Zeichnung zweier Elfenbeinspechte, links das Männchen mit dem charakteristischen roten Kamm. Die Zeichnung stammt vom legendären US-amerikanischen Ornithologen John James Audubon, dessen Lieblingsvogel der Elfenbeinspecht war.

John James Audubon, gemeinfrei

Nicht nur unter passionierten Birdwatchern genießt der Vogel seit vielen Jahrzehnten Kultstatus. Das liegt weniger daran, dass es sich beim Elfenbeinspecht um die größte Spechtspezies der USA handelt, sondern an der extremen Seltenheit des Vogels. Bereits um das Jahr 1920 galt der Specht, dessen Name sich von der charakteristischen Färbung des Schnabels ableitet, erstmals als ausgestorben; die letzte bestätigte Sichtung stammt aus dem Jahr 1944.

Der heilige Gral der Birdwatcher

Dennoch wurden immer wieder vereinzelte, aber umstrittene Beobachtungen gemeldet, die 2005 etwa auch im Fachblatt "Science" publiziert wurden – und zum ornithologischen Mysterium beitrugen, dem auch einige weiteren Bezeichnungen des Elfenbeinspechts Rechnung tragen. Einer lautet "Holy Grail Bird", weil eine Sichtung dem heiligen Gral der Vogelbeobachtung gleichkommt. Außerdem ist die Spechtart, deren Männchen einen markanten roten Kamm auf dem Kopf zieren, als "Good Lord" bekannt.

Das passt auch gut zu den Osterfeiertagen – und zur Nachricht, dass der Elfenbeinspecht womöglich "auferstanden" sein könnte. Ornithologen behaupten nämlich in einem noch nicht von Fachkollegen überprüften Preprint, dem "lieben Gott" in den Sümpfen des US-Bundesstaats Louisiana gleich mehrfach begegnet zu sein.

Diese neuen Sichtungen kommen auch noch aus einem anderen Grund zum richtigen Zeitpunkt: Im Herbst des Vorjahrs schlug der U.S. Fish and Wildlife Service vor, die Spezies endgültig für ausgestorben zu erklären. Die deutsche Wikipedia-Seite über den Elfenbeinspecht ist gar schon in der Vergangenheitsform gehalten.

Dennoch oder gerade deshalb haben viele Vogelkundler die Hoffnung nicht aufgegeben, auch motiviert von Preisgeldern für Sichtungen: Die Cornell University setzte eine Belohnung von 50.000 Dollar aus, ein Projekt in Louisiana lobte vor zwei Jahren 12.000 Dollar für den Fund eines aktiven Schlafplatzes oder Nests aus. Insgesamt wurden in den vergangenen Jahrzehnten einige Millionen Dollar investiert, um die Existenz des Vogels zu dokumentieren – bis jetzt ziemlich vergeblich.

Neue Beobachtungen, neue Hoffnung

Doch nun gibt es die Beobachtungen eines Teams um Steve Latta, dem Leiter der Naturschutzabteilung der Nationalen Vogelwarte in Pittsburgh: Auf der Suche nach dem Elfenbeinspecht durchsuchten die Wissenschafter drei Jahre lang einen nicht näher beschriebenen Teil der Wälder von Louisiana, um den raren Specht zu sichten und Tonaufnahmen zu machen. Dafür wurden auch unbemannte Kameras und eine Drohne eingesetzt, um Fotos des Tiers zu machen.

Gegenüber der britischen Zeitung "The Guardian" behauptete Latta, dass jedes Mitglied des Teams Begegnungen mit dem Elfenbeinspecht hatte und oft seinen Ruf hörte, der in etwa so klingt, als würde ein Kind in eine Blechtrompete blasen. Latta selbst sah laut eigenen Angaben, wie der Vogel vor ihm nach oben flog und dabei die charakteristischen weißen Ränder seiner Flügel zeigte: "Ich beobachtete ihn etwa sechs bis acht Sekunden lang, was für einen Elfenbeinspecht ziemlich lang ist."

Vergleich von Fotografien möglicher Elfenbeinspechte in Louisiana aus der neuen Studie (A, D) mit dem nachträglich eingefärbten Foto eines Elfenbeinspechts, ebenfalls aus Louisiana (B), und einem Blassschnabelspecht, dessen Foto in Mittelamerika aufgenommen wurde (C).
Foto: Latta et al., biorxiv 2022

Der Ornithologe Geoffrey Hill von der Auburn University, der nicht Teil von Lattas Team war, findet den neuen Preprint, der am Server Biorxiv erschien, "sehr interessant" und hält es für wahrscheinlich, dass die abgebildeten Vögel tatsächlich Elfenbeinspechte seien.

Warum Sichtungen so schwierig sind

Hill, der 2005 an einer weniger erfolgreichen Suche nach dem "Good Lord" teilnahm, hat auch eine gute Erklärung dafür, warum Sichtungen des Vogels so schwierig sind: "Sie haben bessere Augen als wir, sie leben hoch in den Bäumen und fliehen aktiv vor Menschen. Sie sind keine großen Denker, aber sie haben eine ziemlich einfache Strategie entwickelt, um Menschen zu meiden." Menschen, die sich für Vögel interessieren, seien von Elfenbeinspechten fasziniert. Umgekehrt aber würden Elfenbeinspechte die Menschen hassen. (Klaus Taschwer, 17.4.2022)