Grüne Wellen sparen Autofahrerinnen Sprit – und Radlern Muskelkraft.

Foto: APA/dpa/Gregor Bauernfeind

Rote Ampeln nerven – und zwar wirklich jeden. Auf rund zwei Wochen addiert sich die an Ampeln gewartete Zeit im Laufe eines Lebens. Stop-and-go-Verkehr strapaziert nicht nur Nerven, sondern kostet auch Energie – bei Autos in Form von Treibstoff, bei Radlerinnen und Radlern Muskelkraft.

Vor ziemlich genau 100 Jahren wurde deshalb die grüne Welle erfunden: Wer auf einer Strecke konstant eine vorgegebene Geschwindigkeit fährt, kommt in den Genuss dauerhaft grüner Ampeln. Das betrifft wohlgemerkt vor allem den motorisierten Verkehr – Radfahrende können konstante 40, 50 oder 60 km/h wohl kaum auf Dauer halten.

Zu Zeiten der Klimakrise wollen viele Städte aber nicht mehr das Autofahren, sondern vor allem den Radverkehr attraktiver gestalten. Die grüne Welle schwappt also zunehmend auf die Radwege über. Ein Grund, der Kopenhagen zum Radtopia machte, liegt auch in den ausgefuchsten Ampelsystemen, welche die Stadt nach und nach einführte.

Vorfahrt für Radler in Kopenhagen

Als auf der Nørrebrogade, einer zwei Kilometer langen Straße im Zentrum Kopenhagens, die Ampeln zugunsten der Radfahrenden geschalten wurden, blieben diese auf der Strecke nicht mehr durchschnittlich sechsmal, sondern weniger als einmal stehen, die Reisezeit verringerte sich um gut ein Prozent. Ein ähnliches, durchgängiges Tempo sorgt außerdem für weniger Unfälle. In der Stadt, wo sich zu Stoßzeiten Radler Vorderrand an Kotflügel drängen, ist das durchaus relevant.

Inzwischen gibt es in der dänischen Hauptstadt mehrere Routen, an denen Ampeln Radpendler morgens in die Stadt und am Abend wieder hinauslotsen. Sogar die Windgeschwindigkeit wird einberechnet – werden die Wellenreiter aufgrund von Gegenwind langsamer, passen sich auch die Ampelanlagen an. In den Niederlanden wiederum geben manche Ampeln bei Regen Fahrradfahrern Vorfahrt.

In Österreich hat sich die grüne Welle für Radfahrende noch nicht großflächig durchgesetzt. Die App Trafficpilot will sie nun auch dorthin bringen, wo Ampelanlagen noch nicht auf Radlervorfahrt umgestellt sind. Seit November sind auch Salzburg und Wien dabei, in der Hauptstadt gibt es mit "Grüne Welle Wien" auch eine eigene App, die sich außer beim Branding von Trafficpilot in nichts unterscheidet.

Die App Trafficpilot zeigt an, wie schnell geradelt werden muss, um bei der nächsten Ampel nicht warten zu müssen.
Foto: Philip Pramer

Auf dem grünen Teppich

Sowohl Autofahrer als auch Radlerinnen können sich damit praktisch ihre eigene grüne Welle basteln: Da die App Zugriff auf viele Ampelschaltungen hat, kann sie berechnen, wie schnell oder langsam gefahren werden muss, um die nächste Grünphase zu erreichen. In Wien funktioniert die App an 75 Ampelanlagen rund um die Ringstraße, Prinz-Eugen-Straße und den Landstraßer Gürtel sowie beiderseits des Donaukanals, in Salzburg fast im gesamten Stadtgebiet.

Im STANDARD-Feldversuch auf dem Wiener Ring funktionierte das größtenteils: Montiert an die Lenkstange zeigt die App eine Art Teppich aus roten und grünen Flächen an, welche die Ampelphasen an der nächsten Kreuzung symbolisieren. Ein kleiner Pfeil, der je nach Geschwindigkeit vor oder zurückwandert, prognostiziert, bei welcher Farbe man die Ampel voraussichtlich erreicht. Das ist intuitiv und geht schnell ins Gespür über.

Kommt man doch einmal an eine rote Ampel, zeigt die App einen Countdown an. Blind verlassen sollte man sich auf diesen jedoch nicht. Im Versuch schaltete die echte Ampel am Schottentor erst fast zehn Sekunden später als jene der App auf Grün. Für manche Ampeln gab es gleich gar keine Anzeige.

Kein Eingriff in Ampelphasen

"Das liegt daran, dass viele Ampeln selbst noch nicht wissen, was sie tun werden", sagt Michael Neuner von der Münchner Softwarefirma Gevas, die die Software entwickelt hat. Die meisten Ampeln sind nicht fix geschaltet, sondern reagieren kurzfristig auf Straßenbahnen, Busse oder Einsatzfahrzeuge, die sich im System anmelden. Trafficpilot arbeitet deshalb mit Prognosen, die sich zwar meistens, aber eben nicht immer bewahrheiten. Der Blick sollte also, wie sowieso immer, auf der Straße bleiben.

Eine echte grüne Welle wie in Kopenhagen kann die App aber ohnehin nicht auslösen. "Eigentlich ist sie ein Ampelassistent", sagt Neuner. Das heißt, die App greift nicht in die Schaltung ein, sondern zeigt die Ampelphasen nur an – und diese sind selten für Radler optimiert. Im Test musste die Geschwindigkeit immer wieder zwischen zehn und fast 30 Kilometer pro Stunde angepasst werden, um nicht warten zu müssen.

In Düsseldorf ist man schon weiter: Dort verfügt Trafficpilot über einen Rückkanal, der über die Leitzentrale die Ampel über ankommende Radler informiert, damit diese rechtzeitig auf Grün schalten kann. (Philip Pramer, 18.4.2022)