Der nächste Fall liegt bereit: Michelle Dockery als Staatsanwältin Kate Woodcroft

Foto: Netflix / Ana Cristina Blumenkron

Der nächste große Fall liegt bereits im Fach der Frau Staatsanwältin. Kate Woodcroft nimmt einen Schluck Whisky und schaut aus dem Fenster, lächelt. So schmeckt Erfolg.

Der nächste große Fall ist aber alles andere als Routine. So will es die Geschichte der sechsteiligen Netflix-Serie Anatomy of a Scandal. Der britische Innenminister wird von seiner ehemaligen Assistentin der Vergewaltigung beschuldigt. Er hatte eine Affäre mit ihr. Schwierig, aber das heizt den Ehrgeiz der Justizbeamtin noch mehr an.

"Was noch?", fragt Sophie, die Ehefrau des Ministers. Die Reaktionen von Freunden, als die Affäre an die Öffentlichkeit gerät: "Boys will be boys", heißt es. Die Trostworte erhält der Mann: "Einmal okay. Beim zweiten Mal ade." Solche originellen Entschuldigungen bekommt Sophie zu hören. "Es bedeutete nichts", sagt der Mann. Der Satz bringt Sophie zum Kotzen.

Ausgetretene Pfade, überdrehter Schluss

Die Anatomie eines öffentlichen Skandals aus der Perspektive der betrogenen Ehefrau zu erzählen ist ein spannender Ansatz, den sich Big Little Lies-Macher David E. Kelley und House of Cards-Showrunnerin Melissa James Gibson nach der Vorlage von Sarah Vaughan vorgenommen haben.

Der Gefahr, sich allzu sehr in Stereotypen zu verfangen, entkommt die Serie aber nur halb gut. Das Bild von der biestigen Staatsanwältin, die sich in den Fall verbeißt und die Ehefrau zur großen Gegenspielerin erklärt, entspringt einseitigem Klischeedenken. Als Gerichtssaaldrama folgt Anatomy of a Scandal ebenfalls ausgetretenen Pfaden. Der Überraschungsdreh zum Schluss ist zu viel. Genau von diesem Thema hätte man sich mehr Tiefenschärfe gewünscht. (Doris Priesching, 19.4.2022)