Seinen Ärger über die 19. Verurteilung ließ ein 43-Jähriger nach Prozessende an einer Gangtür im Landesgericht für Strafsachen Wien aus.

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Wien – "Ich würde mich mit Herrn J. nicht abgeben, wenn ich ihn nicht als zuvorkommenden, friedliebenden Menschen kennen würde", sagt die 42-jährige Angeklagte über den ein Jahr älteren Angeklagten. Eine Aussage, die Richter Stefan Huber ziemlich wundert. "Na ja, er hat aber schon einige Vorstrafen", merkt er dazu an. Um genau zu sein: In den vergangenen 23 Jahren hat J. 18 Vorverurteilungen angehäuft. "Aber soweit ich weiß, hat er nie eine Frau angegriffen", nimmt die Zeugin den Angeklagten in Schutz.

Nach ihrer Darstellung war es auch ihr Missgeschick, das am 3. Jänner in Wien-Leopoldstadt zu einem Großeinsatz der Polizei in einem Hotel führte, der J. schließlich auf die Anklagebank brachte. Sie habe nach einer Rauchpause auf dem Balkon die Türe nicht mehr öffnen können, habe geklopft und nach J. geschrien, damit er sie wieder hereinlasse. Ein anderer Gast deutete das als Hilferufe und informierte die Rezeption, die wiederum die Polizei alarmierte.

Mehrere Vorwürfe

Als die Beamtinnen und Beamten erschienen, soll der angeklagte Kärntner sie bedroht haben, versucht haben, einem von ihnen einen Faustschlag ins Gesicht zu verpassen, und sich heftig gegen seine Festnahme gewehrt haben. Die Staatsanwältin wirft ihm daher gefährliche Drohung, versuchten Widerstand gegen die Staatsgewalt und versuchte schwere Körperverletzung vor.

Am ersten Verhandlungstag hatte J. lediglich die Drohung zugestanden, auch jetzt bleibt er dabei: Es habe keinen Schlagversuch gegeben, die Polizei habe völlig überreagiert. Als erster Zeuge wird der Polizist einvernommen, der J.s Faust spüren hätte sollen. "Als Einsatzgrund wurde uns ein Streit mitgeteilt", erinnert der Beamte sich. "Vor dem Hotel hat dann bereits die Rezeptionistin gewartet und gesagt, ein Gast habe von einer Frau auf einem Balkon berichtet, die um Hilfe geschrien habe."

Die drei Uniformierten gingen zur fraglichen Zimmertür, beim Lauschen an ebendieser war nichts zu hören. "Wir haben dann geklopft, worauf eine 'sehr wütende' männliche Stimme zu hören war", schildert der Beamte weiter. J. habe die Tür geöffnet und sie aufgefordert, zu verschwinden, ehe er versuchte, die Tür wieder zuzudrücken. Die Polizisten verhinderten das und forderten Verstärkung an.

Frau mit "Tunnelblick"

"Wir haben dann die Frau im Zimmer wahrgenommen und sie aufgefordert, auf den Gang zu kommen, um die Sachlage zu klären. Sie war total ruhig, hatte aber einen Tunnelblick", weiß der Zeuge noch. Andere Beamten hatten am ersten Verhandlungstag davon gesprochen, die Frau sei verängstigt gewesen. Anschließend ging der Polizist in das Zimmer, dort habe der Angeklagte versucht, ihn zu schlagen, er habe gerade noch ausweichen können. Seine Kollegen seien zu Hilfe geeilt, schließlich habe J. auf dem Boden fixiert werden können, und es seien ihm Handschellen angelegt worden.

"Er hat danach noch versucht, auf uns zu spucken, dann hat er seinen Kopf gegen einen Kasten geschlagen und geschrien: 'Au, ihr habt mir die Nase gebrochen!'", erzählt der Beamte weiter. Erinnerlich ist ihm auch noch, dass der Angeklagte mehrere "polizeiunfreundliche Äußerungen" getätigt habe. "Wie wenn er bereits negative Erfahrungen mit der Polizei gemacht hätte." Die angeklagte Drohung zu einem Kollegen habe er aber nicht gehört. Zu dem soll J. gesagt haben: "Wenn hier gerade nicht so viele Polizisten wären, würde ich dich umhauen. Aber mach dir keine sorgen, ich werde dich schon noch allein erwischen."

Überraschender nächtlicher Besuch

Dann tritt die Zeugin auf, die der Angeklagte zuvor als "meine Frau" bezeichnet hatte. Ist sie nicht, wie sie Richter Huber erklärt: "Er ist ein Jugendfreund, den ich nach langer Zeit im Sommer wieder getroffen habe." Sie habe den Nachmittag mit J. verbracht, gegen 20 oder 20.30 Uhr sei sie schlafen gegangen – um gegen 23 Uhr durch Klopfen geweckt zu werden: Vor der Tür standen die Rezeptionistin und J., der in ihr Zimmer wollte.

Die Zeugin ließ ihn ein, sagt sie. "Ich signalisierte meinen Unmut", behauptet sie. Der Angeklagte habe sein Handy gesucht, dass er, wie sich später herausstellte, im Flur verloren hatte. "Er hat seinen Rucksack komplett ausgeleert. Ich habe ihm gesagt, er soll sein Zeug packen und gehen, dann bin ich eine rauchen gegangen." Als sie die Balkontür nicht mehr öffnen konnte, habe sie geklopft und gerufen, aber J. sei offenbar auf der Suche nach seinem Mobiltelefon nicht im Zimmer gewesen. Schließlich habe er sie hereingelassen.

Kurz darauf habe es geklopft, die Zeugin dachte, dass es wieder die Rezeptionistin sei. Im Gegensatz zu allen Beamten behauptet sie, sie selbst habe die Tür geöffnet. "Ich habe gefragt: 'Was machen Sie da?', dann hat J. gekreischt, dass sie verschwinden sollen und mich gleich mitnehmen." Da sei er aber noch auf einem Sofa im Zimmer gesessen. "Das glaube ich nicht, das weiß ich hundertprozentig, dass ich die Türe geöffnet habe", betont sie. Sie sei weder verängstigt noch geschockt gewesen, lediglich schlaftrunken, da der Angeklagte sie aus dem Tiefschlaf geholt habe.

Missverständnis erklärt

Der Aufforderung der Polizei, auf den Gang zu kommen, sei sie mit einigem Widerwillen nachgekommen, vom Rest der Amtshandlung habe sie nichts mitbekommen. Sie habe nur gehört, wie J. ihren Namen rief und: "Komm, ich brauch eine Zeugin!" brüllte. Auf dem Gang habe sie den Polizisten erklärt, dass alles ein Missverständnis sei und sie überzeugt sei, dass sie J. wieder beruhigen könne, und beschreibt ihn wie eingangs erwähnt als friedliebenden Menschen.

Davon ist am Ende des Prozesses wenig zu spüren. Als der Richter dem Angeklagten erklärt, dass wegen seiner vielen Vorstrafen die mögliche Höchststrafe von drei auf viereinhalb Jahre steigt, ist J. darüber empört. In seinem Schlusswort bittet er um eine milde Strafe für die Drohung und verweist darauf, dass er für seine jüngste Vorstrafe – zwölf Monate unbedingt – eine "Fußfessel" bewilligt bekommen habe. "Wenn ich ins Gefängnis muss, verliere ich alles. Meinen Job, meine Wohnung. Meine Frau habe ich jetzt eh verloren, dann steh ich wieder bei null", hofft er auf eine bedingte Strafe.

Renitenter Angeklagter

Eine Hoffnung, die Huber ihm nicht erfüllt. Er verurteilt J. nicht rechtskräftig zu 18 Monaten Haft. "18 Monate Haft für die Lüge eines Polizisten?", ist der Angeklagte fassungslos. "Es waren mehrere, und ich habe ihnen geglaubt", begründet der Richter. J. will aber nichts mehr hören. "Kann ich bitte eine Zeitbestätigung bekommen? Alles andere interessiert mich nicht mehr!", unterbricht der Angeklagte Huber.

Bevor der Richter dem ohne Verteidiger erschienenen Arbeiter noch seine möglichen Rechtsmittel erklären kann, steht J. bereits auf und will mit den Worten: "Danke für das milde Urteil!" den Saal verlassen. "Herr J., Sie setzen sich jetzt sofort wieder hin! Ich bin noch nicht fertig!", rügt ihn der Richter. Am Ende geben weder J. noch die Staatsanwältin eine Erklärung ab.

Verärgert rauscht der Angeklagte ab, Sekunden später ist vom Gang ein lautes Geräusch zu hören. "Der hat gegen die Tür geschlagen", offenbart ein Gerichtskiebitz, als er den Kopf in den Saal steckt. Huber und die Anklägerin sehen nach, tatsächlich hat die Glasscheibe einer Gangtür mehrere Sprünge. "Herr J., haben Sie gerade die Scheibe eingeschlagen?" will der Richter vom beim Aufzug wartenden Angeklagten wissen. "Nein, ich bin mit dem Fuß gegen die Klinke getreten, um sie aufzumachen", behauptet der Angesprochene. "Da, schauen Sie sich das an. Nicht sehr vernünftig", fordert Huber ihn auf, die Beschädigung zu begutachten. J. ist das ziemlich gleichgültig, er verlässt mit der Zeugin das Graue Haus. (Michael Möseneder, 18.4.2022)