Theresa Bienenstein im Salon ihrer Wohnung, dem beeindruckendsten Raum, dessen Wandfarben zwischen Ocker-, Terrakotta- und Bernsteintönen changieren.

Foto: Mafalda Rakoš

Wie aufgefädelt sitzen gut zwei Dutzend Tauben auf dem Giebel der Schottenkirche auf der Freyung. Das dazugehörige Kloster wurde im Jahr 1155 gegründet, als Herzog Heinrich II., auch Jasomirgott genannt, iro-schottische Benediktinermönche nach Wien berief. Hin und wieder setzt eine Handvoll Vögel an und flattert durch den blitzblauen Wiener Himmel. Wahrscheinlich taten ihre Urahnen dies schon vor vielen Jahrhunderten, als die Grundmauern jenes Hauses errichtet wurden, in dem Theresa Bienenstein ein paar Ecken weiter wohnt.

Die Interieurdesignerin ist in diesem Haus aufgewachsen. Nach Jahren in Paris und New York kehrte sie hierher zurück. Ihr Zuhause erreicht man über steinerne Innenhöfe und verschlungene Gänge. Aus einem der unzähligen Fenster dudelt Yesterday von den Beatles. Der wilde Wein an den Mauern zeigt sich noch nackig.

Die Geräusche, die eine Amsel auf der Suche nach ein paar vertrockneten Beeren von sich gibt, hören sich eher wie ein hysterisches Gackern denn nach einem frühlingsfrohen Zwitschern an. Die Mauern des Trakts erscheinen so dick, als wären sie verputzte Überreste einer Ritterburg. "Die Geschichte, die vibriert hier durchaus mit", wird Theresa Bienenstein später erklären.

Exquisit bestückt

Hier ist der Eingangsbereich zu Bienensteins Reich zu sehen, dessen Mauern schon einige Hundert Jahre auf dem Buckel haben.
Foto: Mafalda Rakoš

Der Besucher betritt ihre 240 Quadratmeter große Wohnung durch eine Haustür, die in einen langen Korridor führt, dessen Boden aus schwarzem Terrazzo besteht. Wäre der Gang, in dem die Stimmen nachhallen, ein bisschen breiter, könnte man hier Squash spielen. Die Gedanken schweifen zu langen Gängen eines Klosters. Tatsächlich gingen hier einst Mönche ein und aus. Ansonsten hat sich’s bald erledigt mit dem, was man im Allgemeinen für mönchisch hält.

Möbeltechnisch ist das Entrée spärlich, aber exquisit bestückt. Das geschwungene Kartonmöbel "Wiggle-Chair" von Stararchitekt Frank Gehry gibt’s hier im Original zu sehen, ebenso zeigen sich eine alte Khmer-Figur, ein Vintage-Hocker und Kunst an den Wänden.

Eine Ecke im Salon der Wohnung.
Foto: Mafalda Rakoš

Kunst ist Bienenstein längst ans Herz gewachsen. "Ich fühle mich ihr bei all meiner Liebe zu Möbeln emotional mehr verbunden", sagt die Gestalterin, die unter anderem für Tiffany & Co, Marc Jacobs Fragrances oder Mall of America arbeitete und Bleiben wie das Hotel Edition in Istanbul oder das Hotel Row in New York gestaltete.

Hier wohnt Stimmigkeit

Biegt man am Ende des Gangs links ab, geht es in ein kleines Schlafzimmer, das einer gemütlichen, aber stilvollen kleinen Höhle Ton in Ton gleicht. Auch erreicht man von hier aus das Bad mit weißem Calacatta-Marmor und venezianischen Lampen. Lässt man das Abbiegen, gelangt man in den eigentlichen Wohnraum, was anlässlich der Großzügigkeit dieses Zuhauses etwas untertrieben klingt. Die zweite Station der L-förmigen Wohnung bildet ein Ankleidebereich, von dem aus es so richtig ans Eingemachte geht.

In einer anderen Ecke reißt ein offener Kamin sein steinernes Maul auf.
Foto: Mafalda Rakoš

Gleich vorweg: Das Zuhause von Teresa Bienenstein mit exklusiven Fundstücken aus Jahrhunderten, sogar Jahrtausenden, ist keine klassische großbürgerliche, aufgepimpte Altbauwohnung. Ihr Reich scheint aus einem Guss zu sein, wobei der Begriff Guss zu glatt und zu hart klingt. Wenn schon Guss, dann ist der mit vielen weichen, aber dezenten Textilien, sinnlichen Farben und geordneten, wohldurchdachten Wohninseln durchzogen.

Hier wohnt Stimmigkeit. Schnickschnack und Nippes kann man in der Wohnung lange suchen und wird doch nicht fündig. Es sei denn, man wäre so ignorant und bezeichnete einen Khmer-Spiegel, ein altes Beil einer Südseekultur, einen kleinen Stapel ausgewählter Kunstbücher oder ein 3000 Jahre altes Gefäß aus Vietnam als solchen.

Klösterliche Ordnung

Nur wenn man die Kästen in Bienensteins Küche öffnet, zeigt sich feines Geschirr aller Art. Bleiben diese geschlossen, wirkt die Küche so nackig, als wäre sie gerade erst eingebaut worden.
Foto: Mafalda Rakoš

Auch in der Küche, die man durch eine großzügige aufklappbare Glastüre betritt, herrscht klösterliche Ordnung. Weit und breit keine Thunfischdose, kein Olivenölflascherl, kein Zuckerdöschen oder Basilikumpflänzchen. Es scheint, als wäre die schicke 80er-Jahre-Bulthaupküche gerade erst von den Handwerkern eingebaut worden. Bienensteins gläserne und silbernen Schätze ruhen aufgefädelt wie die Tauben auf dem Giebel der Schottenkirche hinter Schranktüren.

Eine Reinigungskraft würde mit den Schultern zucken und auf dem Absatz kehrtmachen. "Nein, ich bin nicht pedantisch, aber ich brauche harmonische Ordnung. Sie beruhigt mich. Ich bin definitiv nicht chaostauglich. Unordnung macht mich nervös", sagt die 46-Jährige, der schon als Kind die Einrichtung ihres Puppenhauses mehr am Herzen lag als ihre Bewohner.

Bienensteins gläserne und silberne Schätze ruhen hinter Schranktüren.
Foto: Mafalda Rakoš

Passiert der Besucher einen kleinen Frühstücksraum, in dessen Mitte ein schwarzer, von Schellack überzogener Art-déco-Tisch steht, den ein paar Vintage-Stühle von Nils Möller aus den 60er-Jahren säumen, betritt er das Esszimmer, dessen Mobilien wie folgt aufzuzählen wären: ein italienischer Olivenholztisch aus den 1970er-Jahren, acht Sessel aus Edelstahl, Messing und Leder gefertigt, ein japanischer Paravent, ein Vorratsschrank, ebenso aus Nippon, sowie eine Sitzgarnitur von Josef Hoffmann.

Lieblingsstücke

Trotz allem – ja, man darf sich wundern – ist Bienenstein nicht so wirklich zufrieden und spricht von Renovierung. "Menschen, die Interieur professionell gestalten, wohnen meist nicht so ideal, wie sie es gerne hätten. Sie stecken oft mehr Geist und Energie in die Bleiben ihrer Kundschaft", sagt sie auf dem großzügigen Sofa im Wohnzimmer, wo die Sängerin Sade aus einem Lautsprecher tönt, eine Kerze den Duft namens "Feu de Bois" in den Raum flackern lässt.

Weiters versammeln sich hier ein alter Barwagen, ein Ashanti-Hocker und zwei Kanadier-Fauteuils. Es sind Lieblingsstücke der Gestalterin. "Die habe ich mir von dem Geld gekauft, das mir meine Oma zur Matura geschenkt hat. Sie begleiteten mich auch nach Paris und New York", erzählt Bienenstein, die ihr Wiener Studio 2013 gründete.

Auf die Frage, wie sie selbst den Stil ihres Heims bezeichnen würde, meint sie: "Zusammengewürfelt" wäre die eine, banale Antwort, "eklektisch" die andere. "Es gibt viel Altes, zahlreiches Neues, Teures, aber auch Günstiges. Ich wähle sehr intuitiv aus."

Streben nach Ungezwungenheit

Beim Wohnen, so Theresa Bienenstein, gehe es um Lebensfreude, um Positives und um die Freiheit, sich von Vorgaben lösen zu können. Unterm Strich komme es auf Stimmigkeit an.
Foto: Mafalda Rakoš

Bienenstein, die hier allein zur Miete wohnt – sieht man von den Besuchen ihres Lebensgefährten ab –, spricht, nach der Qualität von Wohnen gefragt, von einem Streben nach Ungezwungenheit. "Beim Wohnen geht es um das Schaffen einer Welt, die viel Positives birgt, um Lebensfreude. Im Vordergrund steht die Freiheit, sich von Vorgaben zu lösen. Und ein Gefühl, das einem sagt: ‚Da passt alles.‘ Wenn man einen Raum betritt, empfindet man als Erstes sein Volumen, dann seine Flächen und das Licht. Es geht um das Erleben von Stimmigkeit."

Apropos Erleben: Neben dem Wohnzimmer mit seinem Parkettboden, den die Designerin auf die 1940er-Jahre schätzt, liegt der sogenannte Salon. In dem kann einem schon die Kinnlade ein Stück weit in Richtung besagten Bodens rutschen. In der Mitte des Raumes findet sich ein quadratischer Glastisch auf Rädern, die Sofas sind auch hier mit farblich abgestimmten Textilien überworfen.

Im Wohnzimmer, das dem Salon vorgelagert ist, sind auch zwei Lieblingsstücke der Bewohnerin zu sehen, sogenannte Kanadier-Fauteuils, die Bienenstein auch bei ihren mehrjährigen Aufenthalten in Paris und New York begleiteten.
Foto: Mafalda Rakoš

In einer Ecke reißt ein offener Kamin sein steinernes Maul auf, daneben thront ein prähistorisches Gefäß aus Vietnam. An der Wand zeigt sich eine großformatige Arbeit von Gerald Zugmann, die Wand- und Deckenfarben changieren in metallischen Ocker-, Terrakotta- und Bernsteintönen, die in Airbrush-Technik aufgetragen wurden.

Sexy wohnen

Auch eine Schale, in der Amethysten und Bergkristalle ruhen, ist zu sehen. Irgendwie haftet diesem Raum beinahe etwas Okkultes an. Ob Wohnen auch eine erotische Komponente aufweisen könne, möchte man schließlich wissen. "Natürlich, sehen Sie sich gerade in diesem Raum um. Wohnraum kann sehr sexy sein oder auch gar nicht. Sexy Wohnen setzt sich aus einer Kombination aus Licht, Oberflächen, Licht und Gerüchen zusammen. Auch eine Küche kann sexy sein", sagt Bienenstein, die unter anderem an der Wiener Angewandten Industriedesign bei Paolo Piva studiert hat.

Auf die abschließende Frage, ob sie so etwas wie einen Wohntraum hege, antwortet sie straight. "Das wäre ein modernes, selbst entworfenes Haus, das über dem Meer auskragt, eine Art Case-study-Haus aus Travertin, viel Glas und Holz." Sollte dieser Traum wahr werden und ihre Wohnung frei werden, möge sie bitte Bescheid geben. Vorausgesetzt, der Mietzins ist und bleibt ein sehr, sehr alter. (Michal Hausenblas, RONDO exklusiv, 2.5.2022)