Laut Staatsanwaltschaft soll eine Frau den Diebstahl ihres Autos angezeigt haben, das bereits drei Tage davor abgeschleppt worden sein soll. Sie kann allerdings belegen, dass sie nach der angeblichen Entfernung noch getankt hat.

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Wien – "Nur weil man paranoid ist, muss das nicht heißen, dass jemand hinter einem her ist", könnte man einen englischen Sinnspruch grob übersetzen. Die vor Richter Stefan Renner sitzende Angeklagte vermutet eine Verschwörung gegen sie, und im Laufe des Prozesses um Falschaussage und Vortäuschung einer Straftat beginnt man sich zu fragen, ob da nicht etwas dran sein könnte.

Die über 50 Jahre alte Angeklagte war einst mit einem prominenten Rechtsanwalt verheiratet, die Trennung artete in einen jahrelangen Rosenkrieg aus. In diesem Zusammenhang soll auch die erste Vorstrafe wegen Betruges ergangen sein, die die Angeklagte mittels Wiederaufnahmeantrag revidieren möchte, wie sie dem Richter verrät.

Geduldiger Richter

Renner braucht und hat eine Engelsgeduld. Denn die Angeklagte verlangt zunächst eine Vertagung. "Verzeihen Sie, wer ist der Herr?", fragt sie den Richter und deutet auf Verteidiger Leonhard Kregcjk. Der ist der Ersatz für den bestellten Verfahrenshelfer und hatte vor dem Verhandlungssaal versucht, mit der Angeklagten zu sprechen, wurde von ihr aber kühl ignoriert. Auch gegen den eigentlichen Verfahrenshelfer hat sie Vorbehalte, sie hat sogar bei der Rechtsanwaltskammer einen neuen beantragt, was von dem Standesgremium aber abgelehnt wurde. Erst nach einigen Diskussionen erklärt sie sich bereit, doch auszusagen.

Es geht um den Jänner 2017, als das Auto der Angeklagten verschwand. Staatsanwältin Kristina Jahn vertritt die Anklage, in der der Frau vorgeworfen wird, sie habe einen Diebstahl des Fahrzeuges vorgetäuscht. Tatsächlich habe sie gewusst, dass der Leasingwagen am 17. Jänner aus der Parkgarage eines Supermarkts, weil sie illegale Dauerparkerin war, abgeschleppt worden sei, und habe trotzdem am 20. Jänner eine Diebstahlsanzeige für das Auto und darin enthaltene Gegenstände erstattet.

Glatteis führte ins Krankenhaus

Stimmt nicht, kontert die Angeklagte. Sie habe am 19. Jänner einen Termin gehabt und ordnungsgemäß mit Parkschein einen Schrägparkplatz auf der Straße genutzt. Nach dem Termin sei sie auf dem Glatteis ausgerutscht, habe sich an der Hand verletzt und sei ins Spital gefahren. Dafür gibt es auch eine Ambulanzkarte. Als sie zurückkam, sei ihr Auto verschwunden gewesen.

Sie habe zunächst bei der Polizei und einem großen Abschleppunternehmen angerufen, dort habe aber niemand etwas gewusst. Am 20. Jänner sei sie daher selbst zur Polizei gegangen, dort habe ihr ein Gruppeninspektor erklärt, er werde einen Rundruf bei Abschleppunternehmen starten, sollte der ergebnislos bleiben, werde er eine Diebstahlsanzeige schreiben.

Da es ein Leasingauto gewesen sei, hätte sie auch gar keinen finanziellen Vorteil von einer fingierten Anzeige, argumentiert die Angeklagte. Im Gegenteil, als sie im Februar erfuhr, dass ihr Wagen auf dem Parkplatz einer Abschleppfirma stand, habe sie noch horrende Gebühren zahlen müssen, um ihn am 10. Februar wieder auszulösen.

Entlastende Tankrechnung

Darüber hinaus ist sie überzeugt, einen sicheren Beweis für ihre Version zu haben: Sie kann nämlich die Kopie einer Tankrechnung vorweisen, auf der auch ihr Kennzeichen vermerkt ist – und die stammt vom 18. Jänner 2017, also einen Tag nachdem laut Anklage der Wagen bereits abgeschleppt gewesen ist.

Der Tankstellenbesitzer wird als Zeuge befragt und sagt, die Rechnung sei "mit hundertprozentiger Sicherheit" am 18. Jänner ausgestellt worden. Die Angeklagte garagiere ihr Auto auch gelegentlich bei ihm, und wenn er darum gebeten werde, schreibe er auch das Kennzeichen auf die Rechnung. Als ihn die Angeklagte gebeten habe, ihr eine Kopie des Rechnungsdurschlages auszuhändigen, habe er ihn ausheben lassen.

Unbekannter Kriminalpolizist

Er erzählt aber auch Seltsames: Im vergangenen Sommer sei ein Kriminalpolizist bei ihm erschienen und habe ebenfalls um eine Kopie dieser Rechnung gebeten. Dass es sich um einen echten Beamten gehandelt hat, wisse er, da er sich nicht nur die Kokarde, sondern auch den Dienstausweis zeigen ließ. Er habe das Dokument neuerlich herausgesucht, den Polizisten angerufen und der habe es abgeholt. Allerdings: Richter Renner hat sich bei der zuständigen Polizeiinspektion erkundigt, und dort wurde ihm beschieden, dass nie jemand bei der Tankstelle gewesen sei, geschweige denn eine Rechnungskopie besorgt habe.

Der Fall wird noch mysteriöser, als eine Angestellte des Abschleppunternehmens als Zeugin auftritt. Aus ihrer Aussage lässt sich Folgendes rekonstruieren: Am 11. Jänner 2017 erhielt die Firma eine Mail von einem Unternehmen, das sich im Auftrag des Supermarktes um illegale Dauerparker kümmert. Dem war ein Bild des Wagens der Angeklagten beigefügt, das einen Zeitstempel vom 2. Jänner trägt.

Fehlendes Protokoll

Dann hat die Zeugin den Ausdruck eines Fotos dabei, das im Computernetzwerk der Firma gespeichert war: Es soll vom 17. Jänner 2017 stammen, da stand der Wagen allerdings auf einer anderen Parkplatznummer. Angeblich habe der Abschleppfahrer dieses Bild aufgenommen. Nur: Welcher Fahrer zuständig war, ließ sich nicht eruieren. Es gibt auch kein Protokoll über die Abschleppung. "Ist das üblich?", erkundigt sich der Richter. "Nein, das ist sehr ungewöhnlich", gibt die Zeugin zu. Vielleicht wisse ihr Kollege, der schon länger dabei sei, Näheres, sagt die junge Frau.

Diesen Mann will Renner ebenso als Zeugen hören wie eine involvierte Polizistin und einen Polizisten, außerdem soll der Mitarbeiter jener Firma, die den Abschleppauftrag erteilt hat, aussagen. Die Angeklagte beantragt darüber hinaus auch die Einvernahme eines an der selben Firmenanschrift residierenden Rechtsanwalts. Dieser sei ein Freund ihres Ex-Mannes, behauptet sie, und stellt vage in den Raum, dass er in eine Intrige verwickelt sein könnte.

Der Richter, der ebenso wie die Staatsanwältin merkbar Gefallen an den geheimnisvollen Umständen des Falls gefunden hat, vertagt für die zusätzlichen Zeugen daher auf den 7. Juni. (Michael Möseneder, 15.4.2022)