Langsam, beinahe unmerklich zieht sich Elizabeth II aus der britischen Öffentlichkeit zurück. Erst kürzlich teilte der Palast mit, die Queen werde fortan den ungeliebten Buckingham-Palast in London meiden und, wie schon in der Corona-Pandemie, weitgehend auf Schloss Windsor vor den Toren der Hauptstadt leben. In der vergangenen Woche gab es für die Monarchin zwei traditionelle Gelegenheiten, sich ihrem Volk zu zeigen. Bei beiden ließ sie sich von jüngeren Royals vertreten. Auch vom langerwarteten Versöhnungsbesuch ihres Enkels, des abtrünnigen Prinzen Harry, und dessen Gattin Meghan am Gründonnerstag gab es keine Fotos.

Sie ist die Königin, aber spätestens seit dem Tod von Prinz Philip vor einem Jahr agiert der älteste Sohn des Paares, Prinz Charles, als Oberhaupt der britischen Königsfamilie.
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Will die hochbetagte Dame – an diesem Donnerstag wird sie 96 Jahre alt – ihre Untertanen und Fans in aller Welt an das nachelizabethanische Zeitalter gewöhnen? Jedenfalls sind auch für den Geburtstag keine öffentlichen Auftritte geplant. Was aber nicht sonderlich überraschend ist – als Staatsoberhaupt des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland sowie weiterer 14 Mitgliedsstaaten des Commonwealth, von Jamaika bis Neuseeland, verfügt sie vielmehr über einen offiziellen Geburtstag.

Bunte Parade

Dieser steigt normalerweise am zweiten Samstag im Juni. In diesem Jahr hingegen ist der "Trooping the Colour" genannte Hauptevent, eine bunte Militärparade auf der Mall in London, auf den ersten Juni-Donnerstag verlegt. Ert bildet Auftakt und Höhepunkt der Platinjubiläumsfeierlichkeiten, für die Londons Regierung eigens einen beweglichen Feiertag verlegt und der Bevölkerung einen zweiten geschenkt hat. Insgesamt stellen die Feiern "so etwas wie eine Wiedereröffnung" des Landes dar "nach einer Phase der Unsicherheit", sagt Zeremonienmeister Nicholas Coleridge.

Unsicher freilich bleibt die Lage für die Organisatoren, was die Verfügbarkeit der Hauptperson angeht. Die immer häufigeren Absagen der Queen bei Ereignissen, die sie früher mit eiserner Disziplin wahrnahm, mögen der Versuch sein, die Kräfte der Königin aufzusparen für das Festival in sechs Wochen. Oder sie stellen ein unvermeidliches Sichfügen in die zunehmend schwächer werdenden Kräfte eines sehr alten Menschen dar. Wie schwer der am Stock gehenden Dame die Bewegung fällt, wurde beim Gedenkgottesdienst für den nach 73 Ehejahren im vergangenen April verstorbenen Prinzgemahl Philip mehr als deutlich.

Repräsentationsveranstaltungen wie Ritterschläge oder andere Ehrungen werden schon seit Jahren überwiegend vom Thronfolger Charles (73), dessen Sohn William (39) sowie der 71-jährigen Prinzessin Anne, der einzigen Tochter der Queen, wahrgenommen. Für die These, dass Elizabeths Kräfte deutlich geringer werden, spricht vor allem, dass nun auch kirchliche Termine betroffen sind, die bisher im monarchischen Kalender als sakrosankt galten. Am Ostersonntag, dem höchsten Festtag der Christenheit, ließen sich jüngere Royals, angeführt von Prinz William und seiner Familie, auf dem Weg zur Kirche ablichten. Die Urgroßmutter blieb abwesend.

Man müsse sie sehen, um an ihre Existenz zu glauben, hat die Königin vor Jahren einmal gesagt – ein wichtiger Grund für auffallende Kleider und durchsichtige Regenschirme, schließlich würde die kurzgewachsene Dame sonst in größeren Menschenmengen verschwinden. Nun, da das Staatsoberhaupt für die Briten immer seltener zu sehen ist, stellt sich eine Frage, die bei Hofe stets nur mit Stirnrunzeln beantwortet wird: Wäre es nicht an der Zeit, der Queen noch ein wenig Zeit im wohlverdienten Ruhestand zu gönnen?

Trauma der Abdankung

Eine Abdankung, so viel weiß man seit langem, kommt für Elizabeth II nicht infrage, zu tief steckt in der beinahe 96-Jährigen noch das Trauma der Abdankung Edwards VIII. Eine Prinzregentschaft also, wie es sie in der britischen Geschichte zuletzt zu Beginn des 19. Jahrhunderts für den geistig umnachteten König Georg III gab? De facto existiert sie in vieler Hinsicht schon. Spätestens seit dem Tod des Prinzgemahls Philip agiert Charles als Familienoberhaupt. Schon zuvor waren die Entscheidungen, seinen Sohn Harry sowie seinen diskreditierten Bruder Andrew von allen königlichen Verpflichtungen zu entbinden, vor allem auf das Konto des Thronfolgers gegangen.

Für eine formelle Erklärung der Amtsunfähigkeit von Elizabeth II aber müsste der Tradition gemäß ein Rat der vier höchstrangigen erwachsenen Windsors zusammentreten. Das sind, nach Charles und William auf Platz eins und zwei, auch die beiden Problemprinzen auf Platz sechs und neun der Thronfolge. Selbst wenn sich Elizabeths Gesundheitszustand verschlechtern würde, wäre dieser Weg nicht gangbar, weil zu peinlich für die Monarchie.

Zunehmend eine Prinzregentschaft de facto also, aber gewiss nicht de jure. Noch im Herbst ließ Ihre Majestät dem angesehenen Magazin Oldie ("Alterchen"), einer Zeitschrift für ältere Menschen, ausrichten, sie wolle nicht "Oldie of the Year" werden: "Man ist nur so alt, wie man sich fühlt." Inzwischen spricht mancherlei dafür, dass die Queen sich nicht mehr ganz so frisch fühlt wie früher. (Sebastian Borger aus London, 21.4.2022)