Zwei junge Männer sind wegen absichtlicher schwerer Körperverletzung angeklagt, da sie Wohnungsnachbarn angegriffen haben sollen. Der Erstangeklagte will zum Tatzeitpunkt allerdings in der Schweiz gewesen sein.

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Wien – Dass Nachbarschaftsverhältnisse in Wien-Favoriten gelegentlich etwas getrübt sind, gehört seit der "Jahreswechsel"-Folge rund um Edmund "Mundl" Sackbauer zum kollektiven Gedächtnis im Lande. Am 8. November 2019 soll es aber zu einer ungewöhnlich brutalen Auseinandersetzung in einem Gebäude im 10. Gemeindebezirk gekommen sein: Vier Täter, zumindest zwei bewaffnet mit Rohrzange und Schraubenzieher, sollen Nachbarn überfallen haben, da ihnen die Lautstärke einer Feier missfiel. Vor dem Schöffengericht unter Vorsitz von Stefan Erdei müssen sich zwei Angeklagte mit dem Vorwurf der absichtlichen schweren Körperverletzung verantworten, da sie Mitglieder des Rollkommandos gewesen sein sollen.

Auslöser des Streits war die Familienfeier anlässlich des elften Geburtstags der Tochter von Familie R., an der neun Erwachsene und elf Kinder teilnahmen. Laut Staatsanwalt habe sich gegen 18.30 Uhr der Erstangeklagte, Herr A., der im Stockwerk darüber seine Wohnung hatte, erstmal persönlich über den Lärm beschwert. Kurz darauf soll er mit einem Mann wiedergekommen sein. Die beiden hätten nach dem Öffnen der Tür sofort begonnen, die Gastgeber im Stiegenhaus zu attackieren, kurz darauf seien zwei weitere Angreifer aufgetaucht, die ebenfalls zugeschlagen haben sollen.

Treppensturz und Tritte

Am Ende notierten die Polizisten, dass im gesamten Halbstock Blutspritzer zu sehen waren, vier Mitglieder der Familie R. seien verletzt worden. Am schwersten der Wohnungsmieter, der nicht nur geschlagen wurde, sondern auch die Treppe hinuntergestoßen und getreten worden sein soll.

Der 25-jährige Erstangeklagte A. bekennt sich nicht schuldig. Sein Verteidiger Philipp Winkler erklärt auch, warum. Der mehrfach vorbestrafte im Kosovo geborene Österreicher habe sich damals nämlich gar nicht in der Wohnung aufgehalten, sondern habe seit dem Sommer in der Schweiz gelebt und gearbeitet. Mit Beschäftigungsbestätigungen der Leiharbeitsfirma versucht Winkler das zu belegen. Das Problem: Die letzte Bestätigung datiert vom 7. November 2019, also einen Tag vor der angeklagten Tat, die nächste erst vom 20. November 2019.

A. selbst vermutet eine Verwechslung. Nachdem er in die Schweiz gezogen sei, habe seit 3. September 2019 seine Schwester in der Wohnung gelebt. Und deren Freund Leo müsse es gewesen sein, der über die Geräuschemissionen so erbost war, dass er einen Familienvater krankenhausreif geprügelt habe. Der Erstangeklagte versichert auch, seinen Mitangeklagten, den 26 Jahre alten Herrn U., noch nie gesehen zu haben.

Strafhaft als Grund für neue Verantwortung

U. wiederum bekennt sich teilschuldig, wie sein Verteidiger Florian Kreiner im Eröffnungsplädoyer ankündigt. "Mein Mandant befindet sich derzeit in Strafhaft, die hat bewirkt, dass er in sich gegangen ist", sagt Kreiner. Er werde sich aber nur zu einfacher Körperverletzung schuldigt bekennen. Der Zweitangeklagte sei damals mit einem Freund ziellos im Auto herumgekurvt, als der Freund einen Anruf erhielt. Er habe den Hintergrund nicht gekannt, sei aber gebeten worden, zu einer nahen Adresse zu fahren.

Als die beiden im Stiegenhaus ankamen, sei dort der Tumult schon ausgebrochen gewesen, versichert U. dem Gericht. "Warum gehen Sie auf Leute los, die Sie nicht kennen, im Auftrag von jemandem, den Sie auch nicht kennen?", ist Vorsitzender Erdei irritiert. "Einer hat gleich meinen Freund geschlagen, da habe ich ihn verteidigt", begründet der Tschetschene, der aber bestreitet, irgendeinen Gegenstand eingesetzt zu haben.

Er beteuert auch, den Erstangeklagten nicht zu kennen. Die vier Angreifer hätten aus zwei Tschetschenen, ihm und seinem Freund, sowie zwei Albanern oder Mazedoniern bestanden, ist er sich sicher. Außerdem seien die beiden ihm Unbekannten mit 1,65 Meter und 1,70 Meter Körpergröße deutlich kleiner als der Erstangeklagte gewesen.

Tumult im Stiegenhaus

Privatbeteiligtenvertreterin Alida Harrich, die für drei der Verletzten insgesamt 11.660 Euro Schmerzengeld von den beiden Angeklagten will, ist von dieser Geschichte nicht recht überzeugt. "Wenn Sie nur Ihren Freund gekannt haben und zu einem Tumult kamen: Woher haben Sie gewusst, wen Sie unterstützen sollen?", fragt sie daher nach. U. wiederholt, er habe nur seinem Bekannten geholfen. Dass er dabei seine Kappe verloren habe, sei richtig, aufgrund des dort gefundenen Genmaterials konnte er auch identifiziert werden.

Herr R., der 36-jährige Vater des Geburtstagskindes, bleibt bei seiner Zeugenaussage aber dabei: Es sei auf jeden Fall Erstangeklagter A. gewesen, der sich erst über den Lärm beschwert habe und wenige Minuten später gewalttätig geworden sei. Er sei nicht nur körperlich schwer verletzt worden, sondern sei noch immer in psychologischer Behandlung und habe sogar die Wohnung gewechselt, da er so traumatisiert sei, sagt der Zeuge.

Er identifiziert den Erstangeklagten bei einer Gegenüberstellung auch als seinen ehemaligen Nachbarn und Angreifer. Auf Nachfrage von Verteidiger Winkler ist der Zeuge auch sicher, A. noch Anfang November in dem Haus gesehen zu haben, wogegen aber die Arbeitsbestätigungen aus der Schweiz sprechen würden. R. will auch nicht mitbekommen haben, dass irgendeine Frau in der Wohnung über ihm gelebt habe, obwohl A.s Schwester dort zumindest gemeldet war.

Seltsame Zeugenbefragung

Verteidiger Winkler kritisiert auch, dass offenbar alle Familienmitglieder bei der Polizei zunächst die Zeugenaussage von R.s verletztem Bruder zu lesen bekommen haben und deren Richtigkeit bestätigten, ehe sie nach ihren eigenen Wahrnehmungen gefragt wurden. Nicht wegdiskutieren lässt sich aber, das Herr R. den Erstangeklagten aus zehn vorgelegten Fotografien zweifelsfrei als Angreifer identifiziert hat.

Vorsitzender Erdei vertagt schließlich für die Ausforschung weiterer Zeugen. (Michael Möseneder, 21.4.2022)