Und wieder war es der Tempelberg oder Haram Al-Sharif, wie die Muslime sagen, auf dem sich die Gewalt entzündete. Es ist Ramadan, der heilige Fastenmonat der Muslime. Jeden Tag beten sie in der Al-Aksa-Moschee, der drittwichtigsten heiligen Stätte des Islam und der wichtigsten heiligen Stätte der muslimischen Palästinenser.

Höchste Anspannung vor der Al-Aksa-Moschee, wo sich muslimische Gläubige und israelische Sicherheitskräfte gegenüberstanden.
Foto: AFP / Hazem Bader

Der Freitag ist der Höhepunkt jeder Ramadanwoche, zigtausende Gläubige reisen an. Die meisten kommen, um nur zu beten. Es gibt aber auch die, die sich bepackt mit Hamas-Fahnen auf den Weg machen, mit Transparenten, auf denen Terroristen verherrlicht werden. Sie schwören, die Moschee zu verteidigen. Und etwas abseits haben Freiwillige schon Steine aufgeschlichtet, um sie bei Bedarf als Geschoß einzusetzen.

So hatte es auch im Mai 2021 begonnen. Wenig später begann der elftägige Krieg mit der Hamas, bei dem tausende Raketen auf Israel abgefeuert wurden und 248 Menschen im Gazastreifen ums Leben kamen. Die Familien, die zwar überlebten, aber ausgebombt wurden, können großteils bis heute nicht in ihre Häuser zurück.

Steine und Schlachtopfer

Denen, die diesen Konflikt anheizen wollen, ist das egal. In den vergangenen Tagen rief die in Gaza regierende Hamas die Palästinenser wiederholt auf, in Massen zur Al-Aksa-Moschee zu strömen, um sie "und unsere Nation" zu verteidigen. Der militärische Arm der Hamas in Gaza droht mit Angriffen auf Israel.

Zugleich zündeln jüdische Extremisten. Die Gruppe "Rückkehr auf den Berg" (gemeint ist der Tempelberg, Anm.) schrieb Preisgelder aus für alle, die sich mit Schafen auf den Weg zum Tempelberg machen, um die Tiere dort zu schlachten. Dass das ein klarer Verstoß gegen den fragilen Status quo wäre, der das Nebeneinander von Juden und Muslimen rund um den Tempelberg regelt, ist ihnen bewusst.

Freitagmorgen ging es Schlag auf Schlag. Israelische Sicherheitskräfte stürmten nach dem Morgengebet das Gelände der Al-Aksa-Moschee. Palästinenser hätten Steine in Richtung Klagemauer geworfen, man habe reagieren müssen, erklärte danach die Polizei. Gruppen von Palästinensern attackierten die Sicherheitskräfte mit Steinen und Molotowcocktails. Und die Uniformierten feuerten daraufhin Tränengas, Blendgranaten und Gummigeschoße in die Menge – und auch ins Innere der Moschee.

Gegen Mittag lag die Zahl der Verletzten laut Angaben des Roten Halbmonds bereits bei weit mehr als hundert.

Dauernervöse Konfliktmetropole Jerusalem

Israel wird seit Ende März von einer Terrorwelle erschüttert. Bei vier Attentaten in israelischen Städten wurden 14 Israelis getötet, dutzende wurden verletzt. Jerusalem, die dauernervöse Konfliktmetropole, blieb bisher wundersamerweise verschont. Zwar gab es auch hier immer wieder Attentatsversuche, jedoch wurden sie vereitelt.

An diesem Wochenende, so befürchten Sicherheitskreise, könnte sich das Blatt wenden. Juden und Jüdinnen feiern Pessach, Christen feiern Ostern, Muslime begehen den Ramadan – und anders als in den meisten Jahren findet alles gleichzeitig statt. Jede der drei Schriftreligionen betrachtet Jerusalem als wichtiges, wenn nicht wichtigstes religiöses Zentrum. Gläubige pilgern in Massen in die Stadt. Klagemauer, Al-Aksa-Moschee und der Kreuzweg Jesu liegen in Fußweite voneinander, die Gassen der Altstadt sind eng und verwinkelt. Da reicht ein einzelner Mensch mit Aggressionsüberschuss, aufgestachelt durch Hetzpostings, die man besonders in diesen Tagen nicht lange suchen muss.

Fragile Regierungskoalition

Die Hamas rief nach den Ausschreitungen auf dem Tempelberg, bei denen bis Freitagnachmittag 400 Palästinenser festgenommen wurden, zur Mobilisierung auf. Die israelische Armee ist in Alarmbereitschaft. Mit dem Beginn des Pessachfestes Freitagabend wurden die Grenzübergänge zum Westjordanland und nach Gaza geschlossen. Lücken im Grenzzaun werden verstärkt überwacht.

Die Eskalation auf dem Tempelberg wird aber auch für die israelische Regierung zur Bestandsprobe. Seit eine rechtskonservative Abgeordnete vor einer Woche der Koalition den Rücken gekehrt hatte, steht das Kabinett von Premierminister Naftali Bennett im Parlament ohne Mehrheit da. Am Freitag machte dann auch Mansour Abbas, Chef der islamischen Raam-Partei, klar, wo er steht: Angriffe seitens israelischer Sicherheitskräfte auf die Al-Aksa-Moschee seien "eine rote Linie". (Maria Sterkl aus Jerusalem, 15.4.2022)