Mit Inseraten beschäftigt sich die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, Inserate haben letztlich Regierungschef Sebastian Kurz aus dem Amt katapultiert. Worauf also noch warten, fragt sich Medienwissenschafter Josef Trappel.

Foto: Uni Salzburg

Am 1. Juli kann Österreich den zehnten Geburtstag des Medientransparenzgesetzes feiern, das 2012 an diesem Tag in Kraft getreten ist. Die Absicht damals: das Dickicht der Inseratenvergabe auslichten. Die Hoffnung damals: fairer Wettbewerb im Glaskasten, Einsicht für alle in die Begünstigungspraxis der öffentlichen Hand für einzelne Medien. Kurzum, den damals schmerzhaft wahrgenommenen Verfilzungswildwuchs zurückschneiden und auf ein öffentlich vertretbares Maß zurechtstutzen.

Doch diese Erwartungen erfüllten sich nicht. Jenseits aller Scham und im Lichte der staunenden Öffentlichkeit zelebrierte Regierung nach Regierung immer noch dreistere Steuermittelabschöpfung im Form von Inseratenschaltungen in Zeitungen, nach einem Muster, das weder branchenüblich noch nachvollziehbar ist. Sondern willkürlich und nach Gutsherrenart. Öffentlich gewordene Chatprotokolle und selbst Aussagen des ehemaligen Bundeskanzlers im Fernsehinterview dokumentieren Gegengeschäftserwartung – von beiden Seiten, der Politik und der einschlägig vorbelasteten Medien.

Normabweichung

Bei der Betrachtung im gebotenen zeitlichen Abstand ist eine grobe Abweichung von der Norm politischer Kommunikationskultur in aufgeklärten Demokratien erkennbar. In anderen Ländern Europas, etwa in den gemäß "V-Dem"-Untersuchung Vorbilddemokratien in Skandinavien, bildet der Journalismus den Transmissionsriemen zwischen den Botschaften der Regierung und den Bürgerinnen und Bürgern. Was die Regierenden zu sagen haben, passiert den Filter und den Verstärker journalistischer Verarbeitung.

Dieser Vorgang hat zwei unschätzbare Vorteile: Erstens erfüllt diese Art der Kommunikation die Anforderung eines sparsamen, wirtschaftlichen und zweckmäßigen Umgangs mit Steuergeld. Er kostet nämlich nichts. Zweitens ist der Vorgang demokratiegerecht, denn er lässt die Regierungsbotschaften nicht unkommentiert, sondern verarbeitet sie professionell.

Wünschen die Regierenden den direkten Draht zu ihren Bürgern, so halten die digitalen Plattformen diese Kanäle wohlfeil bereit. Dort können sich Minister austoben. Ganz harmlos ist das aber nicht. Schließlich haben diese Plattformen bisher weder selbst einen Weg gefunden, die negativen Auswirkungen der Filterblasen zu minimieren, noch zeichnet sich ein überzeugender Regulierungsentwurf ab, auch nicht auf europäischer Ebene. Der Digital Services Act ist ein Anfang.

Warum nun ist Österreich so falsch abgebogen? Profitieren zwei Seiten von einem komfortablen Arrangement, ist erhöhte Aufmerksamkeit Pflicht. Bezahlte Inserate dienen sowohl dem politischen Kommunikationsziel, als auch dem ökonomischen Wohlbefinden der werbungführenden Medien. Für österreichische Verhältnisse offenbar unwiderstehlich nahe liegt hier für manche die Verbrüderung – Inserate mit wohlwollender Berichterstattung. Über die Jahre ist ein Wohlfühlbiotop entstanden. So selbstverständlich ist dieses Biotop unterdessen, dass im Kabinett der Medienministerin die Notwendigkeit von Regierungsinseraten gar außer Streit gestellt wird. Merken sie nicht, dass dies bereits eine fatale Abweichung von guter demokratischer Kommunikationsnorm darstellt, die eine verhängnisvolle Spirale in Gang setzt?

Ein neues Modell

Realistischerweise lässt sich eine Rückkehr zur Norm nicht von heute auf morgen bewerkstelligen. Trotzdem setzt der folgende Vorschlag für die Reform der bezahlten Unterstützung von nachrichtenführenden Medien unbescheiden an: Inseratenvergabe und Medienförderung müssen in Österreich zusammen gedacht und modelliert werden.

Ein neues, kostenneutrales Medien- und Kommunikationsförderungsgesetz könnte aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive die folgenden zweistufigen Stellgrößen enthalten:

Erste Stufe Zugang zur Förderung erhalten alle Medien (technologieneutral!), die sich regelmäßig mit österreichischen Nachrichtenthemen in angemessenen Formaten beschäftigen und eine Mindestauflage und -reichweite aufweisen. Zeitungen, Zeitschriften, Magazine, Radio- und Fernsehprogramme, Online-Outlets etc.

Aus medienökonomischen Gründen bleiben marktführende Anbieter ebenso ausgeschlossen wie Medien, die keinen Verkaufspreis für User aufweisen (Gratiszeitungen, Gratiswebsites). Erstere sind in den hochkonzentrierten Märkten ohnehin profitabel, Letztere erschweren den Kaufprodukten massiv die wirtschaftliche Tragfähigkeit.

Ausgeschlossen bleiben auch jene Medien, die ihre Eigentumsverhältnisse nicht lückenlos offenlegen, die sich keinen Selbstkontrollmechanismen unterziehen, keine festangestellten Journalistinnen beschäftigen, diese nicht zumindest nach dem Kollektivvertrag entlohnen und die einen übermäßigen Anteil an Werbung enthalten.

Zweite Stufe Die Höhe der individuellen Förderung bemisst sich an der Frequenz der Nachrichtenpräsentation (mindestens viermal jährlich bis maximal täglich), an der Anzahl der festangestellten Journalisten und an anderen Qualitätskriterien.

Für die neue Medien- und Kommunikationsförderung stehen als Größenordnung die aktuellen kumulierten Beträge für Presse-, Publizistik und Rundfunkförderung sowie die Mittel für Regierungsinserate zur Verfügung. Zusammen circa 80 Millionen Euro jährlich.

Ein Teil wird für Journalismusausbildung, Presseklubs, Leseförderung, Forschung etc. einbehalten.

Die verbleibende Summe wird halbiert: Die eine Hälfte fließt in das Fördermodell. Geförderte Medien stellen der Regierung im Ausmaß der Förderung unentgeltlich Inserate- und Werbeplatz zur Verfügung (fiktiv berechnet nach marktüblichen Konditionen). Die andere Hälfte steht für Regierungsinserate zur Verfügung und bildet finanziell die Obergrenze für Inserate und Werbung. Zulässig sind weiterhin nur Inserate und Schaltungen, die einem konkreten Informationsbedürfnis dienen, und keine politische Imagewerbung. Alle Inserate und Werbeeinschaltungen der Regierung werden strikt nach den marktüblichen Regeln Reichweite in den Zielgruppen und Effizienz (Preis für Leistung) vergeben.

Ein solches Modell deckelt das ungezügelte Verlangen der Anzeigen- und Werbeabteilungen der Medien ebenso, wie es die Regierungen von der Sucht nach bezahlter Kommunikation entwöhnt und zum haushälterischen Umgang mit Steuergeld zwingt. Gelingt der Regierung ein solcher Wurf für ein neues Medien- und Kommunikationsförderungsgesetz noch 2022, wäre dies das schönste Geschenk zum zehnten Geburtstag des Medientransparenzgesetzes. (Josef Trappel, 19.4.2022)