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Schon die Atommeiler in der Ukraine bereiten dem Westen eigentlich genug Sorgen – nun kommt die Angst vor einem nuklearen Angriff dazu.

Foto: REUTERS/Gleb Garanich

Am Donnerstag ist ein Thema wieder hochgekocht, das über Jahre weitgehend in der Mottenkiste des Kalten Kriegs verschwunden zu sein schien, aber zu Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine doch für Entsetzen im Westen sorgte: Atomwaffen. Nun aber haben zwei Meldungen erneut für Angst gesorgt: Russland werde in seiner Baltikum-Exklave Kaliningrad Nuklearwaffen stationieren, deutete Dmitri Medwedew, Vize-Vorsitzender des russischen Nationalen Sicherheitsrats, für den Fall an, dass Finnland und Schweden der Nato beitreten. Und die CIA, der US-Auslandsgeheimdienst, warnte kurz darauf vor einem Einsatz taktischer Atomwaffen im Ukraine-Krieg.

Angesichts der militärischen Rückschläge Russlands dürfe die Möglichkeit eines Einsatzes taktischer Atombomben nach Ansicht von CIA-Chef Bill Burns keinesfalls auf die leichte Schulter genommen werden. Burns verwies am Donnerstag auch auf eine "mögliche Verzweiflung von Präsident Putin und der russischen Führung". Mit konventionellen Waffen hat es die russische Armee in einem Monat nicht geschafft, den Widerstand des ukrainischen Militärs und der Bevölkerung zu brechen.

Schlagkräftige Alternative

Unter taktischen Atomwaffen versteht man Kernwaffen, deren Wirkungskreis und Sprengkraft deutlich geringer ist als bei strategischen Atomwaffen. Sie könnten auf dem Schlachtfeld – ebenso wie chemische Waffen – theoretisch als schlagkräftige Alternative zu konventionellen Waffen eingesetzt werden. Das Spektrum ihrer Sprengkraft reicht von 0,3 bis deutlich über 50 Kilotonnen. Damit variiert freilich auch ihr zerstörerisches Potenzial, wenn man vergleicht, dass die über Hiroshima abgeworfene Atombombe auch "nur" eine taktische mit einer Sprengkraft von 16 Kilotonnen war.

Für einen Atomkrieg wäre Russland Fachleuten zufolge militärisch bestens gerüstet: Moskaus entsprechendes Arsenal umfasst laut dem "Bulletin of the Atomic Scientists" 1.588 stationierte Atomsprengköpfe, davon 812 auf landgestützten Raketen, 576 auf U-Booten und 200 auf Bombern. Mit den gelagerten Sprengköpfen kommt das russische Arsenal verschiedenen Schätzungen zufolge auf rund 6.000 Sprengköpfe – rund ein Drittel davon taktisch.

Russland könnte eine taktische Nuklearwaffe einsetzen, "um seinen Gegner zu demoralisieren und den Feind daran zu hindern weiterzukämpfen", sagt Pawel Lusin vom Moskauer Institut Riddle. Dabei gehe es um eine Demonstration der Stärke.

"Politischer Hebel"

"Die Russen brauchen verzweifelt militärische Siege, um sie in einen politischen Hebel umzuwandeln", sagte Mathieu Boulègue von der britischen Denkfabrik Chatham House zur Agentur AFP. "Chemische Waffen würden das Gesicht des Kriegs nicht ändern. Eine taktische Nuklearwaffe, die eine ukrainische Stadt auslöscht, schon. Das ist unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen."

Andere Experten sind davon überzeugt, dass Putin keinen Atomkrieg riskieren wird, auch nicht mit taktischen Waffen, die eine Region für Jahrzehnte unbewohnbar machen würden. "Die politischen Kosten wären ungeheuerlich. Er würde die wenige Unterstützung verlieren, die er noch hat. Die Inder würden sich abwenden, die Chinesen auch", sagt William Alberque vom International Institute for Strategic Studies (IISS). "Ich glaube nicht, dass Putin das tun wird."

CIA-Chef Burns sagte, dass sich Moskau mit den Äußerungen zur erhöhten Einsatzbereitschaft seiner Atomwaffen reiner Drohgebärden bedient habe. Bisher hätten die USA dafür aber kaum praktische Belege wie entsprechende Truppenbewegungen oder militärische Vorbereitungen gesehen. (red, 15.4.2022)