Jetzt wird’s bunt: Design im Seventies-Stil und viel Spaß mit Ashley Hans Scheirl (links) und Jakob Lena Knebl.

Christian Benesch

Eines kann man sich beim diesjährigen Biennale-Beitrag Österreichs sicher sein: Fad wird er bestimmt nicht. Jakob Lena Knebl und Ashley Hans Scheirl sind bekannt für ihre knalligen Auftritte und bunten Installationen. Seit einigen Jahren stellen die Künstler:innen, die auch privat ein Paar sind, als Duo aus. Für 2023 ist eine große Schau im Palais de Tokyo in Paris geplant. Ihre Kunst ist eine opulente, humorvolle und verführerische Mischung aus Malerei, Skulptur, Fotografie, Film und Mode. Darin hinterfragen sie konventionelle Hierarchien von Kunst und Design genauso wie stereotype Geschlechteridentitäten und liegen damit im Trend. Ihre Ausstellung in Venedig wurde von Mumok-Direktorin Karola Kraus kuratiert und trägt den Titel Invitation of the Soft Machine and Her Angry Body Parts. Den Pavillon haben sich die beiden dafür fair aufgeteilt: links Scheirl mit begehbarer Malerei samt neoliberalem Erdöl, Dandy und goldenem Anus. Rechts Knebl mit bunten 3D-Skulpturen, Designschätzen und Science-Fiction-Landschaft. Und ab Anfang Mai wird eine Ausstellung in Kooperation mit Phileas zum Nebenschauplatz in Wien. Die Biennale eröffnet am 23. April und läuft bis 27. November 2022.

STANDARD: 2019 bestritt Renate Bertlmann das erste weibliche Solo des österreichischen Pavillons. Was bedeutet es für Sie, die erste queere Position zu sein?

Knebl: Obwohl queere Anteile ins Auge stechen, würde es dem breiten Spektrum unserer Arbeit nicht gerecht werden, uns darauf zu reduzieren. So gibt es unter anderem eine intensive Auseinandersetzung mit Malerei und Skulptur, um nur zwei Aspekte zu nennen. Aber es ist gut, dass das Thema in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Als wir zu unterrichten begonnen haben, war das noch nicht so selbstverständlich. Da hat sich in den letzten 15 Jahren einiges getan.

STANDARD: Senden Sie damit auch eine Botschaft für mehr Diversität?

Knebl: Die Gesellschaft war schon immer divers. Aber ja, wir unterstützen es, dass dieser Reichtum in der Öffentlichkeit auch abgebildet wird. Zugleich ist es auch eine Warnung. Viele Errungenschaften, für die Menschen gekämpft haben, laufen Gefahr, durch konservative Politik wieder verlorenzugehen.

Scheirl: Wir leben in einer Welt, die voll sexueller Reize steckt und zugleich unzählige Tabus produziert. Wie kann es sein, dass pornografisierte Bilder im Alltag normal sind und gewisse Praktiken tabuisiert werden?

Knebl: Auf Facebook darf man keine Brustwarzen zeigen.

Scheirl: Und Modemagazine schauen aus wie Softpornos.

STANDARD: Die Körper in Ihren Werken sind queer, hybrid, futuristisch. Und treffen damit den Zeitgeist – können Sie so noch provozieren?

Knebl: Unser Ziel ist es, zu verführen.

Scheirl: Wir machen Satire. Teilweise ist sie bissig bis zynisch.

STANDARD: Ihren Biennale-Beitrag haben Sie in zwei Teile separiert. Wäre es nicht spannender, eine gemeinsame Komposition zu wagen?

Scheirl: Der Pavillon ist ja symmetrisch aufgebaut. Wir nehmen diese Architektur für eine Dynamik zwischen Duo und Solo auf, zwischen ich und wir. Wir wollen zeigen, wie unsere Praktiken verwoben und gleichzeitig eigenständig sind. Aber als Paar sind wir natürlich ständig im Austausch miteinander. Ich übernehme etwas von ihr, sie übernimmt etwas von mir. Das Duo ist schon in unseren Solo-Arbeiten enthalten.

STANDARD: Wo liegen Ihre Gemeinsamkeiten?

Knebl: Wir arbeiten mit der Formel "Trans ... Medium, Genre, Ästhetik, Materialität, Kontext, Identität …" und (de)konstruieren die Identität von Genre, Materialität, Kontexten. Uns inspiriert die Kunstgeschichte, bei mir kommt auch noch Design dazu. In unseren Arbeiten nehmen wir Körper auseinander, spielen mit Fetischismus. Für die Biennale haben wir extra ein Magazin produziert, das sich als Erweiterung des Pavillons versteht. Neben den Ausstellungsansichten und Texten gibt es auch ein Editorial mit einer Kollektion, die in Kooperation mit dem Designer Martin Sulzbacher sowie mit Stoffdrucken von Markus Pires Mata entstanden ist.

STANDARD: Diese sind bunt, poppig, floral. Was interessiert Sie an den 1970er-Jahren?

Knebl: Ihre starken Auswirkungen auf das Heute. Damals entstanden die Bürgerrechtsbewegungen. Die Counterculture der 1960er-Jahre wurden in den 1970er-Jahren Teil des Mainstreams. Es war der Beginn des Zeitalters der Singularitäten, der Personal Computer betrat die Bühne, es gab einen Esoterikboom, aber auch Psychotherapie wurde immer wichtiger. Am Ende der Dekade markierten Margaret Thatcher und Ronald Reagan eine neue Schussrichtung des Neoliberalismus. Das passierte alles in diesem Jahrzehnt, die Auswirkungen sind bis heute spürbar. Ästhetisch entstand eine poppige farbgewaltige Bildsprache. Auch die Formensprachen entwickelten sich weiter. In der Kunst wurde Performance groß. Diese Vielschichtigkeit interessiert uns.

STANDARD: Ihre üppigen Installationen bilden ein Gegenstück zu Trends des Reduzierten. Befürchten Sie, in den Kitsch abzudriften?

Knebl: Das Reduzierte ist nur eine unter vielen Strömungen derzeit. Da wir uns ganz bewusst mit High und Low auseinandersetzen, stellt sich für uns die Frage der Angst nicht. Kitsch ist etwas, das ursprünglich mit der Working Class in Verbindung gebracht und als minderwertig angesehen wurde.

STANDARD: Ist Low also Kitsch?

Knebl: Nicht unbedingt. Aber es geht darum, dass Emotionen in der Populärkultur eine zentrale Rolle spielen. Wenn man so vielschichtig und in gewisser Weise barock arbeitet wie wir derzeit, geht man immer auch ein Risiko ein. Man ist leichter angreifbar. In der Stilepoche des Rokokos kamen kleine Porzellanfiguren in Mode. Dabei ging es um eine sinnlich erotische Komponente im Privaten der Aristokratie. Später wurden sie dann zu Objekten der Massenkultur. Jeff Koons arbeitet beispielsweise ganz bewusst damit.

Scheirl: Unsere Werke weisen auch Brüche auf, vieles ist unfertig und ungeschliffen. Wir wagen uns bewusst an die Grenzen heran.

Knebl: Eines der schönsten Komplimente über unsere Ausstellungen ist "Da würde ich gerne einziehen". Es passt, wenn Menschen ganz nahe kommen möchten. Deswegen sprechen wir bei unserem Biennale-Beitrag auch von "Begehrensräumen".

STANDARD: Kunst als Gebrauchsgegenstand?

Knebl: Ich finde, das klingt nicht schlecht. Design ist im Gegensatz zur Kunst extrem erfolgreich. Ohne Design können wir nicht leben. Jedes Ding, das wir berühren oder auf dem wir sitzen, ist gestaltet.

Scheirl: Na ja, ohne Kunst können wir auch nicht leben. Eine Gesellschaft ohne Kunst?

Knebl: Kunst hat natürlich eine wichtige Funktion in der Gesellschaft. Es wäre ein tristes Leben ohne sie, aber meinen Kaffee in der Früh kann ich auch ohne Kunst trinken. Dafür brauche ich einen Stuhl und eine Tasse.

STANDARD: Erstmals erweitern Sie den österreichischen Pavillon um einen Nebenschauplatz in Wien: Anfang Mai wird eine Ausstellung in Kooperation mit Phileas in einem neuen Kunstraum am Ring eröffnen. Was wird dort passieren?

Knebl: Dort werden Arbeiten ausgestellt, die mit unserem Beitrag in Venedig in Verbindung stehen. Weiters werden wir dort die Bühne und die Aufmerksamkeit, die wir jetzt bekommen, mit unseren Studierenden der Universität für angewandte Kunst sowie der Akademie der bildenden Künste teilen.

STANDARD: Üben Sie so Kritik am Zugang zum Mega-Event der Biennale?

Knebl: Wir wollten die Ereignisse aus Venedig auch in Wien sichtbar machen, weil nicht alle dorthin reisen können. Für eine ganze Familie geht das ganz schön ins Geld. Dieser Aspekt gilt aber nicht nur für die Biennale. Wir fänden es schön, wenn auch Museen so finanziert wären, dass man sie gratis besuchen könnte, und so die Kunst Einzug in den Alltag der Menschen fände. In Österreich besitzt die Kunst immer noch einen schwierigen Stand – sie wird mit etwas Dekadentem, Abgehobenem und Narzisstischem verbunden. (Katharina Rustler, 16.4.2022)