Müssen sich ihren Problemen stellen: Gingle Wang (links) und Alyssa Chia als Tochter und Mutter in "The Falls" auf Netflix.

Foto: Netflix

Verwechslungsgefahr hat mitunter auch ihr Gutes. Wer also etwa nach der britischen Krimiserie The Fall sucht, kann mit einem zusätzlichen Buchstaben im Titel leicht bei dem kaum gewürdigten taiwanesischen Filmjuwel The Falls landen – zu sehen ebenfalls auf Netflix. Das wäre dann eine lohnende Abschweifung, vorausgesetzt, man weiß Erzählungen zu schätzen, die sich Zeit nehmen.

Zwangsläufig viel Zeit miteinander verbringen müssen zunächst die beiden Hauptfiguren von The Falls, eine alleinerziehende Mutter und ihre Tochter, die wegen eines Covid-Falls in der Schule in Quarantäne müssen. Wie die meisten interessanteren Produktionen, die den gegenwärtigen Alltag nicht ausblenden, steht aber auch hier die Seuche nicht im Vordergrund, sondern fungiert als Katalysator für Konflikte, die schon länger brodeln, aber nicht mehr zur Seite geschoben werden können.

Trailer zu "The Falls".
Netflix Asia

Langsam, aber sicher wird in The Falls klar, dass die Dinge nicht so sind, wie sie zunächst scheinen. Das wird spätestens dann klar, als sich eine psychische Krankheit manifestiert. Die Bilder dazu sind so beiläufig wie stimmig. Damit einher gehen auch ein Rollenwechsel, verlagerte Verantwortung und eine glaubwürdige Annäherung der beiden Frauen. The Falls kann sich dabei auf zwei wunderbare Hauptdarstellerinnen, Alyssa Chia und Gingle Wang, stützen, die mit minimalen Gesten ganze Bände zu erzählen wissen. Am Schluss des keineswegs bedrückenden, sondern unaufgesetzt lebensfrohen Coming-of-Age-Films wird es noch unvermutet dramatisch. Aber auch hier regieren die kleinen Gesten – und die können überall verstanden werden. (Karl Gedlicka, 20.4.2022)