Die Klimademo am 17. Mai 2019.

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Wien – Am Wiener Landesgericht hatte am Mittwoch eine von Polizeigewalt begleitete, mittlerweile fast drei Jahre zurückliegende Klimademo in der Innenstadt ein Nachspiel. Ein Berufungssenat im Grauen Haus unter Vorsitz von Sonja Weis bestätigte ein Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt gegen einen Polizeibeamten, der einem am Boden liegenden, von Kollegen in Bauchlage fixierten Klimaaktivisten mit einem Polizeibus fast über den Kopf gefahren war.

Der Beamte, der ursprünglich von der Staatsanwaltschaft gar nicht angeklagt worden wäre – er hatte eine ihm angebotene diversionelle Erledigung abgelehnt –, war in erster Instanz wegen Gefährdung der körperlichen Sicherheit (Paragraf 89 Strafgesetzbuch) schuldig erkannt worden. Er fasste eine unbedingte Geldstrafe in Höhe von 2.250 Euro aus, was er nicht akzeptierte. Er legte dagegen Nichtigkeitsbeschwerde und Strafberufung ein. Beim Berufungsgericht stieß er damit auf kein Verständnis. Beide Rechtsmittel wurden zurückgewiesen, das Ersturteil vollinhaltlich bestätigt.

Der Vorfall hatte sich am 31. Mai 2019 vor der Urania ereignet, als Aktivisten mit einer Sitzblockade die Ringstraße für den Verkehr lahmlegten. Nach Auflösung der Blockade wurden Manifestanten weggetragen, ein deutscher Student wurde zu Boden gebracht, neben einem Polizeibus in Bauchlage fixiert und festgenommen, als der Bus plötzlich anfuhr. Ein Beamter riss im letzten Moment den wehrlosen jungen Mann zur Seite. Dieser habe "für wenige Momente dem Tod ins Angesicht geschaut", sagte nun sein Rechtsvertreter Clemens Lahner in der Berufungsverhandlung.

Wiens Vizepolizeipräsident: Vorwürfe absurd

Wiens Vizepolizeipräsident Michael Lepuschitz hatte damals im ORF-Fernsehen behauptet, der Kopf des Mannes habe sich nicht unter dem Bus befunden. "Keinem Polizisten würde es einfallen, so etwas mit Absicht zu machen, wie es nun in sozialen Medien dargestellt wird. Solche Vorwürfe sind absurd", erklärte er damals.

"Ich hab' nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt", hielt demgegenüber der angeklagte Fahrer – ein junger Polizist – fest, "ich habe keinesfalls den Herrn wahrgenommen". Für ihn sei es "nicht augenscheinlich" gewesen, "dass jemand neben oder unter dem Fahrzeug zu liegen kommt". Verteidiger Mathias Burger argumentierte damit, sein Mandant habe sich zwar aus dem Fenster gebeugt und nach hinten geblickt. Aus seiner Blickrichtung habe er den Aktivisten am Boden aber nicht wahrnehmen können, und außerdem habe er einen Kollegen als Einweiser zur Verfügung gehabt. Den Angeklagten treffe daher keine Schuld. Es handle sich um einen bisher unbescholtenen jungen Mann, der sich "in einer sehr großen Stresssituation" befunden habe, betonte Burger.

Zweimal nach hinten geblickt

Die Vorsitzende machte dagegen am Ende in der Urteilsbegründung deutlich, der Fahrer des Polizeibusses habe "eindeutig und ohne jeden Zweifel" aus seiner Position sehen können, dass sich unmittelbar neben dem Fahrzeug jemand am Boden befand. Unter Bezugnahme auf ein Video, das die Abläufe dokumentiert hatte, bemerkte die Richterin, der Polizist habe sogar zweimal nach hinten geblickt. Es sei "ein Glücksfall, dass nicht mehr passiert ist".

"Dass der Polizist, der mich fast absichtlich überfahren hat, mit einer kleinen Geldstrafe davonkommt, ist unfassbar", meinte der betroffene Aktivist nach der Verhandlung. Die Einrichtung einer von der Bundesregierung versprochenen unabhängigen Ermittlungs- und Beschwerdestelle für Polizeiübergriffe lasse bis heute auf sich warten. (red, APA, 20.4.2022)