Kolumbianische Soldaten in Las Vegas, Putumayo.

Foto: EPA/Carlos Ortega

Verteidigungsminister Diego Molano bei einer Pressekonferenz über den Militäreinsatz in Alto Remanso.

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Armeechef General Luis Fernando Navarro verteidigt das Vorgehen seiner Soldaten.

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Am 29. März verkündete Kolumbiens Präsident Iván Duque, dass bei einer Militäroperation in der Region Putumayo elf "Narcoterroristen" getötet und vier gefangengenommen worden seien. Seither kommen immer mehr Ungereimtheiten in der offiziellen Version des Tathergangs ans Tageslicht.

Das Dorf Alto Remanso liegt vier Stunden Schnellbootfahrt von der 15.000-Einwohner-Stadt Puerto Leguízamo entfernt, an der Grenze zu Ecuador. In der unteren Putumayo-Region werden auf über 20.000 Hektar Kokasträucher angebaut. Zwei Drogenbanden kämpfen hier um die Kontrolle über den lukrativen Kokainexport, seit sich die linke Farc-Guerilla aufgelöst hat.

Die Staatsgewalt lässt sich hier nur selten blicken, die Zivilbevölkerung ist den Kriminellen schutzlos ausgeliefert. Laut Militärangaben wurden hier in den vergangenen zwei Jahren 454 Personen durch Landminen verletzt.

Am letzten Märzwochenende fand in Alto Remanso ein dreitägiges Fest statt, bei dem Geld für die Errichtung eines Gehsteigs gesammelt wurde. Am Fußballturnier nahmen auch Teams von der anderen Seite der Grenze teil, am ersten Tag wurden etwa 300 Gäste gezählt, die mit Cumbia-Musik, Bier und Anisschnaps die Nacht durchfeierten.

Laut Militärangaben wurde die "Operation Manhlon 4" monatelang geplant. Fünfzig Soldaten waren acht Tage lang auf der Suche nach Carlos Emilio Loaiza Quiñonez alias "Bruno", dem Finanzchef des Comando de la Frontera, einer der beiden Drogenbanden, die einander in der Region bekämpfen.

Nachdem sie die Zielperson am Freitag, dem 25. März, mit großer Wahrscheinlichkeit in Alto Remanso identifiziert hatten, hätten sie wegen der zahlreichen anwesenden Zivilisten den Zugriff verschoben. Am Montagmorgen waren nur noch wenige Feierlustige, darunter mehrere Bewaffnete, anwesend, der Großteil schwer betrunken.

Als dann plötzlich Schüsse fielen, glaubten die Dorfbewohner erst, dass jemand in die Luft gefeuert habe. Doch der Beschuss nahm zu, viele versuchten, die Flucht zu ergreifen. Die Bewaffneten im Dorfpavillon erwiderten das Feuer, nach zwei Stunden waren elf Menschen, darunter vier Zivilisten, tot, vier Dorfbewohner und und ein Soldat verwundet. Das Militär beschlagnahmte fünf Gewehre, eine Pistole und zwei Handgranaten.

Schwarze Uniformen

Mehr als 30 Augenzeugen berichten übereinstimmend, dass die vermummten Angreifer schwarze Kleidung ohne Rangabzeichen getragen hätten. Später landeten zwei Militärhubschrauber, aus denen sie reguläre Uniformen erhalten hätten, die sie überzogen. Das Militär bestritt dies von Anfang an: Die Soldaten trügen bei Einsätzen ausschließlich die 2006 eingeführten Digitaltarnuniformen.

Dann tauchten mit Mobiltelefonen aufgenommene Videos auf. Eines zeigt zwei Männer in Schwarz, die auf dem Boden liegen und mehrere Schüsse abfeuern.

Die schwarz gekleideten Angreifer sind ab 0:50 zu sehen.

Auf dem zweiten spricht ein Mann in Schwarz mit den Dorfbewohnern und setzt sich einen Armeehelm auf.

Mittlerweile bestreitet die Armee die schwarze Kleidung nicht mehr: "Das Heer verfügt über verschiedene Uniformen, die je nach Auftrag zum Einsatz kommen, Spezialeinheiten verwenden auch schwarze Kleidung", erklärte General Juan Carlos Correa. Weiter dementiert wird, dass sich Soldaten umgezogen hätten.

Es fehlen die Gefangenen

Carlos "Bruno" Loaiza, dem der Armeeinsatz gegolten hätte, soll es gelungen sein, mit einem Boot zu flüchten, obwohl auf dem Putumayo-Fluss die kolumbianische Marine patrouillierte. Von den vier von Präsident Duque erwähnten gefangengenommenen "Narcoterroristen" spricht das Militär mittlerweile nicht mehr. Die kolumbianische Staatsanwaltschaft erklärte gegenüber der spanischen Zeitung El País, nur über vier bei der Militäroperation Verletzte informiert worden zu sein. Diese seien medizinisch versorgt und mittlerweile wieder freigelassen worden.

Das regierungsnahe Magazin "Semana" behauptet unter Berufung auf Militärkreise, der angebliche Wohltätigkeitsbasar habe in Wirklichkeit dem Zweck gedient, Kokabauern und -aufkäufer zusammenzubringen. Die Teilnahme an solchen "Kokapaste-Basaren" sei für die Bevölkerung verpflichtend. Als Beweis dient ein ausgedruckter Einladungszettel, auf dem mit Kugelschreiber "CDF" geschrieben steht. Die Abkürzung steht für "Comando de Frontera".

Dass ein Bild der Einladung ohne handschriftliche Ergänzungen bereits acht Tage vor der Semana-"Exklusivmeldung" veröffentlicht worden war, verschweigt das einst seriöse Magazin.

Außerdem wäre es wohl äußerst unvorsichtig, eine derartige Veranstaltung auf Facebook zu bewerben.

100 Flaschen Whisky fehlen

Die Dorfbewohner berichten, dass die Soldaten die elf Millionen Pesos (2.700 Euro), die beim Basar eingenommen worden waren, mitgenommen hätten, außerdem seien mehrere Mobiltelefone entwendet worden.

Dem Betreiber des örtlichen Bordells fehlen hundert Flaschen Buchanan-Whisky, auch er wirft dem Militär vor, ihn bestohlen zu haben. Aus dem Verteidigungsministerium ist zu hören, die sei undenkbar, weil dann jeder Soldat zwei Flaschen hätte mitnehmen müssen. (Bert Eder, 22.4.2022)