Für die Batterien von E-Autos braucht es Lithium, für Solarpaneele Silizium – auch die ökologische Wende verlangt nach Rohstoffen. Teils werden sie unter schwierigen Bedingungen gewonnen, nicht selten auf Kosten von Umwelt und Menschenrechten. Auch die Windkraft ist in diesem Punkt – abseits der Sorgen um Landschaftsbild und Vögel – nicht vor Kritik gefeit, denn in den Rotorblättern von Windrädern ist teilweise Balsaholz verarbeitet. Ein Tropenholz, das zu einem Großteil aus Lateinamerika stammt, wo der Regenwald durch fortschreitende Forst- und Landwirtschaft bedroht ist.

Indigene Gruppen und Umweltaktivisten fordern daher regelmäßig, dass die Windkraftindustrie die legale Herkunft des Holzes sicherstellt oder auf anderes Material umschwenkt. Es scheint paradox: Für die Energiewende in Europa sollen Bäume in Lateinamerika den Kettensägen zum Opfer fallen? Ein Blick auf die Fakten.

Ecuador exportiert am meisten

Balsaholz ist ein Tropenholz, das von Balsabäumen stammt. Das Holz wächst schnell – schon vier bis fünf Jahre nach der Pflanzung kann ein Baum theoretisch gefällt werden. Neben Indonesien und Papua-Neuguinea gehört vor allem Ecuador zu den Hauptexporteuren für Balsaholz. Mit einem Weltmarktanteil von 80 bis 90 Prozent gehört das Land laut dem deutschen Bundesverband Windenergie (BWE) zu den wichtigsten Exporteuren.

Im Jahr 2020 gingen 77 Prozent der Balsaholz-Exporte nach Asien, vor allem China zählt zu den Top-Abnehmern. 12 Prozent gingen nach Europa und 11 Prozent nach Amerika, so der BWE. Der Preis und die Nachfrage für Balsaholz sind in den letzten zehn Jahren stark gestiegen. Allein zwischen 2019 und 2020 hat sich der Weltmarktpreis nahezu verdoppelt. Da Balsabäume aber zügig nachwachsen, gilt die Art laut der roten Liste der Weltnaturschutzunion IUCN nicht als bedroht.

Neben dem Einsatz in Windkraftanlagen wird Balsaholz etwa im Modellbau oder bei der Herstellung von Surfbrettern verwendet. Die Windkraftbranche setzt Balsaholz laut Steffen Czichon vom deutschen Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme aufgrund seiner besonderen Eigenschaften ein. Durch seine niedrige Dichte ist es leicht und biegsam, gleichzeitig jedoch robust und belastbar. Traditionell wird Balsaholz in den Windturbinenblättern in Kombination mit Glasfasern und Harz für Stützelemente eingesetzt.

2,7 Tonnen pro Rotorblatt

Insgesamt importierten die EU-Länder im Jahr 2020 rund 614.630 Tonnen Tropenholz. Der europäische Branchenverband Windeurope nennt auf STANDARD-Anfrage Zahlen, wonach die europäische Windindustrie jährlich etwa 20.000 Tonnen Balsaholz verbrauchte – knapp drei Prozent des importierten Tropenholzes. Die Windindustrie habe dabei 70 Prozent der europäischen Balsaholzeinfuhren ausgemacht, so der Verband.

Wie viel Balsaholz in einem Rotorblatt steckt, ist von Modell zu Modell unterschiedlich. Früheren Schätzungen zufolge benötigt ein Rotorblatt zwischen 80 und 100 Meter Länge durchschnittlich rund 150 Kubikmeter Balsaholz. Niels Ludwig, Ingenieur am Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme, hält diese Werte für zu groß und verweist auf entsprechende Studien. Diese kommen zu dem Ergebnis, dass das Balsaholz bei einem Rotorblatt von einer Größe von 81,6 Metern knapp acht Prozent des Gesamtgewichts ausmacht – etwa 2,7 Tonnen.

"Das üblicherweise benutzte Balsaholz hat eine Dichte von 150 Kilogramm pro Kubikmeter. Somit liegt man bei diesem Rotorblatt bei 18 Kubikmeter. Das erwähnte Rotorblatt für eine 7-MW-Anlage ist bereits eines der größten Rotorblätter für eine Offshore-Anlage", erklärt Ludwig auf Anfrage. Zwar würden heute bereits längere Rotorblätter existieren, allerdings steige die Menge des Balsaholzes darin nicht exponentiell. Andere Berechnungen gehen von einem noch kleineren Anteil aus. Der BWE benennt etwa eine Menge von fünf bis sechs Kubikmeter für ein durchschnittliches Rotorblatt.

Zertifiziertes Holz freiwillig

Die eingesetzte Mengen sind also kleiner als oft angenommen. Dennoch: Ein Bedarf an dem Tropenholz bleibt. Was heißt das für die Regenwälder? Um illegale Abholzung in ihren Lieferketten zu vermeiden, setzen viele Hersteller auf zertifiziertes Balsaholz. Der Forest Stewardship Council (FSC) ist etwa eine Nichtregierungsorganisation, die Wälder und Plantagen zertifiziert, die nach ökologischen und sozialen Prinzipien bewirtschaftet werden. Weltweit sind laut Angaben des FSC etwa zwei Millionen Quadratkilometer Wald zertifiziert, das entspricht knapp der Fläche Mexikos. 19 Prozent dieser Fläche liegen in den Tropen. Laut Umweltorganisationen wie dem WWF ist das FSC-Siegel zwar "nicht perfekt", doch es sei das "anspruchsvollste", das international zu finden sei. Auch der Verband der ecuadorianischen Holzindustrie (AIMA) empfiehlt das Siegel.

Einige der führenden Rotorblatt-Hersteller, darunter Siemens Gamesa, Vestas und LM Windpower, schreiben auf STANDARD-Anfrage, dass ihre Lieferanten über eine FSC-Zertifizierung verfügen. Vestas arbeitet mit einem einzigen Unterlieferanten von Balsaholz zusammen, der Plantagen in Ecuador und Papua-Neuguinea unterhält, so der Konzern. Wie viel des in die EU importierten Balsaholzes zertifiziert und wie viel davon aus illegaler Abholzung stammt, ist aufgrund fehlender Daten nur schwer abzuschätzen. Eine gesetzliche Verpflichtung für Hersteller, nur zertifiziertes Holz zu verwenden, besteht bisher nicht. Steigt die Nachfrage nach Balsaholz weiter, steigt damit auch die Gefahr von Raubbau und illegalen Rodungen.

Branche stellt auf Kunststoffe um

Aus verschiedenen Gründen steuert die Branche aber bereits um. "Balsaholz wird heute nur noch für rund 30 Prozent der Blätter verwendet, vor einigen Jahren waren es noch 50 Prozent", schreibt Windeurope. "Wir hören von unseren europäischen Herstellern, dass sie sich so weit wie möglich von Balsaholz entfernen." Auch der BWE geht davon aus, dass recycelte Kunststoffe Balsaholz als Werkstoff in naher bis mittlerer Zukunft vollständig ersetzen werden.

Auskommen will die Branche künftig nämlich mit dem verbreiteten Kunststoffpolymer PET (Polyethylenterephthalat), aus dem etwa Lebensmittel- und Getränkeverpackungen bestehen. Zwar dauert der Verfall von Kunststoff mitunter Jahrhunderte, doch Hersteller wie etwa LM Windpower setzen laut eigenen Angaben darauf, das eingesetzte PET zu recyclen und wiederzuverwerten. Laut dem Nachhaltigkeitsbericht des Herstellers bestanden im Jahr 2020 bereits 50 Prozent des verwendeten Kernmaterials aus PET, zwei Jahre zuvor waren es noch 1,5 Prozent gewesen.

Der dänische Hersteller Vestas reduziert laut eigenen Angaben seinen Einsatz von Balsaholz und verwendet alternative Materialien für neue Rotorblätter. Von 2019 bis 2021 habe man die Verwendung von Balsaholz um mehr als 85 Prozent reduziert, so das Unternehmen. Derzeit beschränke sich die Verwendung von Balsaholz hauptsächlich auf einige ältere Windturbinenmodelle.

Kosten und Planungssicherheit im Fokus

Unternehmen ersetzen Balsaholz dabei nicht zwingend, weil sie sich um den Regenwald sorgen, sondern wegen der Kosten. "Die Abkehr von Balsaholz hat wirtschaftliche Gründe. Im derzeitigen Marktumfeld mit sehr geringen Gewinnspannen und steigendem Kostendruck versuchen die europäischen Hersteller, die Kosten so weit wie möglich zu senken", schreibt Windeurope auf Anfrage.

Auch Qualität und Planungssicherheit sind für Unternehmen ausschlaggebend. Laut Czichon sind die Prozesseigenschaften von PET oder anderen Schäumen in puncto Qualität leichter kontrollierbar, als es beim Balsaholz der Fall ist. Ein weiterer Grund ist die Lieferkette: Der Anbau von Balsaholz ist weltweit begrenzt, die Produktion lässt sich nicht leicht und schnell skalieren. Immer wieder gebe es Engpässe, so Czichon. Mögliche Ansätze seien, das Balsaholz durch andere Holzarten wie etwa Paulownia, die im ostasiatischen Raum verbreitet ist, zu ersetzen. Auch 3D-verstärkte Schäume (sogenannte Engineering Foams) sind laut Czichon denkbar.

Fazit

Obwohl nicht alle Hersteller gleichermaßen auf Kunststoffe umstellen, zeichnet sich doch ein Umdenken bei der Nutzung von Balsaholz ab. Stammt das verwendete PET aus Recycling, stellt es eine sinnvolle Alternative zum Balsaholz dar. Ist dem nicht der Fall, ersetzt ein Umweltproblem das andere. Am Beispiel Balsaholz zeigt sich wieder einmal, wie schwierig es ist, Klima- und Naturschutz zu vereinbaren. Oft sind es Kompromisse, die eingegangen werden. In diesem Fall heißt es: lieber Kunststoff als Tropenholz. (Florian Koch, 22.4.2022)