(Wohnküche. Mutter (42) und Tochter (13) beim Frühstückstisch. Vor beiden Schüsseln mit Müsli. Die Mutter isst dann und wann, die Tochter hat ihre noch nicht angerührt. Beide halten Handys, über deren Displays sie immer wieder wischen.
Pause.)
MUTTER (zur Tochter blickend):
Du isst ja gar nichts. Fehlt dir was?
TOCHTER:
Nein.
MUTTER:
Was ist dann mit dir?
TOCHTER:
Nichts.
MUTTER:
Ich kenn’ dich doch, ich seh’ doch, dass du was hast.
TOCHTER:
Ich bin nur traurig. Dieser Krieg … So viele sterben … Frauen werden vergewaltigt … Kinder –
MUTTER:
Da hast du recht, das kann einen schon traurig machen.
TOCHTER:
Und die hören nicht auf. Warum hören die nicht auf?
MUTTER:
Na ja … In Russland gibt es halt eine starke Propaganda, und die haben eine riesige Armee. Man muss sich vorstellen, Millionen fanatisierte, auf Gewalt gedrillte Männer, denen eingeredet wird, sie gewinnen auf jeden Fall. Klar hören die nicht auf.
TOCHTER:
Aber irgendwas muss man doch tun können, dass sie aufhören.
MUTTER:
Schwer. Gegen eine solche Maschinerie … Da hat ja die Ukraine nichts entgegenzusetzen. Die haben nicht diese Mittel … Nicht diese Brutalität … Die können nur auf individuelle – … So wie diese Scharfschützin zum Beispiel, diese Dings ... (Reicht der Tochter das Handy.) Da, lies selber.
TOCHTER (nimmt das Handy, wischt einmal über das Display und liest murmelnd, nur einzelne Passagen verständlich artikulierend):
Holzkohle … Schon mehrere hundert Treffer … Unter ihrem Kampfnamen "Holzkohle" bekannte Frau … Als "Heldin des modernen Krieges" verehrt … Man kämpfe schließlich gegen "keine menschlichen Wesen" … Versprochen, "bis zum Ende" zu kämpfen … Alle Invasoren auszuschalten … Bereits ähnlich erfolgreich sein wie die berühmte … 309 bestätigte Treffer … (Gibt der Mutter das Handy zurück. Vor sich hin starrend:) Holzkohle …
MUTTER:
Seltsamer Name, nicht?
TOCHTER:
Holzkohle …
(Pause)
MUTTER (schiebt ihrer Tochter die Müslischüssel näher):
Jetzt iss doch was! Du musst was essen. Bist eh viel zu dünn.
TOCHTER (vor sich hin starrend):
Holzkohle …
MUTTER:
Jetzt sei doch nicht mehr so traurig!
TOCHTER:
Ich bin nicht mehr so traurig.
(Pause)
TOCHTER:
Ich bin viel trauriger jetzt.
(Vorhang)

(Antonio Fian, 15.4.2022)