
Im Kampf mit Amazon und Disney ist Netflix der einzige reine Streaminganbieter.
Eigentlich hatte Netflix für das erste Quartal 2022 damit gerechnet, seinen Kundenstamm um weitere 2,5 Millionen Abonnenten zu vergrößern. Doch daraus wurde nichts. Das erste Mal seit einem Jahrzehnt, so steht es in den aktuellen Quartalszahlen, verlor man sogar Nutzer.
In Kanada und den USA verabschiedeten sich etwa 600.000 User nach Preiserhöhungen, was Netflix aber in seine Kalkulation bereits eingerechnet hatte. Einen Dämpfer der unerwarteten Art bescherte der Ukraine-Krieg. Der Abschied aus Russland kostete 700.000 Abos. Ohne diesen hätte man insgesamt 500.000 Kunden gewonnen, was auch deutlich unter den Erwartungen gewesen wäre. Die Anleger reagierten enttäuscht, die Aktie brach um ein Drittel ein.
Netflix will an geteilten Accounts verdienen
Einen Schuldigen für die Misere hat man auch schon ausgemacht: Account-Sharing. Zahlreiche Netflix-Nutzer würden ihren Account anderen Menschen zugänglich machen, die gar nicht im selben Haushalt lebten und auch nicht zur Familie gehörten. Konkret schätzt man, dass zu den 221 Millionen zahlenden Haushalten weitere 100 Mio. hinzukommen, die das Streaming nutzen, ohne dem Konzern Zusatzeinnahmen zu bescheren.
Damit soll künftig Schluss sein. In Chile, Costa Rica und Peru testet der Betreiber bereits seit März eine Zusatzgebühr, mit der Kunden ihr Konto mit bis zu zwei Personen aus anderen Haushalten teilen können. Darüber hinaus erwägt CEO Reed Hastings auch die Einführung eines günstigeren Streamingangebots, in dem Werbung ausgespielt wird. Mit diesem könnte man Kunden gewinnen, denen der Dienst bislang zu teuer ist oder die aufgrund der letzten Preissteigerungen abgesprungen sind. Ein solches Angebot könnte binnen ein bis zwei Jahren eingeführt werden. Für das kommende Quartal rechnet man aber noch mit einem Verlust von zwei Millionen Abonnenten.
Amazon und Disney+ als Konkurrenz
Auf dem Videostreamingmarkt herrscht längst erbitterte Konkurrenz um die Aufmerksamkeit und Geldbörsen der Verbraucher. Netflix ist zwar Branchenprimus, doch E-Commerce-Riese Amazon ist mittlerweile in Schlagdistanz gerückt. Dort ist Videostreaming Teil des Prime-Abos, das unter anderem kostenlose Expresszustellung für Artikel im Onlineshop und auch Zugriff auf limitiertes Musikstreaming bietet. In seinem Bericht für das vierte Quartal 2021 meldete der Konzern, das über 200 Millionen Abokunden auch Filme und Serien auf Prime Video angesehen haben.
Nummer drei im Kreis der globalen Anbieter ist Disney+. Dort gab man den Kundenstamm für Videostreaming per Jahresende mit knapp 130 Millionen Nutzern an. Obwohl man erst Ende 2019 an den Start ging, konnte man sich mit starken Marken wie Star Wars und Marvel schnell etablieren.
Düstere Vorzeichen
Dass Netflix weiteren Aboschwund erwartet, sieht Börsenexpertin Monika Rosen von der Österreichisch-Amerikanischen Gesellschaft als Zeichen dafür, dass die Zeit des enormen Wachstums für Netflix an ihrem vorläufigen Ende angelangt ist. Dafür gibt es zwei wahrscheinliche Szenarien.
Das erste ist das zumindest vorläufige Ausklingen der Coronavirus-Pandemie. Menschen reisen wieder mehr und gehen Aktivitäten nach, die in den letzten Jahren zu kurz gekommen sind. Das dämpft natürlich den Appetit auf Streamingabos. Die düsterere Interpretation ist, dass sich jetzt schon eine verschlechternde Wirtschaftslage mit höherer Inflation und steigenden Energiekosten abzeichnet, die bereits ein Umdenken bei Konsumentscheidungen einläutet. Das bedeutet, dass die Menschen anfangen, ihre Ausgaben zu reduzieren. Beides kann freilich auch zusammenspielen.
Zu beobachten war, dass auch die Aktien von Disney und Amazon von Dienstag auf Mittwoch etwas nachgaben. "Medienkonzerne sind grundsätzlich stark konjunktursensitiv", gibt die Expertin zu bedenken. Was sich gerade bei Netflix abspiele, könne ein Vorbote für die gesamte Medienbranche sein.
Netflix muss sparen
Ob die geplanten Maßnahmen von Netflix fruchten werden, bleibt abzuwarten. Wie groß das Potenzial für Zusatzeinnahmen durch eine Account-Sharing-Gebühr ist, lässt sich laut Rosen derzeit nicht seriös abschätzen. Bei der günstigeren werbegestützten Streamingoption bliebe hingegen abzuwarten, wie viele Kunden überhaupt bereit sind, Werbung bei einem bezahlten Videoangebot in Kauf zu nehmen.
Die Börsenexpertin rechnet damit, dass Netflix bei den hohen Produktionskosten zu sparen beginnen wird. Bisher veröffentlichte der Konzern ein sehr breites Portfolio an Eigenproduktionen, um zu sehen, welche Filme und Serien zugkräftig sind. In Zukunft dürfte das Unternehmen seine Ressourcen hier mit mehr Maß und Ziel investieren.
Als reiner Streaminganbieter nimmt Netflix im Kampf mit Amazon und Disney eine Sonderstellung ein. Für Amazon ist Prime Video nur ein vergleichsweise kleiner Geschäftsbereich. Gut 70 Prozent der Umsätze steuern (Stand 2020) der Onlineshop und das zugehörige "Marketplace"-Portal für Händler bei. Disney produziert auch für Kinos und nimmt zudem Geld mit Merchandise, Comics, Lizenzen und Freizeitparks ein. (Georg Pichler, 20.4.22)