Es ist ziemlich genau einen Monat her, es war der 13. März, da poppt auf ihrem Handy eine Pushnachricht auf: Russlands Präsident Wladimir Putin schwebe für die Ukraine nun ein Modell der Neutralität "wie in Österreich" vor, lautet die Meldung. Katharina Nehammer liest sie laut vor. "Vielleicht solltest du nach Moskau fahren und mit ihm sprechen", sagt sie zu ihrem Mann, Karl. So wurde der Grundstein für den Trip des österreichischen Bundeskanzlers zum russischen Despoten gelegt. Das ist zumindest, wie die Geschichte erzählt wird.

Karl und Katharina Nehammer arbeiten beide seit vielen Jahren im politischen Geschäft. Sie kam über das Fernsehen in die PR und zur ÖVP. Er wurde Kanzler.
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Im ersten Moment war es ein flapsiger Vorschlag. Aber als im Kanzleramt, wo sich Katharina Nehammer regelmäßig aufhält, die Idee konkreter wird, dass Karl Nehammer in die Ukraine reisen und Wolodymyr Selenskyj besuchen soll, sei von Beginn an mitbedacht worden: Als neutrales Land müsse man zumindest den Versuch unternehmen, auch nach Russland zu fahren.

Das passe einerseits zu Österreich, andererseits zu der Art, wie Karl Nehammer im Inland positioniert werden soll: als Verbinder. Oder im Wording des Kanzlers, das sich seine Frau für ihn überlegt hat: als "Brückenbauer".

Ohne offizielle Funktion

Katharina Nehammer ist eine in der österreichischen Medienszene bekannte Pressesprecherin und PR-Beraterin. Sie saß im Kabinett des damaligen Innenministers Wolfgang Sobotka und von Verteidigungsministerin Klaudia Tanner – beide gehören der ÖVP an. Auf dem Papier hat die 39-Jährige aktuell keinen Job, aber sie werkt nach Schätzungen ihres Umfelds mehr als 40 Stunden pro Woche ohne offizielle Funktion für ihren langjährigen Gatten, den Kanzler.

Überspitzt könnte man sagen: Katharina Nehammer ist derzeit Hausfrau und Schattenkanzlerin. Sie ist die wohl wichtigste politische und medienstrategische Beraterin des Regierungschefs – allerdings macht sie das ohne Anstellung, ohne klaren Auftrag, unbezahlt, wie es heißt.

Umtrunk mit der Cobra

Der Name der Kanzlergattin ist seit rund zwei Wochen auch einem breiten Publikum bekannt – durch die sogenannte Cobra-Affäre. Katharina Nehammer lud zwei Personenschützer während deren Dienstzeit zu einem "Umtrunk" ein. Einer der beiden soll Geburtstag gehabt haben.

Danach verursachten die Männer der Elite-Einheit Cobra betrunken im Dienstwagen einen Parkschaden. Das alles kam durch ein anonymes Schreiben eines angeblichen Polizeibeamten auf. Der Kanzler reagierte mit einer emotionalen Pressekonferenz, in der er die Vorwürfe weitgehend bestritt. Wer ihm dazu geraten hatte? Seine Frau.

Die Causa Cobra – ursprünglich keine große politische Angelegenheit – wirft nun mehrere Fragen auf: Im Raum steht, dass es zu einer Intervention kam, um den Vorfall als eine Privatangelegenheit der Betroffenen abzutun. Hier wird derzeit der Verdacht auf Amtsmissbrauch gegen den Chef der polizeilichen Einheit geprüft.

Darüber hinaus stellten sich viele der Vorwürfe aus dem anonymen Schreiben nach und nach als richtig heraus – was angesichts seines Pressestatements die Glaubwürdigkeit des Kanzlers beschädigt.

Verschwimmende Grenzen

Und dann ist da noch ein unbedeutender Seitenstrang, der aber die Nehammers gut beschreibt: Argumentiert wird die Zusammenkunft von Kanzlergattin und Elitepolizisten mit Bier und Wein auch damit, dass sich die Familie bei etwas so Persönlichem wie Personenschutz "natürlich" Leute aussuche, die man möge. Auch hier verschwimmt die Grenze zwischen professionell und privat.

Wenn man sich im Umfeld des Kanzlers umhört und nach dessen engsten Beratern fragt, fallen zwei Namen: Katharina Nehammer – und Daniel Kosak, der Pressesprecher Karl Nehammers. Dann folgt eine lange Pause. Für die inhaltliche Detailarbeit ist Markus Gstöttner zuständig, der Kabinettschef im Kanzleramt. Nehammers außenpolitische Beraterin ist Barbara Kaudel-Jensen. Und dann ist da noch Kai Diekmann.

Katharina Nehammer lernt den langjährigen Chefredakteur und Herausgeber der deutschen Bild-Zeitung 2018 bei einer Abendveranstaltung kennen. Beim Essen danach sitzt sie neben ihm. Die beiden plaudern lange, halten danach lose Kontakt.

Als die ÖVP einen externen Berater für den aufkommenden Korruptions-U-Ausschuss sucht, soll Katharina Nehammer Diekmann vorgeschlagen haben. Inzwischen betreibt er die PR-Agentur Storymachine. Diekmann wird unter mehreren möglichen Kandidaten ausgewählt – und den Kanzler später auch in die Ukraine sowie nach Moskau begleiten. Katharina Nehammer fährt nicht mit.

Erste Station: Barbara Karlich

Die Frau des Kanzlers ist eine gelernte und geübte Kommunikatorin. Sie geht auf Menschen zu. Freundinnen beschreiben sie als leidenschaftlich, ehemalige Arbeitskollegen als jemanden, der immer mehr als hundert Prozent gibt. Nehammer ist gut vernetzt – über die österreichische Medienlandschaft hinaus.

Als Tochter des ORF-Moderators Peter Nidetzky wird sie im Wiener Bezirk Hietzing geboren – und verlässt ihn nie; mit ihrer Familie lebt sie dort bis heute. Nach der Matura geht sie dann auch selbst zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk: in die Redaktion der Barbara Karlich Show, eines Talkformats. Nehammer inskribiert zuerst Wirtschaft, dann Jus, beide Studien bricht sie ab. Dann wechselt sie zum damals neu gegründeten Sender Puls TV, der später zu Puls 4 werden wird.

In die Politik

Die erste Berührung mit der Politik hat sie 2004, als sie im Bundespräsidentschaftswahlkampf von Benita Ferrero-Waldner mithilft. Die ÖVP lernte sie über ihren damaligen Freund kennen: Karl Nehammer. Im Jahr 2015 steigt sie beruflich in die Politik ein. Sie wechselt ins Außenministerium – zu Sebastian Kurz. Für ihn macht sie Eventmanagement, organisiert Empfänge. Wenig später wird sie die Pressesprecherin Sobotkas

Nach mehreren Stationen in der Politik – als sie zuletzt im Kabinett der Verteidigungsministerin saß, war ihr Mann Innenminister, was viele für unvereinbar hielten – heuerte sie in der ÖVP-nahen Agentur von Gregor Schütze an. Den Job beendete sie vergangenen August. Im Dezember wurde dann ihr Mann angelobt.

Für das Modell "Kathi Nehammer", wie sie genannt wird, gibt es im Grunde kein Vorbild. "Die Präsenz der Kanzlergattinnen im Kanzleramt war immer sehr gering", sagt der inzwischen pensionierte Spitzenbeamte Manfred Matzka, der zwischen 1999 und 2015 die Präsidialsektion des Kanzleramts leitete.

Selbst Sonja Klima, die ihren Ehemann regelmäßig zu Veranstaltungen begleitete, habe sich am Ballhausplatz, dem Sitz des Kanzleramts, kaum blicken lassen. Auch Krista Schüssel sei nur bei Großereignissen in Erscheinung getreten. Eva Steiner, die Frau von Alfred Gusenbauer, habe ihren Mann manchmal abgeholt. Auch Martina Ludwig-Faymann, eigentlich selbst eine rote Wiener Landespolitikerin, habe sich als Kanzlergattin "in großer Zurückhaltung" geübt.

Modern oder problematisch?

Natürlich, sagt Matzka, "Ereignisse, wo man üblicherweise zu zweit hingeht, weil man etwa eine Tanzpartnerin braucht", da seien die Kanzlergattinnen präsent gewesen: Opernball, Festspieleröffnungen. Aber sonst? "Alles andere ist in Österreich unüblich. Da fällt mir eigentlich nur Lorel Metternich ein, die sehr viel Einfluss auf ihren Gatten hatte." Aber das war zu Kaiserzeiten.

Eveline Steinberger-Kern galt als Frau, die zwar viel mit Christian Kern diskutierte, als er Kanzler war – jedoch zu Hause. Die Freundin von Sebastian Kurz trat überhaupt nur ungern in Erscheinung, Kurz selbst beschrieb sie als unpolitisch. "Da ist Kathi das krasse Gegenteil", sagt jemand, der sie auch aus dem Kanzleramt kennt.

Vor Ort sei Nehammer nicht jeden Tag, aber doch mehrfach die Woche. Manchmal komme sie bloß kurz vorbei für ein Mittagessen oder einen Kaffee. An "formalen Sitzungen" – wie Kabinettstreffen oder Ministerratssitzungen – nehme sie nie teil, wird betont. Aber in den sonstigen strategischen Meetings sitze sie regelmäßig.

Ist das die moderne Auslegung der Rolle der Kanzlergattin? Ein ehrenamtlicher Dienst am Staat? Oder eigentlich problematisch?

Ungeklärte Rolle

Im Kanzleramt gibt es durchaus Menschen, die sich an Nehammers ungeklärter Rolle stören: Ihr Auftreten sei präpotent; spätestens die Cobra-Affäre zeige, dass sie kein Gespür dafür habe, was geht und was nicht. Außerdem unterliege sie keinem Dienstrecht – da gehe es auch um Fragen, wer für ihr Tun verantwortlich gemacht werden kann.

Menschen, die sie schätzen, argumentieren: Sie ist ein Profi, da sei es doch nur logisch, dass der Kanzler auf ihre Expertise zurückgreife. Darüber hinaus: Was wäre die Alternative? Sie sei zwar qualifiziert, aber angestellt könne sie weder im Kanzleramt noch in der ÖVP werden – das rieche sofort nach Postenschacher. Arbeitete sie in einer PR-Agentur, würde jeder staatsnahe Auftrag hinterfragt. In Kritik stand Nehammer zuletzt auch, weil sie ihren Mann bei einer Berlin-Reise begleitet hatte – auf eigene Kosten, wie beteuert wird.

Katharina Nehammer ist jedenfalls ein neuer Typus der Frau an der Seite des Kanzler. Sie ist ein genauso politischer Mensch wie ihr Mann; selbstbewusst, überschwänglich, jemand, der viel lacht. In die Rolle der stillen Begleiterin würde sie nicht einmal passen, wenn sie wollte. Aber sie will gar nicht. (Katharina Mittelstaedt, 16.4.2022)