten erzählst, und du kannst einen Shitstorm riskieren, wenn du Witze machst. Seit vielen Jahren ist es mir ein Anliegen, In der Stadt München ein Forum für den Humor zu kriegen, so dass man wissenschaftlich mit Humor umgeht. Vielleicht haben wir Glück, dass uns die Stadt doch ein Haus gibt. Da geht es um genau die Fragen: Welcher Humor, welcher nicht, wo fängt Blasphemie an, wo sind die sogenannten Grenzen des Humors, der Satire in verschiedenen Kulturen, was sind die Tabus und warum.

STANDARD: Manche beklagen das Diktat des Political Correctness.

Polt: Das interessiert mich nicht, ich kenne kein Diktat, ich kenne auch keinen Diktator. Es gibt für mich keine autoritäre und authentische Person, die mir sagt, worüber ich welchen Witz machen darf.

STANDARD: Dass sich heute Künstler von Russland distanzieren, wie stehen Sie dazu?

Polt: Schwierig. Ich würde keinem Menschen zumuten, ihm zu sagen: Du musst dich distanzieren. Das muss jeder Mensch mit sich selber ausmachen. In unserem Fall in München – man weiß da zu wenig über die Hintergründe. Ich bin nicht sicher, ob man insistieren kann. Mir liegt das nicht.

STANDARD: Ist es für Sie von Belang, dass der Sender Servus TV in punkto Covid, sagen wir, eine eigene Linie verfolgt?

Polt: Das habe ich gehört. Aber Entschuldigung, das was ich zu sagen habe, sage ich, und wenn es nicht verfälscht dargestellt wird, kann ich das auch in der "Bäckerblume" sagen. Ich will sagen, dann ist mir das wurscht, Papier ist geduldig.

STANDARD: Am 7. Mai feiern Sie Ihren 80. Geburtstag. Was wünschen Sie sich?

Polt: Was soll ich mir wünschen? Dass ich am nächsten Tag angenehm frühstücken kann.

STANDARD: Machen Sie Pläne?

Polt: Nicht zu meinem 80. Geburtstag. Der Plan, den ich habe, ist schon länger gereift. Wir wollen in den Münchner Kammerspielen eine Revue zum Thema Altersheim und Sterben machen. Eine sehr harte Thematik, und es wird nicht einfach, das mit einer gewissen Ironie und Heiterkeit umzusetzen.

STANDARD: Was hilft gegen den Ernst?

Polt: Ich würde sagen, Wilhelm Busch – ich vermute nur fast, mit der Political Correctness hat’s der auch nicht so gehabt. (Doris Priesching, 19.4.2022)