Derzeit kann niemand sagen, wie das Infektionsgeschehen im Herbst aussehen wird. Umso wichtiger ist jetzt eine Vorbereitung auf mehrere Szenarien.

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Die Corona-Infektionszahlen sind in den vergangenen Wochen deutlich gesunken – die Zahl der neu gemeldeten Fälle liegt heute bei 7.571 Neuinfektionen. Zur Erinnerung: Noch Ende März waren die Zahlen fast fünfmal so hoch: Sie lagen bei mehr als 34.000 neuen Fällen täglich. Dennoch warnte der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach noch kurz vor Ostern vor einer möglichen "Killervariante" des Coronavirus.

Molekularbiologe Ulrich Elling von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften kann jedoch Entwarnung geben: "Zumindest ist uns derzeit keine "Killervariante" des Coronavirus bekannt." Und er gibt auch Hoffnung auf einen "entspannten Sommer". Diese Zuversicht hat mehrere Gründe: Zum einen weiß man aus den vergangenen zwei Jahren Pandemie, dass die wärmere Saison einen positiven Effekt auf die Infektionszahlen hat. Viele halten sich wieder vermehrt draußen und weniger in geschlossen Räumen auf, und somit kann sich das Virus deutlich schwerer vermehren. Zum anderen wird sich auch die derzeit hohe Immunität in der Bevölkerung positiv auf das Infektionsgeschehen auswirken.

Diese Subvarianten gibt es derzeit

Im Moment gibt es also keine wie von Lauterbach angekündigte "Killervariante", dennoch wurden neben der bei uns vorherrschenden Omikron-Subvariante BA.2 weitere Varianten entdeckt. Elling dazu: "Es gibt Daten zu Omikron-Varianten, die etwas infektiöser sein könnten als BA.2, aber dennoch dürften sie keinen großen Einfluss auf unser derzeitiges Infektionsgeschehen ausüben." Gemeint ist unter anderem die bereits am 19. Januar in Großbritannien entdeckte XE-Variante. Elling erklärt: "Das ist eine Rekombinante aus Omikron BA.1 und BA.2, die wahrscheinlich einen 20-prozentigen Wachstumsvorteil gegenüber BA.2 hat. Das wärmere Wetter wird uns aber höchstwahrscheinlich davor bewahren, dass uns dieser geringe Wachstumsvorteil gefährlich wird."

Und auch in Südafrika sind zwei neue Omikron-Varianten aufgetaucht: BA.4 und BA.5. Diese wurden von der WHO vor kurzem sogar als "besorgniserregende" neue Varianten offiziell bestätigt. Aber auch hier kann der Molekularbiologe Entwarnung geben: "Diese Varianten breiten sich in Südafrika gerade aus, aber eine Welle ist dort noch nicht zu erkennen."

Außerdem könne man das Infektionsgeschehen in Südafrika auch nicht mit der Situation in Österreich vergleichen: "In Südafrika gab es keine BA.2-Welle wie in Österreich. Die Bevölkerung ist also kaum gegen Omikron BA.2 immun. Wir gehen davon aus, dass BA.4 und BA.5 eine ähnliche Immunantwort haben wie BA.2. In Österreich haben wir in den vergangenen Monaten eine hohe Immunität gegen Omikron BA.2 aufgebaut, davon sollten wir im Frühling und Sommer profitieren können." Allerdings ist nicht klar, wie lange diese Immunität anhält, Elling betont dazu: "Es ist nicht auszuschließen, dass uns im Herbst die Varianten BA.4 und BA.5 eine neue Welle bescheren könnten."

Wenig Gefahr durch Omikron

Möglich wäre also eine Welle ab dem Spätsommer mit den Omikron-Subtypen BA.4 und BA.5 oder auch mit der Rekombinante XE. Solange das Virus jedoch nicht völlig neu mutiert und weiterhin den Omikron-Stamm besitzt, blickt der Experte relativ zuversichtlich auf den Herbst: "Mit einer Omikron-Infektion müssen kaum Menschen auf der Intensivstation behandelt werden, weil Omikron – anders als noch Delta – nicht die Lunge angreift, sondern nur in den oberen Atemwegen zu Beschwerden führt. Somit wäre es ein Glücksfall, wenn Omikron auch im Herbst noch dominant wäre."

Anders sieht es aus, wenn das Virus wieder neu mutiert. Bis jetzt haben sich alle neuen Mutationen aus der Corona-Ursprungsvariante, die schwere Verläufe mit sich bringt, entwickelt. "Natürlich kann es auch sein, dass wir es im Herbst mit einer ganz neuen Variante zu tun bekommen", erklärt Elling. Denkbar wäre sogar eine Variante, die so ansteckend wie Omikron BA.2 ist und so schwere Verläufe wie Delta verursacht.

Vorbereitungen auf den Herbst

Dass niemand vorhersehen kann, wie sich das Virus weiter verhalten wird, macht eine Vorbereitung auf den Herbst besonders schwierig – auch wenn Tirols Ärztekammer-Präsident Stefan Kastner dafür plädiert, es wie ein Grippevirus zu behandeln. Herwig Kollaritsch, Infektiologe an der Med-Uni Wien und Mitglied des Nationalen Impfgremiums (NIG), betont: "Im Moment weiß einfach niemand, wie sich das Virus weiterentwickeln wird. Wir müssen uns für den Herbst auf alle Eventualitäten einstellen. Darum ist es auch nicht möglich, das Coronavirus aktuell wie eine Grippe einzustufen."

Derzeit wird auch über mögliche Impfkampagnen im Sommer und Herbst nachgedacht. Einige Expertinnen und Experten gehen davon aus, dass der an Omikron angepasste Impfstoff ab Herbst verfügbar sein wird. Ob ein angepasster Impfstoff dann jedoch noch zielführend ist, ist sich Ulrich Elling nicht sicher: "Wenn wir es im Herbst mit einer Delta-ähnlichen Variante zu tun bekommen werden, würde ein Omikron-Impfstoff keinen Sinn machen." Und er gibt zu bedenken: "Wir hatten jetzt zwei Jahre lang keine Grippewelle: Ein Worst-Case-Szenario wäre eine gleichzeitige Corona- und Grippewelle. Das würde unser Gesundheitssystem mit ziemlicher Sicherheit überlasten." (Jasmin Altrock, 20.4.2022)