Messer, Gabel, dieses Schneidwerkzeug, Licht sind nicht nur nichts für junge Unmündige, ihr Einsatz kann unter Umständen auch vor Gericht enden, wie eine 23-jährige Wienerin feststellen muss.

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Wien – Herr B. hat die erstaunliche Fähigkeit, eine eigentlich durchaus dramatische Begebenheit recht lapidar zu schildern. "Ich hab mein Longboard geholt, und dann hatte ich die Schere in der Schulter", erzählt der 23-Jährige Richterin Martina Krainz, wie er in der Nacht des 21. Februars zu einer zwei Zentimeter tiefen Stichwunde gekommen ist. Gespürt habe er die Attacke von hinten eigentlich nicht, sagt er. Er habe nur den Kopf gedreht und festgestellt: "Oh, da steckt eine Schere in meiner Schulter."

Platziert soll sie dort seine gleichaltrige Ex-Freundin haben. Frau M. ist daher nicht nur wegen versuchter schwerer Körperverletzung, sondern auch wegen Freiheitsentziehung angeklagt – die Angestellte soll ihren früheren Lebensgefährten davor nämlich nicht mehr aus der Toilette ihrer Wohnung gelassen haben. Die wegen Beamtenbeleidigung vorbestrafte dreifache Mutter bekennt sich nur zum Scherenangriff teilweise schuldig, da sie in Notwehr gehandelt haben will.

Wohnmöglichkeit nach Beziehungsende

Sie und ihr Verteidiger stellen die Situation so dar: Die Beziehung zwischen der Angeklagten und B. sei schon Monate vor der Tat zerbrochen, die Frau ließ ihn aber immer noch bei ihr wohnen. "An dem Tag hatten wir einen Konflikt, er hat dann die Wohnung verlassen", sagt die Frau. Richterin Krainz bevorzugt konkretere Angaben: "Es steht im Raum, dass Sie ihn hinausschmeißen wollten an dem Abend?" – "Ja", gibt M. zu. "Wollte er gehen?" – "Nicht wirklich."

Gegen zwei Uhr morgens sei B. betrunken retourgekommen, einen Wohnungsschlüssel hatte er ja noch. Die Angeklagte versuchte, die Eingangstür durch die dagegengelehnte Badezimmertür zu blockieren, B. schaffte es dennoch in die Wohnung. "Er stürmte herein und hat sich auf dem WC eingesperrt", behauptet die Angeklagte. Wegen früherer Gewalttaten des Mannes habe sie die Polizei alarmiert und sich vor die Klotür gesetzt, um B. nicht davonkommen zu lassen.

Der habe aber die Tür aufgetreten und wollte die Wohnung verlassen. "Ich stand in der Ecke bei der Eingangstür, da hat er sich ruckartig genähert", behauptet die Frau. "Ich habe dann die Schere vom Fensterbrett genommen. Ich wollte ihn damit abschrecken", argumentiert sie. Aufgrund der "Ruckartigkeit" der Bewegung habe sie ihn dann in die Rückseite der rechten Schulter gestochen, das sei aber keine Absicht gewesen.

Angeklagte deutlich größer als Verletzter

Die großgewachsene Wienerin sagt auch, B. habe ihr zuvor in den Bauch getreten, als sie die Rückgabe der Wohnungsschlüssel forderte. Nach dem Stich sei er über den Balkon der Erdgeschoßwohnung geflüchtet, dann sei auch bereits die von ihr gerufene Polizei erschienen. B. sei auch weggewiesen worden. Insgesamt tue ihr alles furchtbar leid. "Wir waren beide mit der Situation überfordert; dass es so eskaliert ist", meint sie.

Die Richterin ist skeptisch. "Bei der Polizei haben Sie noch gesagt, B. wollte die Wohnung über den Balkon verlassen, sei zurückgekommen, und dann hätten Sie ihn gestochen. Was stimmt jetzt?", will Krainz wissen. "Das, was ich jetzt sage", erklärt M. und sagt, sie sei damals noch unter Schock gestanden. "Was ich auch nicht verstehe: Sie haben bereits die Polizei gerufen, und B. war auf der Toilette. Warum haben Sie nicht einfach die Wohnung verlassen?" – "Weil es meine ist", antwortet die Angeklagte. Angst um ihre Kinder kann sie nicht geltend machen – sie waren in dieser Nacht nicht anwesend.

B., schmächtig und mindestens einen Kopf kleiner als die Angeklagte, schildert als Zeuge eine völlig andere Geschichte. Ja, es habe an dem Tag einen Streit gegeben. M. habe dabei zweimal Kleidungsstücke von ihm aus dem Fenster geworfen, er habe sie wieder geholt. Dann sei es ihm zu dumm geworden, er habe sein Skateboard gepackt und sei gegangen.

Drei Flaschen Pfefferminzlikör

Danach will er drei große Flaschen Pfefferminzlikör getrunken haben, in der Nacht habe ihn der Stuhldrang zurück in die Wohnung getrieben. "Ich wollte aufs Klo, sie hat mich nicht gelassen, da habe ich sie zur Seite geschubst", gibt B. zu. Nach der Darmentleerung habe er gemerkt, dass M. vor der Tür saß, er habe auch registriert, dass sie die Polizei gerufen habe.

Nach zwei bis fünf Minuten und nicht wie angeklagt zehn Minuten habe er dann die Türe aufgetreten – und sei vom WC wieder direkt zum Balkon, um die Wohnung zu verlassen. "Warum über den Balkon und nicht die Türe wie jeder andere auch?", wundert sich die Richterin. – "Weil die Badezimmertür noch immer im Weg war", begründet der Zeuge. Die Angeklagte sei ihm noch nachgegangen und habe den Schlüssel retourgefordert, was er geflissentlich ignoriert habe.

"Als ich über den Balkon geklettert bin, hat sie mir noch einen Stoß gegeben", erinnert sich der 23-Jährige. Danach habe er sein in einem Busch verstecktes Board geholt, als M. aus der Hauseingangstür kam und ihn von hinten stach. "Ich habe ihr im Reflex noch einen Kick in den Bauch gegeben, danach bin ich mit dem Longboard weggefahren." – "Sie wollten also weg?", versichert sich Krainz. "Ja", bestätigt der Zeuge.

Forderung nach Freispruch

Die Angeklagte will zu dieser Darstellung nichts sagen, ihr Verteidiger pocht in seinem Schlussplädoyer weiter auf eine Notwehrsituation. "B. hat ein riesiges Gewaltpotenzial, er hat die Klotür eingetreten", führt er an. Seine Mandantin sei "eine verängstigte junge Mutter, der Ex-Lebensgefährte gewalttätig und besoffen", argumentiert der Rechtsvertreter. M. sei in Angst und Schrecken gewesen und wollte sich wegen der vorangegangenen Gewalterfahrungen nur verteidigen, fordert er einen Freispruch.

Krainz glaubt das nicht einmal ansatzweise. "Eine Notwehrsituation ist nicht einmal am fernen Horizont zu erkennen", begründet sie, warum sie M. zu vier Monaten bedingt wegen Körperverletzung verurteilt. Sie ist überzeugt, dass B. tatsächlich im Freien attackiert wurde, daher sieht die Richterin auch kein Geständnis als Milderungsgrund. Vom Vorwurf der Freiheitsentziehung spricht sie die Angeklagte dagegen frei, die Zeitdauer dafür sei zu kurz gewesen, meint Krainz. M. nimmt sich Bedenkzeit, auch der Staatsanwalt gibt keine Erklärung ab, die Entscheidung ist daher nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 20.4.2022)