Kamran Manafly hat sieben Jahre als Geografielehrer in Russland gearbeitet – doch wegen eines regierungskritischen Instagram-Postings verlor er seinen Job. "Ich möchte nicht ein Spiegel der Regierungspropaganda sein, und ich bin stolz darauf, dass ich keine Angst habe, darüber zu schreiben", hatte der 28-Jährige gepostet, inklusive eines Fotos von sich bei einer Antikriegsdemo am 8. März.

Politische Bildung für junge Schülerinnen und Schüler in Moskau, März 2022.
Foto: AFP

Zwei Stunden später rief ihn die Direktorin seiner Schule im Zentrum Moskaus an und verlangte von ihm, das Posting zu löschen. Der Aufforderung kam er nicht nach, und wenige Tage darauf wurde ihm aufgrund "unmoralischen Verhaltens" gekündigt, erzählt der Lehrer im Gespräch mit dem STANDARD.

Von Anfang an hatte die Schulleitung dem Lehrpersonal unmissverständlich klargemacht, dass es nur die offizielle Meinung der Regierung vertreten dürfe. "Ich aber wollte ein Zeichen setzen und zeigen, dass wir Lehrer sehr wohl eine eigene Meinung haben", erklärt Manafly.

Lehrerinnen und Lehrer genießen in Russland keinen besonders guten Ruf. Wahlen finden – wie in Österreich – häufig in Schulen oder Kindergärten statt, die Pädagoginnen und Pädagogen werden angehalten, sie mitzuorganisieren. "Ich wollte diesem Narrativ, dass wir bloß ausführende Beamte sind, bewusst widersprechen und bereue das Posting nicht – trotz der persönlichen Konsequenzen", erzählt der Lehrer.

"Befreiungsmission"

Seit Kriegsbeginn stellen Kinder und Jugendliche auch an Russlands Schulen Fragen über den Krieg. Ab Anfang März sollte deshalb überall in Russland eine gesonderte Unterrichtsstunde auf Basis von Materialien des Bildungsministeriums abgehalten werden. Die Jugend sei "über die Notwendigkeit der Befreiungsmission in der Ukraine" aufzuklären, um "eine Vorstellung vom historischen Schicksal der Völker Russlands und Neurusslands" zu bekommen.

Den Schülerinnen und Schülern soll außerdem vermittelt werden, welchen Informationsquellen sie trauen können: vor allem dem Präsidenten und der Regierung, außerdem staatliche Nachrichtenagenturen und Medien. "Telegram-Kanälen sollen die Schülerinnen und Schüler jedenfalls nicht trauen. Sie gelten als Fake-News", fügt Manafly hinzu.

Die konkrete Umsetzung dieser Sonderstunde sei zunächst nicht überprüft worden. Doch nun werde auf das Lehrpersonal immer mehr Druck ausgeübt. An der Schule eines befreundeten Kollegen würde etwa verlangt werden, das Sankt-Georgs-Band in Z-Form zu tragen. Dieses schwarz-orange Band symbolisiert in Russland den Sieg über den Nationalsozialismus, und der Buchstabe Z wird als Unterstützung für den Angriffskrieg der russischen Armee gewertet.

"Extremist und Agent des Westens"

"Die Arbeit an Russlands Schulen ist in den vergangenen Jahren immer stärker eingeschränkter geworden", erklärt Manafly. Es sei etwa schon länger üblich, dass Schulen die Social-Media-Profile künftiger Lehrkräfte durchforsten. "Eine Schule wollte mich nur anstellen, wenn ich ein Foto von mir mit der amerikanischen Flagge löschen würde. Diese Stelle habe ich nicht angenommen. Doch für meine letzte Schule war das Bild damals kein Problem", erinnert er sich und erklärt: "Jetzt zeigt die Schuldirektorin meinen ehemaligen Kolleginnen und Kollegen Bilder von Reisen, die mich im Rahmen eines Europarat-Projekts nach Norwegen, Frankreich oder Deutschland geführt haben. Und sie behauptet, ich sei ein Extremist und Agent des Westens."

Flucht ins Ausland

Trotz der schwierigen Umstände in seinem Heimatland und der Tatsache, dass er als Lehrer so bald keine Anstellung mehr finden würde, war Kamran Manafly Mitte März noch fest entschlossen, in Russland zu bleiben. Nachdem die Polizei aber in seinem Wohnhaus aufgetaucht sei und in seiner Abwesenheit Nachbarinnen und Nachbarn befragt habe, habe er Angst bekommen und das Land verlassen.

Nachdem er zunächst bei einem Freund außerhalb Russlands untergekommen war – wo, das will er nicht verraten –, ist er mittlerweile in die USA ausgereist. Dort will er vorerst bleiben. Beziehungsweise: Er muss. (Judith Moser, 15.4.2022)