Der Ausbruch des Hunga Tonga am 15. Jänner 2022 sorgte für den vermutlich lautesten Knall, der seit dem Ausbruch des Krakatau 1883 auf der Erde zu hören war.

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Was sich am 15. Jänner dieses Jahres in der Gegend von Tonga im Südpazifik ereignete, war nicht nur der gewaltigste Vulkanausbruch des 21. Jahrhunderts: Die Eruption des Unterseevulkans Hunga Tonga nahe der unbewohnten Insel Hunga Tonga-Hunga Ha'apai, die dabei zu 90 Prozent zerstört wurde, sorgte für einige weitere beeindruckende geophysikalische Phänomene der Superlative, die wohl noch einige Jahre lang erforscht werden dürften.

Die unmittelbaren Zerstörungen durch die Eruption, die in einer Tiefe von etwa 300 Metern unter dem Meeresspiegel begonnen hatte, blieben aufgrund der Abgeschiedenheit der Region zwar vergleichsweise gering – die Weltbank schätzt den Schaden auf rund 80 Millionen Euro, und zumindest drei Menschen kamen ums Leben. Doch die geophysikalischen Dimensionen des Ausbruchs des Hunga Tonga werden erst nach und nach so richtig fassbar.

Höchste Wolke

Relativ bald war klar, dass die Wolke aus Asche und heißen Gasen, die sich durch den explosiven Kontakt des extrem heißen Magmas mit dem Meerwasser gebildet hatten, sehr ungewöhnliche Dimensionen annahm.

Die Wolke aus Asche und heißen Gasen nach der Explosion des Vulkans erreichte Rekordhöhen.

Die Wolke von der dreifachen Fläche Österreichs stieg mehr als 32 Kilometer in die Atmosphäre auf. Ihre höchste Stelle lag bei 58 Kilometern, womit sie über die als Stratosphäre bekannte Schicht der oberen Atmosphäre hinausreichte. Laut einem Bericht der Nasa war dies "wahrscheinlich die höchste Wolke seit Beginn der Satellitenaufzeichnungen".

Lautester Knall seit 1883

Ähnlich außergewöhnlich war die Schall- und Druckwelle, die durch die Eruption ausgelöst wurde: Die atmosphärische Schockwelle dieses Knalls, der vermutlich lauteste seit dem Ausbruch des Krakatau vor fast 140 Jahren – breitete sich mit Schallgeschwindigkeit (also rund 1236 km/h) gleich mehrfach rund um den Planeten aus, wie ein Team um Ángel Amores (Mediterranean Institute for Advanced Studies, Imedea) auf Mallorca im Fachblatt "Geophysical Research Letters" rekonstruierte und auf Twitter animiert darstellte:

Die Schockwelle breitete sich zumindest dreimal und mehr als drei Tage lang rund um den Planeten aus.

Die Art dieser Schockwelle, die der Ausbruch erzeugte, wird Lamb-Welle genannt – benannt nach Horace Lamb, einem britischen Mathematiker, der sie Anfang des 20. Jahrhunderts erstmals beschrieb. In der Erdatmosphäre sind solche Lamb-Wellen nur bei wirklich starken Explosionen zu beobachten. Und die waren in den jüngeren Vergangenheit zum Glück sehr rar.

Vergleich mit der stärksten Atombombe

Die letzte Explosion, die an die Eruptionsexplosion des Vulkans in Tonga heranreichte, dürfte jene der sogenannten Zar-Bombe im Jahr 1961 gewesen sein, die für die stärkste überirdische Atombombenexplosion sorgte. Diese sowjetische Wasserstoffbombe, die über der Arktis gezündet wurde (einen STANDARD-Bericht über das Bildmaterial dazu gibt es hier), hatte eine Sprengkraft von 50 Megatonnen, was 50 Millionen Tonnen TNT entspricht oder der 4.000-fachen Sprengkraft der US-Atombombe Little Boy, die 1945 die japanische Stadt Hiroshima zerstörte.

Fachleute wie der Physiker Peter W. Brown (University of Western Ontario) sind sich laut einem Bericht der "New York Times" aber sicher, dass die Explosion auf Tonga mehr Energie freigesetzt hat als die Zsar-Bombe. Das ließ sich eben auch auch anhand der Druckwellen beobachten, die von Aufzeichnungsgeräten rund um den Globus gemessen wurden. Diese Druckabweichungen waren zwar relativ gering und lagen deutlich unter einem Prozent vom Standarddruck.

Satellitenaufnahmen vom Beginn der explosiven Eruption.
Foto: AFP

Meereswellen durch die Druckwelle

Die globale atmosphärische Schockwelle sorgte aber auch noch für ein weiteres Phänomen, wie Greg Dusek von der Nationalen Ozean- und Atmosphärenbehörde (NOAA) der USA gegenüber der "New York Times" bestätigte: Die Explosion des Hunga Tonga sorgte wahrscheinlich das erste Mal seit dem gewaltigen Ausbruch des Krakatau im Jahr 1883 dafür, dass eine globale Schockwelle sogenannte Meteotsunamis – also durch Luftdruckschwankungen ausgelöste Meereswellen sowie kleine Meereswellen in Häfen rund um den Globus auslöste. Diese Phänomene konnten zum ersten Mal auf globaler Ebene in Echtzeit beobachtet werden.

Analysen der atmosphärischen Schockwelle führten aber noch zu einem weiteren Ergebnis: Zwei französische Forscher vom CNRS – Piero Poli und Nikolai Shapiro – konnten daraus einen Algorithmus entwickeln, mit dem ein Vulkanausbruch künftig nahezu in Echtzeit erkannt und in seiner Größe abgeschätzt werden kann.

Aufzeichnungen des Ausbruchs des Vulkans Hunga Tonga durch die Stationen des globalen seismologischen Netzes. Der erste "Ausbruch" entspricht der Aufzeichnung seismischer Oberflächenwellen (P- und Rayleigh-Wellen), während die später eintreffenden Wellen auf Schallwellen zurückzuführen sind, die sich durch die Luft bewegen (Luftwellen).
Foto: Piero Poli

Bislang waren für eine solche Bewertung Feldarbeiten erforderlich, die mehrere Wochen oder Monate dauerten, da das Volumen der ausgestoßenen Asche und Lava geschätzt werden musste. Die beiden Autoren gehen aufgrund ihrer Berechnungen, die am Mittwoch in den "Geophysical Research Letters" erschienen, davon aus, dass bei der Hunga-Tonga-Eruption ein Volumen von etwa zehn Kubikkilometern ausgestoßen wurde.

Damit konnten auch sie bestätigen, dass es sich um die größte explosive Eruption des 21. Jahrhunderts handelte und in ihrem Ausmaß der verheerenden Eruption des Pinatubo auf den Philippinen im Jahr 1991 gleichkam. (Klaus Taschwer, 21.4.2022)